Anfrage
Die zusammengestückelten Lesungen
Sie sind mit Ihrer Kritik nicht allein. Egal, ob Bibelwissenschaftler oder Gottesdienstbesucher: Immer wieder wird die Auswahl und die Zusammenstellung der Lesungstexte kritisiert. Dabei hatten diejenigen, die dafür zuständig waren, sicher nur Gutes im Sinn.
Die erste gute Absicht: Die Lesungen sollen nicht zu lang sein, damit die Aufmerksamkeit der Zuhörenden nicht erlahmt. Deshalb werden Verse ausgelassen, allerdings so – heißt es in der Einführung ins Lektionar –, „dass der wesentliche Inhalt unversehrt bleibt“. Ob das immer gelungen ist, darüber kann man streiten.
Für die Evangelien gibt es darüber hinaus gar nicht so selten Lang- und Kurzfassungen. Ein Klassiker ist am Ostersonntag die Ostererzählung nach Johannes. Langfassung:20,1–18; Kurzfassung: 20,1–9. Weggelassen in der Kurzfassung ist die Begegnung von Maria Magdalena mit dem Auferstandenen – viele würden sagen: ein zentraler Teil der Geschichte. Welche Fassung jeweils gelesen wird, entscheidet der Zelebrant.
Die zweite gute Absicht: die Zuhörenden nicht verwirren oder überfordern. In der Einführung ins Lektionar heißt es, dass manche Abschnitte „den einen oder anderen Vers enthalten, der aus seelsorglichen Erwägungen weniger vorteilhaft ist oder zu schwierige Probleme aufwirft“. Deshalb habe man diese weggelassen. Na ja, mag man kritisieren: Ein bisschen patriachal-klerikal ist diese Begründung aus heutiger Sicht vielleicht schon.
Unstatthaft ist es hingegen nicht, schon deshalb, weil das Lektionar für den weltweiten Gebrauch von höchster päpstlicher Stelle approbiert ist – übrigens mit dem Hinweis, dass „die Tradition den Brauch, einzelne Verse auszulassen, schon lange kennt“. Formal gesehen wäre es eher unstatthaft, die Auslassungen im Gottesdienst selbstbestimmt wieder hineinzunehmen und etwa direkt aus der Bibel einen ganzen Abschnitt zu lesen. Das empfehlen manche Bibelwissenschaftler.
Mein Rat: zu Hause selbst in die Bibel schauen. Da erfährt man dann manchmal so manches Neue.