Kürzungen bei Freiwilligendiensten

Ein System gerät ins Wanken

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Freiwilligendienste: Zeit und Zuwendung
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Zeit und Zuwendung: Freiwillige ermöglichen zusätzliche Angebote in den Einrichtungen.

Die Bundesregierung plant drastische Kürzungen bei den Freiwilligendiensten. Jede dritte Stelle droht künftig wegzufallen. Träger wie die Caritas warnen, das sei ein großer Verlust. Und es regt sich Widerstand.

„Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Diesen Satz hört Michael Ziegler immer wieder, wenn er mit jungen Erwachsenen spricht, die sich für einen Freiwilligendienst entschieden haben. Er betreut jedes Jahr rund 350 bis 400 Freiwillige im Bistum Limburg. „Sie sagen, dass sie selbstsicherer geworden sind, sie haben das Gefühl, endlich etwas Sinnvolles getan zu haben“, sagt Ziegler. 

Die Freiwilligen arbeiten für ein Jahr in Kitas, Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen, der Alten- oder Wohnungslosenhilfe und erhalten im Bistum Limburg ein Taschengeld von 479 Euro monatlich. Deutschlandweit haben 2021/22 rund 111 000 junge Erwachsene ein Freiwilligenjahr absolviert.

Künftig drohen Stellen wegzufallen. Die Bundesregierung plant deutliche Kürzungen bei der Förderung der Freiwilligendienste. Die Mittel sollen von 207 Millionen Euro auf 134 Millionen Euro im Jahr 2025 verringert werden. Bei den Jugendfreiwilligendiensten soll es von 120 Millionen auf 80 Millionen zurückgehen. „Diese Kürzungen können das ganze System ins Wanken bringen“, sagt Karin Vorhoff, Leiterin des Referats Soziale Lebenslagen und Solidarität im Deutschen Caritasverband. Hier lege man „gerade massiv die Axt an.“ 

Ein Freiwilligendienst könne nur erfolgreich sein, wenn er gut begleitet werde, sagt sie. Die Freiwilligen treffen sich in Seminaren, werden intensiv begleitet, haben Ansprechpartner. All das wird über Pauschalen finanziert. Gibt es künftig weniger Freiwillige, stehen den Einrichtungen weniger Mittel zur Verfügung. „Dennoch muss dem Dozierenden das gleiche Honorar und dieselbe Raummiete gezahlt werden“, sagt Vorhoff. Sie befürchtet, dass jede dritte Stelle wegfallen könnte, vor allem in kleineren Einrichtungen.

Dabei profitieren vom Freiwilligendienst nicht nur die jungen Menschen. Für die Einrichtungen „ist es eine fantastische Möglichkeit, Einblicke in unsere Arbeitsfelder zu geben“, sagt Vorhoff. So kann es gelingen, dringend benötigte Arbeitskräfte zu gewinnen. Außerdem sind zusätzliche Angebote möglich: Die Jungen helfen bei der Förderung von Kindern oder verbringen Zeit mit Senioren – etwas, wofür Mitarbeiter im regulären Alltag kaum Zeit haben.

Verständnis zwischen sozialen Schichten wächst

Auch gesellschaftlich seien die Freiwilligendienste ein Gewinn, sagt Ziegler. „Durch die begleitende Bildungsarbeit kommen Jugendliche aus unterschiedlichen Schulformen zusammen, die sonst nichts miteinander zu tun hätten.“ Er erinnert sich an einen Jugendlichen, der in der Wohnungslosenhilfe gearbeitet hat. „Er sagte, er werde nie mehr behaupten, es könne ihm nicht passieren, auf der Straße zu landen. Auch da wächst ein gegenseitiges Verständnis zwischen den sozialen Schichten“, sagt Ziegler. 

Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, haben sich Freiwillige zusammengeschlossen und eine Petition gestartet. Sie fordern unter anderem eine Verdreifachung der Mittel durch Bund und Länder. Weil sie schon mehr als 100 000 Unterschriften gesammelt haben, muss sich nun der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags mit der Frage befassen.

Kerstin Ostendorf