Impuls zur Sonntagslesung am 27. April 2025
„Er hat sehr viel Mut bewiesen“

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Malayattoor: Pilger steigen den Hügel zur syro-malabarischen Wallfahrtskirche St. Thomas hinauf.
„Mein Herr und mein Gott“ steht auf Englisch auf dem Sockel unter den weiß strahlenden Steinfiguren. Ein Mann kniet vor Jesus, sein Finger zeigt auf die Seitenwunde des Auferstandenen. Die Statue stellt den Apostel Thomas dar, wie er im Evangelium des Sonntags nach Ostern verkündet wird. Thomas war nicht bei den Jüngern, als sich Jesus nach der Auferstehung zeigte. Den Erzählungen seiner Brüder wollte er nicht glauben, „wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe“ und „meine Hand nicht in seine Seite lege“, heißt es im Johannesevangelium.
Acht Tage später zeigt sich Jesus auch dem zweifelnden Thomas und bietet ihm an, seine Hände in die Wunden zu legen. Ob er dies tatsächlich tut, bleibt unklar. Auf jeden Fall bekennt Thomas: „Mein Herr und mein Gott“. Ein kleines Glaubensbekenntnis. Wegen dieser Erzählung hat der Apostel den Beinamen „der ungläubige Thomas“ bekommen. Wenig schmeichelhaft und vor allem zu platt und undifferenziert.
Die Statue mit der biblischen Szene steht im Südwesten Indiens vor der St.-Thomas-Kirche in Kodungallur am Arabischen Meer. Etwas kitschig wirkt der Bau, der dem Petersdom nachempfunden ist. In dieser Gegend im heutigen Bundesstaat Kerala soll der Apostel Thomas im Jahr 52 n.Chr. auf seiner Missionsreise an Land gegangen sein. Eine für antike Verhältnisse unvorstellbare Strecke hatte er damit zurückgelegt.
Schätzungsweise sechs bis sieben Millionen Menschen berufen sich heute noch als Thomaschristen auf die Mission durch diesen als Ungläubigen gescholtenen Apostel. Rund 20 Prozent der 33 Millionen Einwohner Keralas sind Christen; eine Ausnahme in Indien. Im ganzen Land liegt der Anteil der Christen gerade mal bei gut zwei Prozent. Im Lauf der Jahrhunderte haben sich die Christen in Südindien in neun verschiedene Kirchen und Konfessionen aufgespalten. Die größte Gruppe ist die syro-malabarische katholische Kirche mit rund 4,5 Millionen Gläubigen. Die meisten indischen Priester, die in deutschen katholischen Gemeinden Dienst tun, gehören dieser Kirche an.
Sie sind Hindus, Christen und Chaldäer
In ihrer Heimat wird das Andenken an den Apostel Thomas besonders gepflegt. Nur wenige Kilometer von Kodungallur entfernt, auf einem Hügel in Malayattoor, steht eine Wallfahrtskirche. In diese Hügellandschaft soll Thomas sich häufig zum Gebet zurückgezogen haben. Am Sonntag nach Ostern zieht es tausende Gläubige hierher. Einige von ihnen mit nackten Füßen, andere mit großen Holzkreuzen beladen, pilgern sie den steinigen Hügel hinauf und beten an einem Kreuzweg. „Tausende Pilger aller Kasten und Religionen“ kommen dorthin, wie es auf verschiedenen indischen Webseiten heißt. Das ist Indien: Der Hinduismus kennt viele Götter, daher lässt sich auch der Gott der Christen einbauen.
Vielleicht sei das ein Grund für den Missionserfolg des heiligen Thomas gewesen, der zunächst einfach nur einen weiteren Gott mitbrachte, sagt Pater Jose Kuzhichalil. Der aus Kerala stammende Priester lebt und arbeitet im niedersächsischen Nordhorn. „Kulturell sind wir Hindus, gläubig sind wir Christen, liturgisch Chaldäer“, sagt er.
Die Chaldäer waren ein Volk im heutigen Irak, über den Thomas nach Indien kam. Sie sprachen Aramäisch, wie vermutlich auch Jesus. Noch bis 1962 war das die Liturgiesprache der syro-malabarischen Kirche. Ihre Gottesdienste werden im chaldäischen Ritus gefeiert, wie es die Katholiken etwa in Syrien auch tun.
In Kerala hat das Christentum Spuren hinterlassen. Nicht nur mit den Gedenkstätten für den heiligen Thomas. Auch in der Gesellschaft. Die Quote der Analphabeten ist hier verschwindend gering, ganz im Gegensatz zum restlichen Indien. So habe der Gründer seines Ordens, der „Karmeliten von der Unbefleckten Gottesmutter Maria“, schon im 19. Jahrhundert darauf Wert gelegt, dass jede Gemeinde eine eigene Schule hat, erzählt Pater Jose. Zu einer Zeit, als nur die oberste Kaste die indische Schriftsprache Sanskrit lernen durfte.
An den Vornamen erkennt man in Kerala, ob jemand Christ ist. Bei den Männern sei der beliebteste Name Josef, sagt Pater Jose. Dann folge aber auch schon Thomas. Am 3. Juli wird der Heilige in den Gemeinden mit großen Festen gefeiert. Auch am Ort, wo man Thomas 72 n.Chr. mit einem Speer ermordet haben soll.
„Indien war weit weg. So weit ging kein Mensch“
Im 16. Jahrhundert errichteten die portugiesischen Kolonialherren hier eine Kirche. In ihr steht ein Kreuz aus dem 8. Jahrhundert. Ein Beweis, dass hier schon sehr lange Christen leben. Dieser St.-Thomas-Hügel liegt heute mitten in der Millionenmetropole Chennai, am Golf von Bengalen an der Südostküste Indiens, rund 650 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Thomas den Subkontinent betreten haben soll.
Für Pater Jose ist Thomas alles andere als ein Ungläubiger. Er zählt zwei weitere Stellen im Johannesevangelium auf, in denen Thomas eine wichtige Rolle spielt. „Lasst uns mit ihm [Jesus] gehen, um mit ihm zu sterben“, sagt der Apostel im 16. Kapitel. „Er war kein Feigling“, sagt Pater Jose. „Aber er war ein einfacher Mensch, vielleicht etwas naiv.“ Denn an einer anderen Stelle sagt Thomas zu Jesus: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen?“
Der indische Priester verweist auf die ungeahnte Reise, die Thomas nach seiner Erfahrung mit Jesus auf sich genommen hat. „Indien war weit weg. So weit ging kein Mensch. Er hat sehr viel Mut bewiesen.“ Die Bibelstelle, in der von Thomas’ Zweifeln berichtet wird, beginnt mit den Jüngern, die ohne Thomas „aus Furcht vor den Juden hinter verschlossenen Türen beisammen waren“. Pater Josefragt: „Wo war Thomas denn da?“ Vielleicht hatte er eben keine Angst und war unterwegs, um zu schauen, was passiert ist. „Zweifel gehören zur Natur“, sagt er über die Skepsis des Thomas. Und der Zweifel hilft, im Glauben zu wachsen: „Tiefer Glaube entsteht nur, wenn es Schwierigkeiten gibt.“ Wie bei Thomas, der über seine Fragen zum Bekenntnis kommt: „Mein Herr und mein Gott.“