Kriegsende 1945

Die Erstkommunion fiel nicht aus

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Vor 75 Jahren lag Deutschland in Trümmern, doch die Erstkommunionfeiern fanden statt. Frauen und Männer in und um Osnabrück erinnern sich an Mangel, strenge Vorbereitungen und fehlende Väter.


Viele Kirchen, hier der Osnabrücker Dom, waren 1945 zerstört. Trotzdem gab es die traditionellen Erstkommunionfeiern. Foto: Archiv Diözesanmuseum

Selbst in 30 Kilometern Entfernung war der Feuerschein am Himmel zu sehen, verkohlte Papierfetzen flogen bis nach Hunteburg und die Menschen dort auf dem Land wussten, dass Osnabrück brannte. Es war der Tag des letzten Luftangriffs, der im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten auf Osnabrück geflogen wurde, am Palmsonntag, 25. März 1945. Am 4. April besetzten britische Truppen die Stadt, am 8. Mai kapitulierte Deutschland und der Krieg in Europa endete.

Doch das Leben ging weiter. Trotz dieser für die Zivilbevölkerung schweren Zeit gab es inmitten der katastrophalen Lebensumstände kirchliche Normalität. Auch im Jahr 1945 fanden Erstkommunionfeiern statt. So wurden am 3. Juni in Hunteburg 38 Kinder zum Tisch des Herrn geführt. Eine von ihnen war Maria Meyer, geborene Speckmann. Die 82-jährige erinnert sich daran, dass sie ein weißes Kleid und weiße Schuhe trug. Und damit sie die Schuhe nicht schmutzig macht, „hat der Italiener, der bei uns auf dem Hof war“, sie an dem Tag mit dem Fahrrad zur Kirche gebracht. Das sei ein frommer Mann gewesen, „sehr katholisch“. Die Speckmanns hatten Landwirtschaft, der Vater war als Soldat im Krieg. Ohne die Hilfe des Fremdarbeiters hätte die Mutter die Feldarbeit nicht geschafft.

War die Kommunionfeier im zerstörten Dom?

Auch Herbert Knüppe aus Osnabrück kam am 3. Juni in Osnabrück zur Erstkommunion, als einer von 34 Jungen und 34 Mädchen. So steht es in den Unterlagen der Domgemeinde St. Petrus. Ob seine Erstkommunionfeier im Juni im zerstörten Dom stattfand oder in der Kleinen Kirche, daran kann sich der Osnabrücker Herbert Knüppe beim besten Willen nicht mehr erinnern. Er weiß aber noch, dass anschließend zu Hause keine Familienfeier stattfand: „Es gab ja nichts zu essen und der Vater war noch nicht zurück aus dem Krieg.“

Franz Jarvers kam 1945 in Osnabrück in Heilig Kreuz zur Erstkommunion. Die Vorbereitung hatte eine Ordensschwester übernommen. Sie vermittelte den Kindern, wie wichtig das Nüchternheitsgebot ist und man morgens vor dem Empfang der Hostie nichts essen darf. So gab sie den Rat, wenn es morgens regne, sollten die Kinder sich schnell ein Taschentuch vor den Mund halten, damit kein Tropfen Wasser den Mund berühre.

Arnold Bittner, der heute in Schledehausen lebt, hätte in seiner Heimat Schlesien die Erstkommunion erleben müssen. Doch es sei nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den deutschen Priestern verboten gewesen, die Kinder auf die Erstkommunion vorzubereiten, erzählt Bittner. Im Juni 1945 seien alle Häuser, Praxen und Pfarrhäuser von den Polen besetzt worden. Nur wenn der polnische Priester es erlaubte, konnte eine Erstkommunionkatechese durch deutsche Priester stattfinden. 1946 wurde Bittner mit seiner Familie aus Volpersdorf vertrieben.

Die Fahrt endete Anfang April im Osnabrücker Land, die Familie kam nach Schledehausen. Dort sollte die Erstkommunion in St. Laurentius am Patronatsfest im August stattfinden. Dem kleinen Arnold teilte man mit, es sei zu spät, um in die Vorbereitung einzusteigen. „Ich wurde aufs nächste Jahr vertröstet.“ 

Drei Zentner Blaubeeren für den Kleiderstoff

Also kam er erst 1947 zur Kommunion. Nach der Messe gab es im Pfarrhaus Kuchen und Getränke. „Ich war der einzige Junge, der keinen Anzug trug“, erinnert sich Bittner. Nur ein weißes Hemd und eine kurze Hose. „Es gab ja nichts, es gab gar nichts.“ Am nächsten Tag kam dann eine Mitarbeiterin von der Caritas mit drei Jacken vorbei, von denen er eine aussuchen sollte.

Anton Exner (Bersenbrück) ist 1945 in seiner schlesischen Heimat zur Erstkommunion gekommen. Für die Vorbereitung musste er die vier Kilometer zu Fuß gehen. Die Beichtvorbereitung fand zu Hause statt. Das habe sein Opa übernommen, der Vater war als Soldat im Krieg. Ein Jahr später wurde Exner aus Leuthen vertrieben, zusammen mit seiner Mutter und den Schwestern Bärbel und Christel. Sie kamen nach Schwagstorf bei Fürstenau. Seine Mutter arbeitete in der Landwirtschaft. Die harten Zeiten dauerten auch nach dem Krieg an. Um den Stoff für ein Erstkommunionkleid für seine Schwester zu finanzieren, pflückte die Mutter drei Zentner Blaubeeren, tauschte sie beim Hamstern gegen andere Waren, bis sie einen Stoff erwerben konnte.

Acht Gummibäume als Kommuniongeschenke

Viele der Erstkommunionkinder von 1945 erinnern sich an Mangelgeschichten und die Tatsache, dass in den Familien der Vater fehlte. Eine ältere Dame war zum Zeitpunkt ihrer Erstkommunion ganz ohne Eltern. Die Mutter war verstorben, der Vater im Krieg gefallen. Sie war in einer Familie untergebracht, die einen Geschäftshaushalt hatte. So erhielt das Kind zur Erstkommunion viele Karten und auch Geschenke: insgesamt acht Gummibäume. Als sie dann später heiratete, sagte sie zu ihrem Mann: „Hoffentlich bekommen wir keine Gummibäume geschenkt.“

Andrea Kolhoff


Zur Sache

Schon früh zur Erstkommunion

Die meisten Kinder empfangen heute ihre Erstkommunion, wenn sie im dritten Schuljahr sind. Manche gehen aber auch zur „Frühkommunion“. Papst Pius X. hatte 1910 in einem Dekret verfügt, ein Kind dürfe zur Kommunion gehen, wenn es von seiner Vernunft Gebrauch machen kann: „Das Unterscheidungsalter (…) für die heilige Kommunion ist dann, wenn das Kind zu denken beginnt, das bedeutet, ungefähr ab dem siebten Lebensjahr, manchmal etwas später, jedoch auch früher. Von dieser Zeit an beginnt die Pflicht, (…) der Kommunion Genüge zu leisten.“

Zuvor war es üblich gewesen, dass Jugendliche im Alter von zwölf bis 14 Jahren die Erstkommunion empfangen. Hinter der Neuerung habe der Gedanke gestanden, dass man möglichst viele Gnadengaben möglichst früh verteilen wollte, erläutert Stefan Schweer, Referent für Kirchenrecht. So ist es möglich, ein Kind, das noch nicht zur Schule geht, trotzdem auf die Kommunion vorzubereiten. (kol)