"Gefragte Frauen": Äbtissin Diodora Stapenhorst

Die Frau, die in die Tiefe will

Image
12_Aebtissin_Diodora_Internet.jpg

Diodora Stapenhorst hieß früher Charlotte und war evangelisch. Durch eine Begegnung in Griechenland wurde sie eine andere: Heute leitet sie als Äbtissin Diodora eine Gemeinschaft orthodoxer Nonnen im Kloster Arnstein. Ein Besuch in einer anderen Welt. Von Ruth Lehnen


„Zurück zu den Wurzeln“: Die griechisch-orthodoxe Äbtissin Diodora Stapenhorst
bedauert, dass der Glaube in der säkularen Welt „in den Hintergrund gestoßen“ werde.

 

Eine schwarzgewandete Nonne nach der anderen betritt die Kapelle. Es herrscht keine Hast, aber auch keine rituelle Strenge. Jede hat eine etwas andere Art, den Ikonen und damit den Heiligen Ehre zu erweisen, aber immer geht die Hand zum Boden und macht dann das Zeichen des Kreuzes, und die großen goldenen Bilder werden geküsst. Links außen an der Ikonostase ist Maria mit dem Jesuskind zu sehen, in der Mitte Jesus und rechts Johannes der Täufer. Jede der Nonnen verbeugt sich auch vor dem Sitz der Äbtissin, an dem der Äbtissinnenstab mit seinem silbernen Knauf befestigt ist. Dann kommt die Äbtissin herein, lächelt ihr strahlendes Lächeln, gibt mir die Hand und sagt „Herzlich willkommen!“

Es ist eine andere Welt hier auf dem Berg, auf dem das Kloster Arnstein steht. 2019 sind griechisch-orthodoxe Nonnen eingezogen, und das Kloster heißt jetzt „Heiliges Orthodoxes Kloster Dionysios Trikkis & Stagon“. Vorsteherin ist Äbtissin Diodora Stapenhorst, die 1964 als Charlotte Stapenhorst in Göttingen geboren wurde. Ich meine sie schon zu kennen, denn ich habe das Buch „Meine Freundin, die Nonne“ gelesen, in dem Autorin Ilka Piepgras die ungewöhnliche Lebensgeschichte einer Überfliegerin erzählt hat.

Ein Ja, das das Leben der Kunststudentin radikal verändert hat

Jetzt höre ich den byzantinischen Gesang, den die 14 anwesenden Schwestern anstimmen. Sie haben sich um ihre Pulte versammelt, jeweils eine Gruppe stimmt einen tragenden Ton, eine andere die Melodie an; sie wechseln sich ab. Es ist das Bittgebet zur Mutter Gottes, das hier montags, mittwochs und freitags um 9.30 Uhr gebetet und gesungen wird. Dann folgen Psalmen, die mit großer Geschwindigkeit vorgetragen werden. Die Nonnen bewegen sich, sprechen kurz miteinander, einige verlassen die Kapelle, nicht ohne ihrer Äbtissin vorher einen Handkuss zu geben. Eine Nonne entzündet Weihrauch in einem Gefäß, das mit Schellen verziert ist, und umkreist mit dem heiligen Rauch und unter Schellenklang den Altar und durchmisst so auch den ganzen Kirchenraum.   
Die damals 23-jährige Diodora Stapenhorst hat es im Jahr 1987 nach Griechenland verschlagen, nach Naxos, wo sie einem Priestermönch vom Berg Athos begegnete. Er fragte sie, wie sie heiße und woher sie komme und dann: „Möchtest Du Dein Herz zu einer Kirche Jesu Christi machen?“ Charlotte sagte „Ja“.

"Das war ja keine kognitive Entscheidung"

Ein Ja, das ihr Leben verändert hat. Aus Charlotte, der Kunststudentin, wurde die griechisch-orthodoxe Nonne, die Theologie und später Jura studierte und bald schon Äbtissin wurde. Ist sie überhaupt noch da, diese Charlotte? Die Äbtissin, mit der ich mittlerweile beim Kaffee sitze, lächelt und bejaht. „Ja natürlich, aber die göttliche Realität transformiert die Menschen und lässt sie wachsen.“ Kann sich das alles wirklich so abgespielt haben, diese lebensverändernde Frage, diese eindeutige Antwort? „Das war ja keine kognitive Entscheidung.“ Äbtissin  Diodora überlegt. „Sondern das kam aus einer inneren Gewissheit und einer Bereitschaft, meinen eigenen Horizont zu überschreiten. Ich hatte eine große Sehnsucht, mich der göttlichen Wirklichkeit zu nähern“.   
Damals hat sie eine Reise angetreten, die sie vor einigen Jahren aus der südlichen Sonne zurück nach Deutschland und jetzt bis hierher ins kleine Dorf Obernhof 30 Kilometer entfernt von Limburg geführt hat. Das war der äußere Weg. Der innere Weg habe sie immer mehr in die Tiefe geführt, „staunend über die Möglichkeiten, die Gott schafft“.

Schwesterngemeinschaft Arnstein
Die Klostergemeinschaft in der Kapelle von Kloster Arnstein, in der Mitte Äbtissin Diodora Stapenhorst. Foto: privat

Von Äbtissin Diodora ist nur der Ausschnitt des Gesichts zu sehen, den die Kopfbedeckung und der Schleier freilassen, und die Hände. Wie ihre Mitschwestern ist sie ganz in Schwarz gekleidet, sie trägt ein silbernes Äbtissinnenkreuz. Das Gespräch, das sich um Gott dreht, wird mehrmals umstandslos unterbrochen, weil das Handy Aufmerksamkeit fordert, oder weil eine Mitschwester eine Entscheidung über die neuen Fliesen braucht, oder weil Schwester Anastasia Kuchen bringt, Wasser, Kaffee. Merkwürdigerweise stören die Störungen nicht. Wenn Äbtissin Diodora sich einem zuwendet, ist sie völlig präsent, und ihre braunen Augen scheinen tiefer zu blicken als die Augen anderer Leute.

Schwestern aus vielen Ländern, mit unterschiedlichen Gaben und Sprachen

Die Gastfreundschaft der Schwestern ist überwältigend. Der Gast hatte am reich gedeckten Tisch neben der Äbtissin sitzen dürfen, und dass das eine Ehre ist, teilt sich sofort mit in den Blicken der Schwestern. Während des frühen Mittagessens um 10 Uhr morgens wird vorgelesen. Themen sind die Viten von Heiligen und andere geistliche Texte: „Und während wir darum ringen, ein christliches Leben zu führen, ... leben andere ohne Ideale ... Und doch beneiden wir manchmal solche Leute. Wie seltsam! Diejenigen, die zum Himmel berufen sind, ... sind neidisch auf jene, deren Leben in Lügen verläuft!“ (Archimandrit Aimilianos von Simonopetra). Ein weiteres Thema der Tischlesung ist die Führung durch den geistlichen Vater beziehungsweise die geistliche Mutter. Hier im Kloster wird diese geistliche Führung ausdrücklich bejaht und als Grundlage geistlichen Lebens verstanden: So wie ein Mensch sich nicht selbst auf die Welt bringen kann, so könne er nicht ohne geistlichen Vater in Christus leben und wachsen.

"Den anderen ehren lernen": der Handkuss

Äbtissin Diodora, die als geistliche Mutter geehrt wird, bringt diese Ehrerbietung ihrem eigenen geistlichen Vater entgegen, der ihr einst die entscheidende Frage stellte: Es ist der Gerontas, (wörtlich: „Der Ältere“) Abt Archimandrit Dionysios. Er hat 31 Klöster in vielen Ländern der Welt gegründet.   
Die Nonnen küssen der Äbtissin die Hand, so wie sie es auch bei einem Priester tun würden. Die Äbtissin erklärt das so: „Im Kloster ist es ein wichtiger Teil des geistlichen Lebens und generell der Kommunikation, dass man den Anderen ehren lernt.“

Kloster Arnstein
Kloster Arnstein, die Heimat der griechisch-orthodoxen Schwestern. Foto: Hans Münchhalfen

Sie führt Frauen aus vielen Ländern, mit den unterschiedlichen Gaben und Sprachen zu einer Familie zusammen, damit sie ein Herz und eine Seele werden. „Um dieses Ziel zu verwirklichen, braucht es viel zwischenmenschliche Arbeit.“ Dieser Satz lässt die Last ihres Leitungsamts erahnen. Das Ziel der Äbtissin ist es, dass das Kloster ein wirkliches Zuhause ist. Sie betont, wie viel Kraft sie jeden Tag aus Gottes Gnade schöpft und wie viel tiefe Freude und innere Ruhe die Schwestern in ihrem monastischen Leben empfinden.   
Die Sehnsucht und den Hunger der säkularen Menschen fühlt sie schmerzlich. Sie wünscht sich, dass viele Gottes bedingungslose Liebe erfahren. Und was das Frausein betrifft: „Gott hat mich als Frau geschaffen, es geht darum, dass ich die Realität annehme; was hat man sich dann noch zu beschweren?“ Sie findet, Frauen hätten die gleiche geistliche Arbeit zu leisten wie Männer. „Wenn man sein Zentrum gefunden hat“ – sie klopft auf ihr Herz – „muss man nicht Priester werden wollen.“  

Als ich das Kloster verlasse, hat es zu regnen begonnen. Die Äbtissin und zwei weitere Schwestern lassen sich nicht abhalten, mich zum Auto zu begleiten. Wir laufen durch den Klosterhof. Beim Abfahren sehe ich die drei Nonnen, ganz in schwarz, unterm blauen Regenschirm. Die Äbtissin winkt mit beiden Händen.

Von Ruth Lehnen

Gefragt, gesagt ...: „Gott ist lebendig und liebt uns“

Frage: Durch wen sind Sie zum Glauben gekommen?   
Äbtissin Diodora Stapenhorst: Durch die Begegnung mit unserem geistlichen Vater, Gerontas Dionysios, in dessen Beispiel und Person ich die Orthodoxie kennengelernt und meinen Glauben gefunden habe.   

Was gibt Ihnen Ihr Glaube?   
Meine Existenz, den Sauerstoff, mit dem ich atmen und lebendig sein kann.   

Haben Sie schon mal daran gedacht, aus der Kirche auszutreten?   
Nein.   

Welche Veränderung wollen Sie als Frau in der Kirche noch erleben?   
Ich habe den Wunsch, durch einen authentisch gelebten Glauben die Menschen anzuregen, zu unseren christlichen Wurzeln zurückzufinden.   

Das schönste Erlebnis im Zusammenhang mit Ihrem Glauben?   
Jeden Tag gibt es Geschenke Gottes und wunderschöne Momente. Die Erfahrung, dass man selbst unwürdig ist und klein, und dass Gott uns teilhaben lässt an seiner Herrlichkeit und Größe. Die Erfahrung, dass Er mir den Menschen im richtigen Moment geschickt hat, den geistlichen Vater, der die Brücke geworden ist zu Gott. Das ist Gnade Gottes.   

Ihre liebste Bibelstelle?   
„Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es retten.“ (Matthäus 16, 24 bis 25)   
und „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Matthäus 5,16)   

Ihr Rat an Frauen auf der Suche?   
Mein Rat ist, sich einmal eine Auszeit im Kloster zu nehmen, um innehalten zu können und eine neue oder andere Perspektive zu bekommen.   

Was ich immer schonmal sagen wollte ...   
Gott ist lebendig und liebt uns.

 

Zur Person: Äbtissin Diodora Stapenhorst

Äbtissin Diodora Stapenhorst, wurde 1964 in Göttingen geboren.   
Sie ist Absolventin der Berliner Akademie der bildenden Künste, der Theologie in Athen und der Jurisprudenz in Straßburg.   
Im Rahmen ihres Studiums lernte sie 1987 in der Person ihres Gerontas, Archimandrit Dionysios, die Orthodoxie in Griechenland kennen. Sie wurde anschließend orthodox getauft und wurde Nonne.   
Seit 1995 ist sie Äbtissin einer internationalen monastischen Schwesternschaft und hat zusammen mit ihrem Geronta Klöster in Griechenland, Amerika und Europa mitgegründet und wiederbelebt.   
2018 überlebte Mutter Diodora einen schweren Autounfall, bei dem vier Frauen ihr Leben verloren.   
2019 hat sie, mit einem Teil ihrer Schwesternschaft, das Kloster Arnstein als Orthodoxes Heiliges Kloster „Dionysios Trikkis & Stagon“ wiederbelebt.   
Die Gottesdienste sind hauptsächlich in deutscher Sprache, und das Kloster bietet Gastfreundschaft an.   
Die Schwestern gehen verschiedenen Tätigkeiten nach: Ikonenmalerei, Nähen von Kirchengewändern, wissenschaftliche Übersetzungsarbeiten, Imkerei, Schafzucht, Herstellung von Naturprodukten, und sie betreiben einen Klosterladen.

Heiliges Orthodoxes Kloster   
„Dionysios Trikkis & Stagon“   
Kloster Arnstein, Pater-Damian-Straße 1,   
56379 Obernhof,   
Telefon 02604/943479;   
E-Mail: Jawastas@fhc.org

Buchtipp: Ilka Piepgras: Meine Freundin, die Nonne, Droemer Knaur Taschenbuch 2011, 297 Seiten, 10,99 Euro

 

Ruth Lehnen