Gewalt gegen Frauen: Zwei Betroffene berichten

Endlich frei

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Illustration einer Frau im Profil
Nachweis

Illustrationen: istockphoto/chuteye

Jahrelang haben Sara Malik und Jasmin Fischer unter ihren gewalttätigen Männern gelitten. Irgendwann haben sie den Mut gefunden, sich von ihnen zu trennen. Sie haben Hilfe im Schutzhaus des Sozialdienstes katholischer Frauen gesucht. Und bauen sich ein neues Leben auf.

Sara Malik zeigt ein Foto auf ihrem Handy. Darauf sitzt sie unter einem Baum, um sie herum ihre Kinder. Sie legen einander die Arme auf die Schultern und schlecken Eis. Eine glückliche Familie.  

Das Foto ist Malik wichtig. Für sie ist nichts kostbarer als das Zusammensein mit ihren Kindern. Zwei Töchter leben mit ihr in einem Frauen- und Kinderschutzhaus in Norddeutschland. Eine Tochter und ein Sohn haben sich entschieden, bei ihrem Vater wohnen zu bleiben, im Haus der Familie. Maliks Augen strahlen, als sie erzählt, dass sie in wenigen Stunden wieder alle zusammenkommen werden, am Nachmittag, nach dem Termin mit der Reporterin. 

Vier Wochen später in der gleichen Stadt: Jasmin Fischer zittert am ganzen Körper, während sie spricht. Sie ist elegant gekleidet, mit Hosenanzug und weißen Sneakern, schön geschminkt mit etwas Glitzer auf dem Lid. Auf einer Parkbank sitzt sie aufrecht, lehnt sich ein wenig nach vorne und beginnt zu reden. Über das, was ihr passiert ist. Auch sie hat eine Zeitlang im Schutzhaus gewohnt. Mittlerweile hat sie eine eigene Wohnung für sich und ihre Tochter gefunden. „Früher habe ich nach fünf Minuten angefangen zu weinen“, sagt sie. Jetzt hat sie Distanz gewonnen. Es ist, als ob sie von außen darauf schaut. Sie sagt: „Ich bin raus aus der Geschichte. Sie handelt davon, wie ich in einem anderen Leben überlebt habe.“

Malik und Fischer haben sich von ihren gewalttätigen Männern getrennt. Sie erzählen davon, wie schwer das ist und wie es ihnen gelungen ist. 

Alle Namen und familiären Details in diesem Text sind geändert, um die Frauen und ihre Kinder nicht zu gefährden. Die Ex-Männer leben noch immer in ihrer Nähe. Zwar haben die Frauen Kontakt- und Näherungsverbote erwirkt. Doch Polizei und Medien berichten täglich von Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen. Das Bundeskriminalamt zählt 360 Femizide, also gezielte Tötungen von Frauen und Mädchen, für das Jahr 2023 in Deutschland. In 155 dieser Fälle sind Frauen zu Opfern ihres Partners oder Ex-Partners geworden. 

Illustration eines Mannes, der eine Frau anschreit
Zu Hause fällt es vielen Frauen schwer, sich gegen ihren gewaltätigen Partner zu wehren. 
Illustration: istockphoto/Chuteye

Malik hat 17 Jahre mit ihrem Mann zusammengelebt, bevor sie ins Schutzhaus gezogen ist, Fischer fünf Jahre. Bei beiden hat die Gewalt nach der Hochzeit angefangen und nicht mehr aufgehört. Erst Drohungen: „Du wohnst in meinem Haus, also musst du machen, was ich will!“ Dann Schreie, Beschimpfungen, grundlose Vorwürfe: „Du prostituierst dich! Du hast mit einem anderen geschlafen!“ Schließlich Schläge, Tritte, Einsperren. Sex ohne Spaß, um vielleicht die Beziehung zu retten. Und Vergewaltigungen, täglich, jahrelang. 

Maliks und Fischers Geschichte ist die Geschichte vieler Frauen. Häufig wissen Nachbarinnen und Freunde Bescheid, was da zu Hause passiert. Sie geben Tipps, wo es Hilfe gibt. Und doch bleiben die Frauen noch Jahre bei ihren Männern. „Laut Statistik brauchen Frauen bis zu sieben Anläufe, um eine Trennung zu vollziehen“, sagt Martina Meier, die als Sozialarbeiterin die Frauen in einem Schutzhaus des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Norddeutschland unterstützt.

Während Fischer im Schutzhaus wohnte, beobachtete sie, dass viele Frauen nach zwei Wochen zurück zu ihrem Mann gehen. Laut Statistik kehren 16 Prozent in die Gewaltsituation zurück, aus der sie zuvor geflohen sind. Viele kommen mehr als einmal ins Schutzhaus. Manche schaffen nach dem zweiten oder dritten Mal die Trennung von ihrem Mann.

Fischer sagt, dass der Papierkram, den der Einzug ins Frauenhaus mit sich bringt, vielen Angst macht. Doch der ist notwendig, denn hinter den Anträgen stehen Probleme, die gelöst werden müssen: Wie finanziere ich künftig mein Leben? Wie kommen die Kinder zur Schule oder zur Kita? Wie schütze ich sie und mich? Die Sozialarbeiterinnen helfen den Frauen dabei, Anträge – zum Beispiel für Bürgergeld – zu stellen, oder das Kindergeld selbst zu bekommen, das bisher der Partner bezogen hat. Sie helfen ihnen, ein eigenes Bankkonto einzurichten oder den staatlichen Unterhaltsvorschuss für ihre Kinder zu erhalten, solange der Vater keinen Unterhalt zahlt. 

Er hat ihr die Konten gesperrt

„Das Frauen- und Kinderschutzhaus ist keine Wohlfühloase“, sagt die Sozialarbeiterin Meier. „Am Anfang sind es viele Aufgaben, die auf die Bewohnerinnen zukommen.“ Doch das sei „die erste Hürde, die sie im Leben nehmen müssen. Danach wissen sie: Es ist schwer, aber ich habe es geschafft.“ Es gebe Frauen, die im Schutzhaus zum ersten Mal ein Formular ausfüllen, erzählt Meier. Sie sagten: „Das musste ich zu Hause nie tun, das hat immer er erledigt.“ Nur unterschrieben haben diese Frauen oft eine Menge. Zum Beispiel die Kredite für das Haus, die sie mit abbezahlen, oder die Vollmacht des Mannes für ihr Konto. 

Für Malik wurde das zum Problem. Als sie im Schutzhaus ankam, konnte sie kein Geld mehr abheben, weil ihr Mann die Konten von ihr und ihren Kindern gesperrt hatte. Geld hatte sie auch vorher kaum; obwohl sie zeitweise in der Firma ihres Mannes arbeitete, zahlte er ihr keinen Lohn.

Die finanzielle Abhängigkeit ist nur einer der Gründe, warum bis zur Trennung oft Jahre vergehen. Den ersten Versuch, vor ihrem Mann zu fliehen, unternahm Malik 2013. Ihr Sohn war noch ein Baby. Malik hatte ihre Sachen gepackt und die Dokumente zusammengesucht. Sie war auf dem Weg ins Schutzhaus, doch dann kehrte sie wieder um. Damals sagte sie sich: „Der Kleine verdient es, seinen Vater an der Seite zu haben.“ 

Sozialarbeiterin Meier sagt, solch eine Haltung sehe sie häufig: „Es sind die Frauen, die ein schlechtes Gewissen haben.“ Oft erklärten sie, dass sie dem Kind nicht den Vater wegnehmen wollen. Die Frage, ob der Vater sein Kind denn bisher wahrgenommen hat, stellten sie sich kaum.

Sie wollte ihm noch eine Chance geben

Grafik Femizid
Ein Femizid ist die Tötung einer Frau oder eines Mädchens aufgrund ihres Geschlechts – also weil sie weiblich sind. Besonders häufig geschieht dies durch Partner, Ex-Partner oder andere Männer aus dem nahen Umfeld. Die Grafik zeigt: Jede Woche werden in Deutschland etwa drei Frauen von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner getötet. Grafik: istockphoto/salim hanzaz

Fischer sagt: „Ich konnte mich von meinem Ex-Mann nie hundertprozentig trennen. Meine Hoffnung war, dass er irgendwann merkt, dass unser Kind die Hauptperson ist.“ Sie wollte ihm immer noch „eine Chance geben zu zeigen, dass er ein guter Vater sein kann“. 

Dahinter steht der Traum von der gelingenden Beziehung, die doch möglich sein muss. Schließlich haben die Frauen keinen Gewalttäter geheiratet. Sowohl Malik als auch Fischer erlebten ihre Männer vor der Hochzeit als Gentlemen, die ihnen eine gute Zukunft ermöglichen würden. Maliks Mann gründete eine Firma. Fischers Mann hatte ein Haus. 

Und „irgendwie wünscht sich jede Frau eine intakte Familie“, sagt Sozialarbeiterin Meier. „Gerade wenn sich Männer nach der Gewalttat entschuldigen und versprechen, sich zu ändern, sind Frauen schneller bereit, den Vätern eine weitere Chance zu geben, und hoffen, dass es jetzt besser wird.“ Doch in der Regel klappt das nicht. Malik und Fischer erzählen, dass die Gewalt schlimmer geworden sei, je öfter sie sich dagegen gewehrt, also zum Beispiel die Polizei gerufen hätten.

Die Frauen gewinnen durch ihre Flucht ins Schutzhaus zwar Sicherheit. Aber viele haben wie Malik das Gefühl, alles verloren zu haben. „Man lebt so lange mit einem Mann, man kauft ein Haus. Man gibt alles dafür, dass man ein schönes Leben mit den Kindern hat“, sagt sie. „Und dann muss man wieder von Null anfangen und steht ganz alleine da.“

Sie will andere Frauen inspirieren

Den Verlust spüren auch die Kinder. Maliks Sohn und eine Tochter haben sich geweigert, ins Schutzhaus mitzukommen. Malik ahnte schon, dass nicht alle Kinder mit der Flucht einverstanden sein würden. Deshalb erzählte sie ihnen, dass sie einen Ausflug in den Freizeitpark machen wollten. Als schließlich alle im Auto saßen, erkannten die Tochter und der Sohn, wohin sie eigentlich unterwegs waren, und schrieben dem Vater Textnachrichten: „Rette uns!“ 

Die Kinder fühlten sich stigmatisiert, denn die Mutter war schon einmal für ein paar Tage mit ihnen im Schutzhaus. Seitdem nennen sie es „Opferhaus“, erzählt Malik. Und Opfer, also Kinder einer schwachen Familie, wollen sie nicht sein. Auch deswegen hängen sie am Vater. „Der Papa wird als stark wahrgenommen, er hat Geld und bietet finanzielle Sicherheit“, erklärt Sozialarbeiterin Meier. Schließlich sei es den Jugendlichen wichtig, was sie sich leisten können und welchen Status sie bei ihren Freundinnen und Freunden haben.

Malik zeigt auf ihrem Handy Nachrichten, die sie schmerzen. Der Vater hat die Kinder gegen sie aufgebracht. Er gibt damit an, dass er ein Haus und ein Auto hat, im Gegensatz zur Mutter, die von Bürgergeld lebt. Nun schreibt der Sohn der Mutter, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle. Doch Malik nimmt solche Sätze nicht ernst. Sie sagt, ihre Kinder könnten „sagen, was sie wollen. Für mich sind sie meine Kinder“. Und sie strahlt dabei. 

Letztlich waren es die Kinder, deretwegen sich Malik und Fischer schließlich von ihren Männern getrennt haben und ins Schutzhaus gezogen sind. Bei Malik drohte das Jugendamt damit, die Kinder in Pflegefamilien unterzubringen, wenn die Eltern den Streit nicht beenden. Auch zu Fischer sagte der Verfahrensbeistand: „Wenn das so weitergeht, werden Sie Ihr Kind verlieren.“ Ihre Tochter musste zu Hause Krach, Schläge und Vergewaltigungen miterleben. Der Verfahrensbeistand vertritt den Willen der Kinder, wenn Eltern vor Gericht streiten.

Nun lebt sie mit ihrer Tochter nicht nur in einer eigenen Wohnung, mittlerweile hat sie auch das alleinige Sorgerecht bekommen. Nach der Trennung hat der Vater versucht, sie für psychisch krank erklären zu lassen, damit ihr das Sorgerecht entzogen wird. Vor Gericht behauptete er, seine Frau würde sich prostituieren und das Kind schlagen. An den Wochenenden hat er die Tochter gegen die Mutter aufgehetzt, sodass die Tochter die Mutter beschimpfte, nachdem sie vom Vater zurückgekehrt war. Mithilfe der Erzieherinnen im Kindergarten und der Sozialarbeiterinnen im Schutzhaus gelang es Fischer schließlich zu beweisen, dass die Anschuldigungen des Vaters nicht stimmen und dass sie gut für das Kind sorgt. 

Illustration von Mutter und Tochter
Im Frauenhaus können die Betroffenen  Verbündete finden, denen es ähnlich geht wie ihnen. 
Illustration: Istockphoto/chuteye

Zwar geht sie davon aus, dass der Sorgerechtsstreit noch nicht zu Ende ist. Doch in ihrem Alltag ist Ruhe eingekehrt. Sie sagt: „Die Beziehung zu meiner Tochter hat sich um hundert Prozent verändert.“ Die Kleine sei wieder konzentrierter und fühle sich zu Hause und im Kindergarten wohler als vor der Trennung. Sie selbst habe nun mehr Geduld mit ihr und hoffe, dass sich ihre Beziehung wieder verbessert. 

Malik akzeptiert, dass ihre Tochter und ihr Sohn bei ihrem Vater leben wollen. Sie wünscht sich nur, dass es den beiden gut geht. Über ihre Ehe sagt sie: „Es ist vorbei!“ Wie zum Beweis für ihre neue Unabhängigkeit hat sie sich nach wenigen Wochen im Schutzhaus eine Arbeit in einer Bäckerei gesucht. Letztlich hat sie die Stelle dann doch nicht angetreten. Die Sozialarbeiterinnen konnten sie überzeugen, dass es noch zu früh ist. „Die Kinder brauchten in der Trennungssituation mehr Zeit mit der Mutter“, sagt Meier. Sie lebten schließlich in einer neuen Stadt, gingen in eine neue Schule und in eine neue Kita. 

Ein weiteres Symbol für Maliks neue Freiheit parkt vor dem Haus. Sie hat einen alten Gebrauchtwagen gekauft, mit dem sie und die Kinder nun unterwegs sind. Ein Auto wie ein Zeichen: Seht her, ich sorge für mich und für euch! Malik sagt, sie wolle nun ein Vorbild sein, „wie man über seinen Schatten springt“. Fischer will mit ihrer Geschichte andere Frauen inspirieren. Sie sagt: „Es ist schwierig, aus so einer Situation herauszukommen, aber es ist nicht unmöglich.“

Barbara Dreiling