Ausstellung "Zeitenwende 1400“ im Dommuseum
Ein wichtiges Zentrum des Nordens
Hereinspaziert! Die größte und aufwendigste Sonderausstellung der vergangenen Jahre im Dommuseum hat seit Sonntag geöffnet. „Zeitenwende 1400“ nimmt die Besucher mit auf eine spannende Reise in die Vergangenheit. Denn vor 600 Jahren war Hildesheim in kultureller, politischer und wirtschaftlicher Sicht eine Metropole.
Ja, es waren turbulente Zeiten, auch damals schon, vor 600 Jahren. Naturkatastrophen versetzen die Menschen in Angst und Schrecken, Kriege verheeren immer wieder Teile Europas, Epidemien fordern ungezählte Opfer. Aber auch der Fortschritt zieht unaufhaltsam seine Kreise, neue Ideen von Gott und der Welt werden entwickelt, der Handel blüht. Und wer Geld hat, zeigt das gerne und mit Vorliebe durch imponierende Bauten. Die Zeitenwende um 1400, vor allem mit Blick auf Norddeutschland und Hildesheim, wird in den kommenden Monaten im Dommuseum neu zum Leben erweckt – mit knapp 100 kostbaren Exponaten, zum Teil aus eigenem Bestand, zum anderen aber vor allem von internationalen Leihgebern: Museen in Cleveland, New York und Florenz, die über herausragende Mittelalter-Sammlungen verfügen.
Museumsdirektorin Claudia Höhl ist beim Rundgang durch eine echte Mammutausstellung die Begeisterung anzumerken. Die Anspannung der vergangenen Wochen und Monate bei ihr und dem ganzen Team hat sich gelegt, jetzt hofft sie auf den gebührenden Zuspruch: „Wir wünschen uns viele neugierige Besucher, die sich mit dem spannenden Thema Zeitenwende befassen wollen.“
Zum Einstieg die Schlagzeilen jener Zeit
Interessante Anknüpfungspunkte werden in Hülle und Fülle angeboten. Schon die Einstimmung mit Schlagzeilen jener Zeit, die wie ein News-Ticker große Ereignisse anreißen, macht deutlich, dass es hier nicht staubtrocken zugeht. Allerdings – um das vorweg zu nehmen – wäre es hilfreich, mehr zu den Objekten zu erfahren als auf den Beschriftungen zu lesen ist. So bleibt dem, der intensiver in die Materie eintauchen will, nur der Katalog zur Ausstellung, übrigens ein durchweg zu empfehlender Wälzer, spannend zu lesen und mit 400 Seiten immerhin um ein Viertel umfangreicher als ursprünglich geplant. „Weil im Rahmen der vorbereitenden Forschungen so viele neue Ergebnisse ans Tageslicht gekommen sind“, sagt Höhl.
Welches Bild von Hildesheim müssen wir uns vorstellen, wenn wir durch die Ausstellung gehen? Wir sollten vor Augen haben, dass hier – anders als im benachbarten Hannover („zu der Zeit noch ein eher unbedeutendes Kaff“, so die Museumsdirektorin) – die Musik spielte. Als Bischofssitz – hier hat Bischof Gerhard vom Berge als spiritueller Impulsgeber beispielsweise durch die Gründung des Kartäuser-Klosters eine wichtige Rolle – ist es ohnehin eine Hausnummer. Besonders nachhaltig wirkt sich sein Sieg in der Schlacht von Dinklar 1367 gegen den Herzog von Braunschweig aus, mit dem er die wirtschaftliche und politische Lage stabilisiert. Eine Reise zum Papst, der damals vom französischen Avignon aus die Christenheit führt, ist entsprechend der Zeit zwar beschwerlich, aber keine Seltenheit. Der Dom wird ausgebaut und zu einem Zentrum für Pilger von Nah und Fern. Die religiöse Inszenierung, die Selbstdarstellung läuft zu Höchstform auf, man will zeigen, was man hat, Eindruck schinden zum Beispiel durch die vielen Reliquien, von denen eine kleine Auswahl zu sehen ist. Sie stammen wie ein chinesisches Seidenkissen aus allen Teilen der damals bekannten Welt und locken die Menschen nicht nur als fromme Beter an. „Frömmigkeit und Kulturtourismus, verbunden mit der Lust am Exotischen, standen schon vor 600 Jahren im engen Zusammenhang“, sagt Claudia Höhl und verweist auf die erste Reiseliteratur, eine Art Museumsführer.
Nicht nur als religiöses Zentrum, auch wirtschaftlich spielt Hildesheim um 1400 eine wichtige Rolle. Noch bevor andere Städte sich zur Hanse zusammenschließen, agieren hier die Kaufleute als Global Player, haben Kontakte in den gesamten Ostseeraum. Und wer sich der Medizin verschrieben hat, bildet sich in Paris fort. Auch wenn sich woanders in Europa politische Umwälzungen ankündigen – die Türken beispielsweise dringen bald immer weiter nach Westen vor – und die Reformation sich mit all ihrer Sprengkraft ankündigt – beim Konzil von Konstanz wird der Reformator Jan Hus 1415 als Ketzer verbrannt – ist Hildesheim eine Stadt, die in voller Blüte steht. Die markante Pfarrkirche St. Andreas wird gebaut, neue Klöster und Hospitäler verändern das Stadtbild und prägen es bis heute. Kirche und Bürger haben Geld und können es sich leisten, die großen Künstler jener Zeit zu beauftragen. „Damals wie heute gilt: Ohne Moos nichts los“, bringt es Museumsdirektorin Claudia Höhl locker auf den Punkt.
Die erhaltenen Werke dieser Künstler, die heute in den großen internationalen Museen beherbergt sind, erzählen auf ganz unterschiedliche Weise von den verschiedenen Ebenen, auf denen Hildesheim in das europäische Netzwerk verknüpft war. Hier spielt vor allem Frankreich als Zentrum elegant höfischer Kunst eine große Rolle, deren Anregungen gerne aufgegriffen werden. Und man versucht, den Verhältnissen entsprechend, mobil zu sein. Ein Beispiel dafür ist der Domherr Lippold von Steinberg, der sich als Pilger auf den Weg nach Palästina macht.
Die Frömmigkeit wird alltagstauglich
Die Fraterherren – sie predigen eine eher praktische, alltagstaugliche Frömmigkeit – und andere geistliche Gemeinschaften bringen die Ideen der „Devotio moderna“ in die Stadt: Glaube wird als direkter Akt zwischen Mensch und Gott definiert und Bildung als Voraussetzung dafür vorangetrieben. In dieselbe Richtung gehen die Bemühungen des Nikolaus Cusanus, dessen Besuch in Hildesheim 1452 durch die nach ihm benannten Tafeln mit den wichtigsten Gebetstexten dokumentiert ist. Diese Tafeln waren auch andernorts angebracht und sind, noch bevor Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte, als Ausdruck der Reformbemühungen der Kirche in der jeweiligen Landessprache gehalten.
Gold und Brokat, Schnitzkunst allererster Güte, herausragende Dokumente, sakrale Gefäße und ganz profane Geräte wie ein Schröpfkopf, der in einem der damals neuen Badehäuser zum Einsatz kam – jedes Objekt hat den Platz, den es braucht, nichts ist gedrängt oder wirkt überladen. Das ist das Angenehme bei dieser so reichen Ausstellung. Hoffentlich übersieht der Besucher nicht eines der Highlights: eine kleine Madonna aus Elfenbein, die gerade in ihrer Schlichtheit so anrührend ist. So unterschiedlich und facettenreich die ganze Pracht auch ist, fügt sie sich dann doch zu einem faszinierenden Bild dieser Zeitenwende. Hat Museumsdirektorin Höhl bei dieser Auswahl ein persönliches Lieblingsobjekt? Ja, sagt sie, die Darstellung des heiligen Georg als Drachentöter aus dem Retabel des Hildesheimer Trinitatishospitals und das Motiv des Ausstellungsplakats.
Stefan Branahl