US-Theologe im Interview über die Bedrohung der amerikanischen Demokratie
"Diese Gefahr ist sehr real"
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Donald Trump scheint realistische Chancen zu haben, wieder zum Präsidenten der USA gewählt zu werden. Wie denken die Katholiken im Land darüber?
Die katholische Kirche in den USA ist gespalten: Etwa die Hälfte wählt demokratisch, etwa die Hälfte republikanisch. Weiße Katholiken wählen eher Republikaner, nichtweiße Katholiken eher Demokraten. Und jeder Bundesstaat hat seinen sehr eigenen Katholizismus.
Was ist mit den Bischöfen?
Die US-Bischofskonferenz hat noch kein spezifisches Statement zur Präsidentschaftswahl abgegeben, aber sie hat bei ihrer letzten Vollversammlung im November 2023 in Baltimore einen Leitfaden herausgegeben, den sie vor der Wahl unter Katholikinnen und Katholiken verbreiten will. In diesem Leitfaden nennen die Bischöfe Themen, auf die Katholiken vor allem achten sollten. Und das Thema Nummer eins, das Thema mit herausragender Priorität, ist für sie das Thema Abtreibung.
Wie bewerten Sie das?
Das ist natürlich eine Botschaft, die automatisch als Unterstützung der Republikaner gewertet wird, die als Anti-Abtreibungspartei gelten – wozu auch Donald Trump in seiner ersten Präsidentschaft beigetragen hat. Er hat drei konservative Richter am Supreme Court eingesetzt …
… also am Obersten US-Gericht …
… und der Supreme Court hat 2022 das landesweit geltende Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt. Die Entscheidung über ein Abtreibungsrecht liegt seitdem wieder bei den einzelnen Bundesstaaten.
Mehrere Bundesstaaten haben in der Folge Abtreibungen zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft verboten, andere haben die Regelungen massiv verschärft.
Der Supreme Court hat durch seine Entscheidung der katholischen Pro-Life-Bewegung ihre Agenda geraubt und sie vollständig mit dem Trumpismus identifiziert. Die Pro-Life-Bewegung wiederum sieht in Trumps Richterernennungen einen historischen Erfolg. Die Katholiken und die Bischöfe, die Abtreibung als das Thema Nummer eins betrachten, sind also für Trump – zumal Joe Biden die Verteidigung von Abtreibungsrechten zu einem Thema seiner Präsidentschaft gemacht hat. Eine Minderheit der Bischöfe hingegen sieht die Fokussierung auf dieses eine Thema skeptisch und fragt auch, ob Abtreibungen nicht viel eher durch eine bessere Sozial- und Familienpolitik verhindert werden könnten. Die Haltungen zu Trump und Biden heute ähneln also denen von 2020, vor der letzten Präsidentschaftswahl – wobei damals etwas anders war.
Was meinen Sie?
Der Unterschied ist: Vor der letzten Wahl wussten die Bischöfe noch nicht, dass Donald Trump nach der Wahl versuchen würde, das Ergebnis zu fälschen, Lügen und Verschwörungsmythen über Joe Bidens Wahl zu verbreiten und einen Coup gegen Amerikas Demokratie zu starten. Jetzt wissen sie, dass Trump all das getan hat. Aber für jene Bischöfe, die Trump schon vor vier Jahren unterstützt haben, scheint das keine Rolle zu spielen. Trumps Angriffe auf die Demokratie machen in ihren Augen und auch in denen vieler Katholiken keinerlei Unterschied. Das ist schockierend.
Welche Haltung steckt dahinter?
Die Botschaft ist: Wir Bischöfe und wir Katholiken interessieren uns nicht für die Demokratie. Für uns ist das Thema Abtreibung viel wichtiger als die Demokratie. Und eine demokratische Kultur, die aus Abtreibung ein gesetzlich verbrieftes Recht gemacht hat, verdient es nicht, verteidigt zu werden.
Das klingt verstörend.
Ja, aber so ist es. In den Diskussionen der Bischofskonferenz im vergangenen November ging es überhaupt nicht um die Gefahr, in der die Demokratie sich gerade befindet. Dabei sind Amerikas Katholiken in der Geschichte immer ein Teil der US-Demokratie gewesen. Aber jetzt ist nicht klar, ob sie mehrheitlich noch Teil der Demokratie sind oder schon Teil der antidemokratischen Bewegung.
Wie erklären Sie sich das? Es passt doch gar nicht zu christlichen Werten, gegen die Demokratie zu sein.
Natürlich nicht! Aber für viele US-Bischöfe passen Demokratie und Christentum nicht mehr unbedingt zusammen. Diese Bischöfe sind nicht für eine Diktatur – zumindest jetzt noch nicht. Aber sie haben die Idee aufgegeben, dass christliche Werte von der demokratischen Partei repräsentiert werden können, die eine Partei der Abtreibungsrechte, der LGBTQ-Rechte, der Genderkultur geworden ist. Sie sehen in Trump nicht die Lösung. Aber sie sehen in ihm jemanden, der letztlich glaubwürdiger als Joe Biden ist. Sie wissen, dass Donald Trump korrupt ist und dass er kein Christ ist. Aber sie hoffen, dass er das aktuelle System aufbrechen kann, das ihnen fremd geworden ist.
Haben Sie Verständnis für dieses Fremdheitsgefühl?
Ich sehe zumindest einige Anzeichen, die ihnen helfen, ihre Meinung zu rechtfertigen. Die Unterstützung Trumps ist nicht nur ein Problem von Menschen, die irregeleitet oder gehirngewaschen sind. Es gibt eine echte Krise demokratischer Werte in diesem Land. Die liberale Demokratie hat einige Leute reicher und viele Leute ärmer gemacht. Zugang zu guter Bildung ist unfassbar teuer geworden. Trump ist das bewusst, er ist ein böses Genie. Und er nutzt diese Unzufriedenheit für seinen Plan, die Demokratie zu zerstören. Und die republikanische Partei ist nur noch eine leere Hülle, da ist nichts mehr außer ihm. Sie ist geworden wie Trump: eine reaktionäre Partei der Wut und Rache.
Oft ist zu lesen, dass Trump nicht nur extrem rachsüchtig sei, sondern dass sein Team anders als bei seiner ersten Wahl auch gut vorbereitet sei für seinen Frontalangriff auf die Demokratie. Ist es nicht dramatisch, dass Bischöfe so etwas ignorieren?
Natürlich! Ich habe gerade die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zu Russlands Angriffskrieg in der Ukraine gelesen. Sie zeigt, was dabei herauskommt, wenn Bischöfe lesen, denken und schreiben können. Bei vielen Mitgliedern der US-Bischofskonferenz ist das nicht mehr der Fall.
Das klingt hart.
Aber so ist es. Die US-Bischofskonferenz ist eine Ansammlung von Verwaltern lokaler Kirchen, die einen rein administrativen Job machen. Vielen der Bischöfe fehlt die Fähigkeit, intellektuell zu verstehen und zu analysieren, was auf der Welt passiert und wie sehr die Demokratie in den USA in Gefahr ist. Im Januar 2021, als ein gewalttätiger Mob aus Trump-Anhängern das Kapitol gestürmt hat, haben wir gesehen: Diese Gefahr ist sehr real. Aber die Bischöfe haben damals Tage gebraucht, bevor sie irgendetwas dazu gesagt und erklärt haben, die Demokratie sei es wert, verteidigt zu werden.
Donald Trump hat seine Gegner kürzlich als „Ungeziefer“ bezeichnet, das man „ausrotten“ müsse. Manche sehen darin die Sprache eines Faschisten. Befürchten Sie, dass die USA durch Trump ein faschistisches Land werden könnten?
Ich glaube nicht, dass wir hier Angst haben müssen vor einem Faschismus, wie es ihn in Deutschland und Italien in den 1930er Jahren gegeben hat. Wir sollten eher Angst haben vor einem System wie in Ungarn heute – vor einer schrittweisen Zersetzung des demokratischen Geists und der demokratischen Institutionen, etwa einer unabhängigen Justiz. Es könnte normal werden, Menschen ohne fairen Gerichtsprozess ins Gefängnis zu stecken. Donald Trump hat längst angefangen, den demokratischen Geist anzugreifen – und das wird von vielen Menschen akzeptiert.
Warum?
Weil sie die Demokratie verachten. Sie glauben, dass die Demokratie ein Theater ist, das nicht liefert, was sie wollen. Zudem ist die amerikanische Gesellschaft geprägt von einer massiven Vereinsamung vieler Menschen. Es gibt nur noch wenige Menschen, die sich zusammentun, um gemeinsam für etwas Gutes zu kämpfen – wie in Deutschland bei den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD. Die Menschen in den USA kaufen von zu Hause aus bei Amazon, sie schauen zu Hause Fernsehshows, sie arbeiten zu Hause, und so viele von ihnen wie nie zuvor leben allein. Diese Vereinzelung hilft Politikern wie Trump, Angst zu schüren – und eine postmoderne Version des Faschismus durchzusetzen. In gewisser Weise hat dieser postmoderne Faschismus schon in Trumps erster Präsidentschaft begonnen. Und ich fürchte, die Verteidiger der Demokratie sind jetzt schwächer als damals.
Interview: Andreas Lesch
Zur Sache: Theologe aus Pennsylvania
Massimo Faggioli ist Professor für Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Villanova im US-Bundesstaat Pennsylvania. Der Italiener schreibt für international renommierte katholische Magazine.