Deutschlands erster unterirdischer Erzählkiosk
Der Zuhörer vom U-Bahnsteig
Wo früher Brötchen und Schokolade verkauft wurden, lädt ein Hamburger Autor jetzt zum Gespräch.
schöner Ort, um entspannte Gespräche zu führen. Doch genau dazu lädt der Hamburger Autor Christoph Busch seit Anfang Januar ein: In der Station Emilienstraße im Stadtteil Eimsbüttel hat er ein gläsernes Häuschen mitten auf dem Bahnsteig, in dem einst Zeitschriften und Getränke verkauft wurden, in Deutschlands ersten unterirdischen Erzählkiosk umgewandelt – und seitdem einen riesigen Zulauf.
„Das Ohr“, steht auf einem der Plakate, die an den Scheiben hängen, darunter: „Ich höre Ihnen zu. Jetzt gleich oder ein anderes Mal.“ – „Hab leider viel um die Ohren, aber danke“, hat ein Scherzkeks darunter gekritzelt. In der Auslage ist allerlei Krimskrams aufgebaut: eine Ghandi-Figur, eine Japanerinnen-Puppe im Kimono, ein Foto vom Nikolaus. „Irgendwie muss ich ja die Aufmerksamkeit der Leute auf mich ziehen“, erklärt Busch.
Die neugierigen Blicke der wartenden Passagiere zeigen, dass ihm das offenbar gelingt. Der ein oder andere zückt sein Smartphone, um ein Foto zu machen. Wenn Busch aufschaut, drehen sich viele verschämt zur Seite. Einige bleiben stehen und lächeln ihm zu oder klopfen an seine Tür. Mit seiner freundlichen und humorvollen Art bittet der 71-Jährige sie dann in das Innere seines Kiosks, in dem er es sich gemütlich gemacht hat: Getränke stehen bereit und in der Ecke sind ein Tisch und zwei Klappstühle aufgebaut. Wer Lust hat, darf sich zum Gespräch niederlassen.
Als der zweifache Familienvater Ende vergangenen Jahres zufällig das Schild „Zu vermieten“ an dem leerstehenden Kiosk sah, bewarb er sich bei der Hamburger Hochbahn – und bekam den Zuschlag. Anfangs war seine Idee, dort eine Art Büro einzurichten: „Ich dachte, ich setze mich da hin, arbeite an meinen eigenen Geschichten und erfahre ab und zu mal was Spannendes von Leuten, die etwas zu erzählen haben.“
„Toll, Sie hören den Menschen zu!“
Seinen Laptop baut Busch immer noch jeden Tag im Kiosk auf, doch ans Arbeiten ist nicht zu denken: „Als ich das erste Plakat aufgehängt hatte, konnte ich mich vor Zuspruch kaum noch retten.“ Viele Menschen reagieren mit Begeisterung: „Toll, Sie hören den Menschen zu! Das macht ja heute kaum noch jemand.“
Hunderte Gespräche hat Busch bereits geführt, unzählige Minuten Tonmaterial aufgezeichnet und einen Stapel Notizbücher vollgeschrieben. Drei bis vier Gespräche führt er am Tag, manchmal dauern sie 30 Minuten, manchmal 2 Stunden. 16- wie 80-Jährige besuchen den Kiosk und reden über alles, was sie bewegt, von Kindheitserinnerungen über persönliche Probleme bis hin zu interessanten Begegnungen oder Erlebnissen. „Manche Leute spulen einen Redevortrag ab und erzählen, was sie schon 50 Mal erzählt haben.“ Das sei wie ein „Vorhang“, der die eigentlichen Gefühle verstecke. „Doch manchmal öffnet er sich und ich kann dahinter blicken. Dann wird es spannend.“ Einzelheiten verrät er nicht, nur so viel: Die Mehrzahl der Gesprächspartner sei nicht glücklich. Manchem Gegenüber habe er auch schon geraten, einen Therapeuten aufzusuchen.
Das Zuhören macht ihm zwar Spaß, geht aber teilweise unter die Haut: „Ein intensives Gespräch kann einem das Gefühl geben, man hätte ein Zimmer umgeräumt.“ Busch braucht nach jeder Sitzung eine Pause. Auf die Frage, was er aus den Gesprächen mitnehme, muss er eine Weile überlegen: „Ich lerne sehr viel über Gefühle – auch über meine eigenen.“ Negative Erfahrungen habe er bislang noch nicht gemacht.
Seine Erlebnisse will er bis Ende nächsten Jahres in einem Buch festhalten. Wie es genau aussehen wird, steht noch nicht fest. Nur so viel: „Ich will nicht bloß die Geschichten, die ich gehört habe, aneinanderreihen. Es soll schon auch darum gehen, was das Zuhören mit mir gemacht hat.“ Busch, der sich in der U-Bahnstation mittlerweile richtig wohlfühlt, hat noch nicht einmal angefangen mit dem Schreiben und wird wohl in absehbarer Zeit auch nicht dazu kommen. Zwar läuft Ende Mai sein Mietvertrag für den Kiosk aus. Doch für den Autor steht bereits fest: „Ich möchte auf jeden Fall länger bleiben.“
Text u. Foto: Michael Althaus (kna)