Meditationen auf der Insel Juist

Die Stille ist ein Geschenk

Schwester Michaela

Foto: Jasmin Lobert

Schwester Michaela Wachendorfer bietet auf Juist Zeiten der Stille an.

In der katholischen Kirche auf Juist gibt es jeden Morgen und Abend Schweigemeditationen. Schwester Michaela Wachendorfer erzählt, wie es zu dem Projekt „Stille auf Juist“ kam und warum sie die Meditationsgemeinschaft als „Leutekloster“ versteht.

An diesem Morgen ist es in der katholischen Kirche auf der ostfriesischen Insel Juist mucksmäuschenstill. Und das, obwohl sich hier 15 Menschen zusammengefunden haben. Sie sitzen in der ganzen Kirche verstreut und schweigen. Schwester Michaela Wachendorfer, die diese Morgenmeditation leitet, hat in einer der mittleren Bänke Platz genommen, ihr Blick ist nach vorne gerichtet. Dort steht eine brennende Kerze vor dem Altar. Neben dem schwachen Morgenlicht, das durch die bunten Glasfenster in die Kirche fällt, ist sie die einzige Lichtquelle.

Diese Schweigemeditation ist ein Teil des Projektes „Stille auf Juist“, das Schwester Michaela 2009 zusammen mit ihrer Mitschwester Gerlinde Bretz gegründet hat. Bevor die kleine franziskanische Gemeinschaft nach Juist gekommen ist, haben die beiden Frauen ein Haus der Stille im Südharz aufgebaut und knapp 15 Jahre geleitet.

Irgendwann wurde das Projekt für die beiden Frauen zu groß. Und so reifte mit der Zeit der Wunsch in ihnen, ein Kloster auf einer Insel zu eröffnen. Auf einem Besinnungswochenende erzählten die beiden Schwestern bei einer Frühstücksrunde von der Idee und eine Mitarbeiterin aus dem Bistum Osnabrück wurde darauf aufmerksam. Laut Schwester Michaela hat zehn Tage später der damalige Generalvikar Theo Paul angerufen. Zusammen gingen sie auf die Suche nach einem passenden Ort für ihr Projekt. Und sie fanden ihn schlussendlich auf der Insel Juist.

"Für uns war klar: Wir beten hier immer."

Die beiden Schwestern wollten ihr klösterlich geprägtes Leben und ihre Erfahrungen mit der Stille auf die Insel bringen. So etablierten sie geregelte Gebetszeiten. Für die Pfarrkirche als öffentlichen Ort der Meditation haben sie sich ganz bewusst entschieden, erzählt Schwester Michaela. „Für uns war klar: Wir beten hier immer. Auch wenn niemand dazu kommt, wir lassen es nicht ausfallen“, sagt sie. Und weiter: „Ich finde, man spürt, ob eine Kirche nur besichtigt oder ob sie auch zum Gebet genutzt wird.“

Parallel zu dem Projekt „Stille auf Juist“ übernahmen die beiden Frauen auch die Touristenseelsorge und die Gemeindeleitung auf Juist. 2016 verstarb Schwester Gerlinde. Von da an kümmerte sich Schwester Michaela alleine um diese Aufgaben. Im vergangenen Jahr gab sie die Gemeindeleitung ab. Seitdem widmet sie sich ganz dem Stille-Projekt.

Für Schwester Michaela gehört es nun seit 15 Jahren zu ihrem Alltag, dass sie unter der Woche die Schweigemeditationen leitet. Bei der Morgenmeditation beginnt sie immer mit demselben Lied: „Christus, dein Licht verklärt unsere Schatten, lasse nicht zu, dass das Dunkel zu uns spricht. Christus, dein Licht erstrahlt auf der Erde und du sagst uns: Auch ihr seid das Licht.“ Danach bereitet sie die Besucherinnen und Besucher auf die Meditation vor, indem sie ein paar Impulse gibt: „Nimm wahr, wo du bist.“ Stille. „Nimm wahr, wie du hier bist.“ Unter ihrer Anleitung richten sich alle Teilnehmer auf, stemmen die Füße fest in den Boden, legen die Hände in den Schoß und schließen ihre Augen. „Wenn Gedanken kommen, lass sie wie eine Wolke wieder an dir vorbeiziehen.“ Danach läutet Schwester Michaela mit einer Klangschale die Zeit der Stille ein.

Still werden – gar nicht so leicht

20 Minuten lang gibt niemand einen Ton von sich. Das Einzige, was man hört: Ab und zu grummelt ein Magen. Und von draußen: Spaziergänger, die sich unterhalten oder Pferdehufe, wie sie im Gleichschritt auf die Straße treffen. Dann ist es wieder still. Gedanken kommen und gehen. Still werden und den Kopf ausschalten – das ist gar nicht so leicht.

Diese Befürchtung hatte auch Beate Lippert, Gemeindereferentin im Bistum Fulda, als sie vor zwölf Jahren zum ersten Mal nach Juist für ihre Schweigeexerzitien gekommen ist. Vor Ort hat sie aber eine ganz andere Erfahrung gemacht: „Mir ist nicht das Schweigen schwergefallen, sondern das Reden danach.“ Seitdem achtet sie darauf, dass sie nach den Exerzitien mindestens einen Tag Zeit hat, bevor sie wieder in den Alltag zurückkehrt. Die Ruhe auf der Insel und die bewusste Zeit mit Gott haben Lippert so gutgetan, dass sie schon zum zehnten Mal Exerzitien auf der Insel macht.

Auch Ruth Rust ist seit zwölf Jahren regelmäßig dort. Die gelernte Krankenschwester verbringt hier eine stille Zeit. Sie sagt, dass sie auf der Insel gelernt hat, Gott in allen Dingen zu finden und sich mit ihm zu verbinden. Diese Erfahrungen nimmt sie mit in ihren Alltag. Auch Lippert erzählt, dass sie nach den Exerzitien immer den Wunsch hat, das neu Gelernte mit nach Hause zu nehmen. „Beim letzten Mal bin ich kurz vor der Abreise zur Kirche gefahren und habe dort einen Regenbogen gesehen, der sich von der Insel zum Festland gestreckt hat. Da hatte ich Gänsehaut“, erzählt sie.

Jedes Jahr sieht Schwester Michaela bekannte Gesichter. Viele Besucher kommen wieder auf die Insel – auch für die Stille. Sie hat schon öfter die Rückmeldung bekommen, dass die Exerzitanten und Urlauber die Meditationszeiten gewissermaßen mit nach Hause nehmen. Schwester Michaela nennt diese Gemeinschaft aus still betenden Menschen ein „Leutekloster“. Sie sagt: „Das sind alles ganz normale Menschen, die der Sehnsucht in ihrem Inneren folgen.“

Das Wort Kloster – lateinisch claustrum – heißt geschützter Ort oder Klausur. Für Schwester Michaela gehören alle Menschen zu dem Leutekloster dazu, die an welchem Ort auch immer bewusst mit sich in Klausur gehen und Gott in der Stille suchen. „Das Leutekloster ist für jeden und jede offen. Man braucht hier keinen Antrag zu stellen oder ein Aufnahmeritual zu durchlaufen. Es ist ein ganz feines Netz der Verbindung im schweigenden Beten.“

Für das Bistum Osnabrück schreibt Schwester Michaela regelmäßig Blog-Beiträge.
Weitere Informationen zu den Exerzitien gibt es hier.

Jasmin Lobert