Onlinegespräch mit Johanna Beck, Johannes zu Eltz und Thomas Großbölting
"Die Kirche muss sich entmächtigen"
Über das Buch "Die schuldigen Hirten. Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche" haben sich Johanna Beck vom Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz mit dem Autor und Historiker Thomas Großbölting ausgetauscht. Bei dem Online-Gespräch, das die Katholische Erwachsenenbildung Hochtaunus organisiert hatte, waren sich die Beteiligten einig: "Die Kirche muss sich entmächtigen." Von Ruth Lehnen
Johanna Beck vom Betroffenenbeirat der DBK sieht im Umgang mit der Geschichte und Realität des sexuellen Missbrauchs eine Zukunftsfrage der Kirche: "Man hört uns Betroffene, aber erhört uns nicht. Wenn sich das nicht ändert, weiß ich nicht, ob die Kirche eine Zukunft hat." Thomas Großbölting, der gerade mit anderen die Missbrauchsstudie im Bistum Münster vorgelegt hat, erklärt in seinem aktuellen Buch "Die schuldigen Hirten. Geschichte des Missbrauchs in der katholischen Kirche", wieso die Missbrauchstaten das Potential haben, das Vertrauen der Gläubigen grundsätzlich zu erschüttern: "Die Täter traten als Personifikationen und Vermittler der Gottesliebe auf, lenkten die verehrende Haltung der betroffenen Gläubigen auf sich, um sich selbst sexuelle Befriedigung zu verschaffen und Macht auszuüben." Frankfurts Stadtdekan Johannes zu Eltz machte deutlich, Täter hätten versucht, sich an Christi Stelle zu setzen und hätten sich "am Gottesverhältnis von Menschen vergriffen". Er sei überzeugt, "dass wir an die Theologie der Weiheämter ranmüssen."
Das Wort des Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer, nach dem der Missbrauch von Macht tief "in der DNA" der Kirche liege, wurde im Gespräch debattiert. Großbölting lehnt dies als "biologistisches Argument" ab: Machtstrukturen seien interessegeleitet und ließen sich zurückdrehen. Zu Eltz sieht in dem Ausdruck von der DNA vor allem die Aussage: "Etwas Böses zu tun, ist im Innern der Kirche." Beck erinnerte an ihre Erfahrungen: Auch sie sei nicht missbraucht worden, obwohl, sondern WEIL sie katholisch war. Die Beichte wurde in ihrem Fall zur Anbahnungsstrategie für Missbrauch.
"Der freie Fall vom hohen Ross"
Auch der Umgang mit Tätern wurde gestreift. Zu Eltz sagte im Hinblick auf den Fall eines Westerwälder Bezirksdekans, der nach Öffentlichwerden von Übergriffen zurückgetreten war, er sei der Meinung, es dürfe nicht jeder sofort "erledigt" sein, der "konfrontiert wird", wenn er sich zu seiner Schuld bekannt und sich 17 Jahre nichts mehr habe zuschulden kommen lassen.
Nur, wenn die katholische Kirche "sich entmächtige", waren sich die Gesprächspartner einig, könne sie ihre Aufgabe weiter erfüllen. Befindet sich die Kirche "im freien Fall", wie eingangs Birgit Wehner von der Katholischen Erwachsenenbildung formulierte? Dies wurde von den Gesprächspartnern bejaht. Nur zu Eltz konnte darin Positives entdecken: "Ein freier Fall vom hohen Ross könnte gut sein." Jesus habe es so gesehen: "Das Ende unserer Macht ist der Anfang des Evangeliums."
Zur Sache:
Thomas Großbölting: "Die schuldigen Hirten. Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche", Herder, 237 Seiten, 24 Euro
Johanna Beck: "Mach neu, was dich kaputtmacht. Warum ich in die Kirche zurückkehre und das Schweigen breche" Herder, 192 Seiten, 20 Euro