"Gefragte Frauen": Ina May
Die Frau, die dabeibleibt
Ina May übernimmt gern Leitung. Wie das geht, hat sie in den katholischen Jugendverbänden gelernt. Jetzt wurde die Religionslehrerin aus Darmstadt eine der vier Sprecherinnen der neuen Frauenkommission im Bistum Mainz. Von Ruth Lehnen
Schule ist kein Schonraum. Auch hier passieren schlimme Sachen. Wenn ein Lehrer plötzlich stirbt, dann herrscht Schock. Für solche Schock-Situationen hat die Georg-Büchner-Schule in Darmstadt ein Kriseninterventions-Team. Ina May ist ein Teil davon. Sie bot an, die schulische Trauerfeier zu organisieren, und es wurde ihr „anvertraut und zugetraut“.
Die katholische Religionslehrerin hat diese schulische Trauerfeier organisiert, aber nicht etwa als religiöse, schon gar nicht als katholische. Sie hat sich gefragt: Was wird gebraucht? Trost wird gebraucht, Gemeinschaft, das Gefühl, zusammen durch die Trauer zu gehen. Zu fühlen:
Trotz des Todes ist die Liebe da und die Hoffnung ist da. So grundlegend, so einfach, so schwer.
Ina May hat schon ihre Examensarbeit über das Sterben als Teil des Lebens geschrieben. Ihr ist der Tod auch im Schulalltag schon öfter begegnet. Sie war vorbereitet auf ihre Aufgabe. Mit einfachen Zeichen ist bei der Trauerfeier alles gut gegangen: mit Kerzen, die angezündet wurden, mit dem Lied „egal, was passiert, wir sind ewig“, mit all den Tränen, die geflossen sind und einfach rausmussten. Ina May scheint wenig Angst zu haben, weder vor Gefühlen, noch vor Verantwortung.
Beim Gespräch mit ihr Anfang September in Darmstadt-Kranichstein ist es noch eine Woche hin bis zur Wahl in Mainz. Die neue Frauenkommission im Bistum Mainz, zu der sie gehört, wird ihre Sprecherinnen wählen. Ina May hat sich noch nicht entschieden, ob sie kandidiert. Sie wirkt entspannt, als sie, barfuß auf ihrem heimischen Sessel, erklärt, sie werde diese Frage nun mit ins Gebet nehmen. Wie bitte? Ja, sagt die 35-Jährige lachend, was sie so Gebet nenne. Ihre abendliche Unterhaltung mit Gott, bei der sie auch schon mal einschlafe. Man hat den Eindruck, ihr Freund Gott hat dafür vollstes Verständnis.
Denn er weiß ja, es sind viele Baustellen, auf denen die Lehrerin und Mutter von drei Kindern nicht den Überblick verlieren will. Wichtiger Partner auf ihren Baustellen ist ihr Mann Michael May. Immer wieder sonntags klärt das Paar die Logistik, die Herausforderungen der nächsten Woche: Wer hat was vor, wer ist wann weg, wer kann die Kinder wo abholen und so weiter. Die Tatsache, dass beide Lehrer sind, macht manche Verabredung einfacher. Auch ihre und seine Eltern tragen bei zum Teamwork.
Auf „ganz platte“ Diskussionen hat sie keine Lust mehr
May hat eine Erfahrung gemacht, die noch nicht zu allen Menschen, die das hohe Lied der Mutterschaft singen, durchgedrungen ist: „Der Familie geht es besser, wenn ich arbeite, dann ist viel mehr Kraft da.“ Sie hat immer schon gern gearbeitet, ehrenamtlich zum Beispiel bei der Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL) und
beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Diese Erfahrungen haben sie geprägt, haben ihre Berufswahl beeinflusst. Sie ist gern Religionslehrerin: „Ein tolles Fach!“ Für sie ist dabei die Hauptaufgabe, Schülerinnen und Schülern den Raum zu geben, sich mit Gott zu beschäftigen.
Die jungen Leute treffen bei ihr auf eine, die sich nicht rauszieht und sich nicht wegduckt. Auf die Frage, ob sie sich noch mit der katholischen Kirche identifiziere, antwortet sie: „Ja, total!“ Das Unterrichtsthema Abtreibung zum Beispiel: Sie diskutiert, sie gibt zu denken, sie will raus aus den Schwarz-Weiß-Perspektiven. „Ist es wirklich besser, gar nicht zu leben als mit wenig Geld zu leben?“ Sie flicht noch einiges an Aufklärung und offenen Worten mit ein. Und macht klar, dass sie niemals eine Frau verurteilen würde, die abgetrieben hat.
Hin und wieder muss sie sich einiges anhören. „Auf ganz platte Diskussionen“ über die katholische Kirche will sie sich nicht mehr einlassen, dann sagt sie nicht viel, sondern hört mehr zu. Ihre Ansicht ist, dass nur Menschen die Kirche verändern können, „wenn sie dabeibleiben“.
„Es wird eine Zeit kommen, ich bin sicher, dass sie kommt“
Ihr aktuelles Dabeibleiben zeigt sie mit dem neuen Engagement für die Frauenkommission im Bistum Mainz. Die zwölf gewählten Frauen sollen den Diözesanpastoralrat und Bischof Peter Kohlgraf beraten, wirkliche Macht haben sie nicht. Ina May frustriert das nicht. Einmal im Jahr wird sie in der neuen Funktion den Bischof treffen, „das ist einmal öfter als jetzt!“ Die Frauen würden sichtbarer durch die Kommission. Vielleicht gehe es erstmal nur ums Reden, aber es herrsche jetzt schon eine gute Stimmung in der Gruppe. Ina May glaubt an Vernetzung, sie glaubt daran, dass es etwas bringt, „sich zu positionieren“. Sie ist zutiefst geprägt von der Arbeit in den katholischen Jugendverbänden: „Dort ist Demokratie Alltag und paritätische Besetzung Normalität.“ Was dort geht, könne auch in der ganzen Kirche gehen, und sie werde es noch erleben: „Es wird eine Zeit kommen, ich bin ganz sicher, dass sie kommt.“
Sie meint die „Geschlechtergerechtigkeit“. May wollte nie Priesterin werden, aber sie hat ihrer Tochter beim Spielen zugesehen, wie sie eine Predigt hielt: „Jesus ist unser Schäfer!“ Als ihre kleine Tochter erklärte, sie wolle Pfarrerin werden, hat die Mutter gemerkt, dass diese Frage sie etwas angeht, und wie wütend sie die Ungerechtigkeit macht. Mit ihrem Mann, der ebenfalls Theologie studiert hat, führt sie harte Diskussionen: „Du konntest Dich immerhin dagegen entscheiden – dagegen, Priester zu werden.“
Ina May will über die Dinge reden, frei, sie will nicht sofort abgebügelt werden nach dem Motto: „Das geht halt nicht!“ Die Argumente gegen das Pries-tertum der Frau überzeugen sie nicht: Es sei nicht das Thema, dass auch die evangelischen Kirchen keineswegs voller sind. Es sei nicht das Thema, dass Jesus zu seiner Zeit zwölf Männer ausgewählt hat. Argumentativ hätten die Gegner der Frauenordination „nichts in der Hand“, meint sie. Die junge Mutter will, dass die Frauenkommission etwas in Bewegung bringt, und deshalb hat sie am Ende doch kandidiert und ist auch gewählt worden als eine von vier Sprecherinnen.
„Think big“: die Streuobstwiese
Auf die jüngere Vergangenheit hat sie einen besonderen Blick. Die Frauen, die für Gerechtigkeit in der Kirche gekämpft hätten, seien keineswegs gescheitert. Mädchen sind heute Messdienerinnen, es gibt Frauen, die predigen: Ina May ist „unglaublich dankbar“ für dieses Engagement, dass die Jüngeren weiterführen können.
Vor großen Dingen oder längeren Zeiträumen scheut sie nicht zurück. Vor einiger Zeit haben ihr Mann und sie mit einem anderen Paar 10 000 Quadratmeter Streuobstwiese gepachtet. Dort haben sie jetzt, die Kinder immer dabei, Äpfel, Quitten, Birnen und Sanddorn geerntet. Im Hause May wurde eine Kühltruhe angeschafft. Michael May kocht Apfelmus. Ina May backt Apfelkuchen. Auf Vorrat, die Kuchen werden eingefroren. Sie nimmt, was sie kriegt, macht was draus und wartet, bis die richtige Zeit gekommen ist. Dann wird aufgetaut.
Gefragt, gesagt: „Seid Euch wichtig!“
In der Rubrik „Gefragt ...gesagt“ geben die „gefragten Frauen“ möglichst spontan Antworten.
Durch wen oder was sind Sie zum Glauben gekommen?
Ina May: Durch die ignatianische Spiritualität der Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL) und durch meine Oma, weil sie über ihren Glauben gesprochen hat.
Was gibt Ihnen Ihr Glaube?
Hoffnung, Kraft und Freude.
Haben Sie schon mal daran gedacht, aus der Kirche auszutreten?
Nein.
Welche Veränderung wollen Sie als Frau in der Kirche noch erleben?
Ich möchte erleben, dass Frauen Predigerinnen sind. Und dass die Kirche nicht mehr um Prinzipien kreist, sondern, wie bei den Weltjugendtagen, Freude am Glauben ausstrahlt. Wie es Friedrich Nietzsche gesagt hat: „Die Christen müssten erlöster aussehen.“
Welches war für Sie die schönsten Erlebnisse im Glauben?
Der Weltjugendtag 2005, die Romwallfahrt der Messdienerinnen und Messdiener, und natürlich, dass ich den Jakobsweg allein gelaufen bin, 2010.
Ihre liebste Bibelstelle?
1. Johannes 4,16: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“. Der erste Satz ist in unsere Eheringe eingraviert.
Ihr Rat an Frauen auf der Suche?
Seid Euch selbst wichtig!
Zur Person
Ina May: Relilehrerin, Mutter, Bischofsberaterin
Ina May wurde im Mai 1986 in Darmstadt geboren. Damals hieß sie noch Ina Ludwig. Sie studierte an der Philipps-Universität Marburg Deutsch und katholische Religion für das Lehramt an Gymnasien. Nach Abschluss des Studiums ging sie als Fußpilgerin auf dem Jakobsweg von St.-Jean-Pied-de-Port bis Santiago de Compostela. Als Lehrerin war sie tätig in Darmstadt und Groß-Gerau, seit 2020 unterrichtet sie an der Georg-Büchner-Schule in Darmstadt.
Ina May hat sich in mehreren katholischen Verbänden engagiert: Sie war Jugendleiterin in den Jugendverbänden der Gemeinschaft Christlichen Lebens (J-GCL), Mitglied des Vorstands im Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) Darmstadt sowie später Vorstand des Bunds der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Bistum Mainz, alles im Ehrenamt.
Sie war aktiv in der Leitung des Zirkus Datterino und für die 72-Stunden-Aktion.
Seit 2016 betreut sie die Messdienerinnen und Messdiener in der Gemeinde St. Jakobus in Darmstadt-Kranichstein.
Ina May ist mit einem Lehrer verheiratet. Die beiden haben drei Kinder.
Sie hat eine „Ausbildung zur systemischen Aufstellerin am Institut für Neue Systemische Aufstellungen Darmstadt“ absolviert.
Im Juni wurde sie in die neue Frauenkommission im Bistum Mainz gewählt, die Bischof Peter Kohlgraf beraten soll, und am 15. September eine der vier gleichberechtigten Sprecherinnen des Gremiums.