Rezension des Buches "Systemrelevant"

Der Traum vom Paradies

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Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose erklärt in seinem klugen Buch „Systemrelevant“, wie wir die großen Probleme unserer Gesellschaft meistern können – und wie der Glaube dabei hilft.

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Gelebte Solidarität: ein Hilfsangebot aus Stuttgart, gesehen im März 2020, zu Beginn der Pandemie. Foto: imago/Lichtgut

Von Andreas Lesch

Seit einiger Zeit, stellt Burkhard Hose fest, sei etwas anders als sonst. Viele wünschen sich nach einem Treffen zum Abschied: „Bleib gesund!“ Oder sie schreiben am Ende einer E-Mail: „Komm wohlbehalten durch die nächsten Wochen!“ Ihnen sei, glaubt Hose, durch die Corona-Krise bewusster geworden, wie wertvoll Gesundheit ist und wie kostbar das Leben. 

Der Würzburger Hochschulpfarrer Hose versammelt in seinem Buch „Systemrelevant“ viele solch feine Beobachtungen. Er analysiert, wie unsere Gesellschaft sich verändern muss, um ihre Probleme zu bewältigen. Sein Buch ist still, nachdenklich, klug. Und seine Gedanken gehen über die Pandemie hinaus; sie reichen bis zu den schlimmeren Krisen, die uns durch die Erderhitzung noch drohen. Leicht verständlich erklärt Hose, wie uns der Glaube helfen kann, Herausforderungen zu meistern. 

Hoses Buch aktiviert, ermutigt, rüttelt auf. Es fordert uns auf, den Glauben ernst zu nehmen und kraftvoll mitzuarbeiten an einer besseren Welt. Für ihn, schreibt er, sei die Rede vom Reich Gottes „wie ein Training im Umdenken“. Sie treibe ihn an, „beinahe unhinterfragbare Logiken infrage zu stellen, mir alternative Ordnungen vorzustellen“. 

Es ist zu wenig, moderne Helden zu beklatschen

Viele alte Ordnungen sind zuletzt infrage gestellt worden, etwa durch die Pandemie und die Klimakrise. Hose ermuntert dazu, mit der Unsicherheit leben zu lernen. Orientierung, glaubt er, könnten nicht vermeintliche Heilsbringer verschaffen. Es sei zu wenig, moderne Helden wie die Krankenschwestern auf Corona-Stationen oder Klimaaktivisten von „Fridays for Future“ zu beklatschen, seine persönliche Verantwortung abzugeben und sich selbst zurückzuziehen. 

Hose wünscht sich eine Gesellschaft, in der alle ihren Teil zum Gemeinwohl beitragen. „Systemrelevant sind nicht nur einige herausgehobene Menschen oder Berufsgruppen“, betont er. „Systemrelevant ist, dass jede und jeder freiwillig Verantwortung übernimmt, um Leben zu schützen, um das Klima zu retten und um für mehr Humanität und Gerechtigkeit zu sorgen.“

Sein Vorbild für diese Haltung ist Jesus. Weil der nicht nur vom Reich Gottes geredet hat, sondern so gehandelt hat, als ob es schon da wäre. Weil sein Glaube an eine bessere Zukunft sich also ganz konkret darauf auswirkte, was er in der Gegenwart tat: „Das alles war nicht Zukunftsmusik und Sonntagsrede.“ Jesus, erinnert Hose, habe in einer von Ängsten und Unsicherheiten geprägten Krisenzeit gelebt, in der die Menschen mit dem direkt bevorstehenden Weltende rechneten. Er aber predigte von einer Welt voller Gerechtigkeit, ohne Leid und ohne Einteilung der Menschen in Gesunde und Kranke, in Fromme und Sünder. Und arbeitete daran, dass diese Welt Wirklichkeit wird.

Die Kirchen, schreibt der Hochschulpfarrer, müssten Jesu Vorbild folgen, um glaubwürdig zu sein: „In der Klimakrise, in der Herausforderung der Migrationsbewegungen und schließlich auch in der Pandemie ist der Platz der Christen an der Seite der Benachteiligten, wenn sie noch an dieser Utopie Jesu festhalten wollen.“ Die Kirchen könnten „ein Kraftort für alle sein, die gerade in der Krisenzeit die Idee von einer neuen Ordnung, von einer solidarischen Welt starkmachen“.

Biblische Utopien wie die Rede vom Paradies, vom Reich Gottes und vom himmlischen Jerusalem seien „gerade keine weltfremde Träumerei“, betont Hose. Sondern „Widerstandstexte, die gegenwärtige Ungerechtigkeiten aufdecken. Sie geben Menschen in der Gegenwart eine Perspektive und sind gleichzeitig eine ethische Handlungsanweisung für das Leben in der Welt, in der wir jetzt sind. Was werden soll, soll jetzt schon werden!“ 

Wir sollen den Glauben politisch verstehen

Hose schreibt nicht naiv und schönfärberisch, sondern auch mal unbequem. Er sagt, was ist – und was sich ändern muss. Er wirbt dafür, dass wir unseren Glauben politisch verstehen. Und er macht klar, dass unser Glaube konkrete Auswirkungen auf unser Handeln haben muss. 

Er stellt fest: „Weder das Coronavirus noch der Klimawandel werden automatisch das Gute und die Fähigkeit zur Solidarität in den Menschen stärken.“ Verantwortungsbewusstsein könne nicht allein durch staatliche Gebote oder Verbote hergestellt werden. Jeder müsse mithelfen – und überlegen, ob er seine Freiheitsrechte auskosten muss oder sich auch mal selbst beschränken kann. In der Pandemie heißt das etwa: Maske tragen, Abstand halten, impfen lassen. Und in der Klimakrise: auf Flüge verzichten, auf Autofahren, auf Fleisch.

Das Paradies scheint heute weit entfernt zu sein, das ist Hose klar. Gerade deshalb schreibt er: „Diesen Traum vom Paradies gilt es mitten in der so ganz anderen Realität wachzuhalten, damit sich etwas ändern kann.“

Foto: BuchcoverBurkhard Hose: Systemrelevant.
Vier-Türme-Verlag.
144 Seiten. 18 Euro