Schwerpunkt zur Bundestagswahl: Die Forderungen katholischer Verbände

Erst Wahl - und dann?

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Adler Bundestag
Nachweis

Foto: imago/imagabroker

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Der Adler im einem Sitzungssaal des Bundestags.

Die Parteien werben noch um Stimmen, wir schauen schon weiter – auf die Zeit nach der Bundestagswahl. Wir haben katholische Verbände gefragt: Was sind aus christlicher Sicht die wichtigsten Themen, die die neue Regierung bearbeiten muss? Hier sind ihre Antworten.


Entwickelt die Sozialpolitik zukunftsfest weiter!

Lebensgeschichten kennen Höhen und Tiefen. Wenn Krisen so groß werden, dass sie allein nicht zu bewältigen sind, bewährt sich das sozialstaatliche Netz. Fachliche Hilfen, qualifizierte ehrenamtliche Unterstützung und finanzielle Transfers stärken die Möglichkeit, neu anzufangen. Neben persönlichen sind es immer öfter die öffentlichen Krisen – ob Flutkatastrophe oder Pandemie – die uns vor Augen führen, wie unverzichtbar eine tragfähige soziale Infrastruktur ist.

Welskop-Deffaa
Eva-Maria Welskop-Deffaa. kna/Gordon Welters

In den kommenden Monaten wird es darum gehen, Sozialpolitik zukunftsfest weiterzuentwickeln: Wir brauchen gute Pflege und Kinderbetreuung, damit alte Menschen verlässlich versorgt werden können und Kinder gute Startchancen ins Leben vorfinden. Wir brauchen eine Familienpolitik, die frühe Hilfen stärkt, Sorgearbeit im Lebenslauf entlastet und partnerschaftliche Aufgabenverteilung unterstützt. Im Angesicht des demografischen Buckels wird eine faire Gestaltung der Beziehungen zwischen den Generationen zu einer zentralen Herausforderung.

Die sozialen Dienstleister müssen von der Digitalisierung profitieren können. Das Digitalministerium, das in der neuen Regierung geschaffen werden soll, darf nicht auf die gewerbliche Wirtschaft allein ausgerichtet sein. Ebenso muss Klimapolitik zu einer Klimasozialpolitik für alle werden: Wenn CO2-Preise als Anreiz für eine klimafreundliche Lebens- und Wirtschaftsweise steigen, braucht es Ausgleichsmechanismen. Explodierende Spritpreise und Heizungskosten können von Menschen mit kleinem Einkommen nicht geschultert werden. Die Sanierung maroder Brücken und Schienennetze hat hohe Priorität. Doch auch die Risse im sozialen Gefüge dürfen nicht ignoriert werden – sie werden schnell zu Gräben. 

Übereilt beschlossene Sparmaßnahmen mit dem Effekt, dass Beratungsstellen schließen oder Notschlafstellen ihre Kapazitäten reduzieren müssen, kommen uns über kurz oder lang teuer zu stehen. Wir wollen die Türen der Caritas offenhalten! Dafür brauchen wir die passenden Rahmenbedingungen – in Politik und Kirche.

Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes


Gebt jungen Menschen Raum! 

Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Viele Kinder und Jugendliche werden ihre Stimme nicht selbst abgeben dürfen, daher ist es wichtig, die Perspektive junger Menschen auf die aktuellen Fragen unserer Gesellschaft in den Blick zu nehmen und für ihre Interessen einzutreten. Als Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) machen wir uns dafür in unserer Demokratieoffensive „Generation jetzt!“ stark.  

Bloemacher
Lena Bloemacher. Foto: BDKJ/Mike Nonnenbroich

Junge Menschen werden mit einer Vielzahl von Krisen groß. Ihre Kindheit und Jugend war geprägt durch die Corona-Pandemie, sie sehen, dass es Krieg in Europa gibt, und spüren deutlich, dass die Klimakrise schon jetzt bedrohliche Auswirkungen auf unsere Welt hat. Sie erleben auch, dass Politik sich nicht für ihre Perspektive interessiert. 

Wir fordern, dass die kommende Bundesregierung sich den Anliegen junger Menschen verschreibt. Dass sie sich der verschiedenen Krisen ernsthaft annimmt und um gute Lösungen ringt, auch, wenn es politisch nachteilig erscheint. Die Regierung muss jungen Menschen den Raum geben, sich mit ihren Ideen einzubringen, sie muss mit der gesamten Gesellschaft diskutieren, wie wir gemeinsam den Herausforderungen der kommenden Zeit begegnen wollen.  

Junge Menschen wünschen sich eine Politik, die Probleme ernsthaft benennt und dann nach Lösungen sucht, die alle Menschen im Blick haben. Mit Sorge beobachten wir, dass das Erreichen eigener Erfolge im politischen Raum wichtiger scheint als das Ringen um gute Kompromisse für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung. Es ist unser aller Aufgabe, ein politisches Klima zu schaffen, in dem sich Menschen vielfältig einbringen können, ohne Angst vor Beleidigungen und extremen Anfeindungen haben zu müssen. Nur so können wir zu guten Ergebnissen kommen. 

Unsere Botschaft ist klar: Wir brauchen Mut, Visionen und konkrete Maßnahmen für eine gerechtere, sozialere und nachhaltigere Gesellschaft. 

Die Bundestagswahl ist dafür eine Weichenstellung. Die Zukunft beginnt jetzt und junge Menschen sind bereit, sie mitzugestalten!

Lena Bloemacher, Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ)


Setzt euch für eine fossile Quellensteuer ein!

Die Wirtschaft in Deutschland ist in gewaltige Turbulenzen geraten. Los Angeles hat gebrannt. Die Schäden durch die Klimakrise werden immer höher, berichtet der Rückversicherer Munich Re. Die Weltklimakonferenz in Baku 2024 war ein Flop. Und mit Präsident Trump zeichnet sich in den USA eine ökologische Rolle rückwärts ab.

Hemel
Ulrich Hemel. Foto: Daniel Hemel

Gerade für Christinnen und Christen gilt: Wenn wir große Aufgaben haben, müssen wir auch groß denken. Wir müssen und dürfen auch prophetische Impulse geben. Dazu kann der Einsatz für einen globalen Ökosozialfonds gehören, der über die Vereinten Nationen verwaltet wird und dessen Mittelvergabe an konkrete Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels geknüpft wird. Wenn wir wissen, dass China und Indien, nicht nur die USA und die OECD-Länder zu den größten CO2-Emittenten weltweit gehören, dann müssen wir sie mit ins Boot nehmen. 

Und das geht: Wir könnten uns für eine fossile Quellensteuer einsetzen, so dass für jede Tonne Erdöl und jeden Kubikmeter Gas eine entsprechende Abgabe zu zahlen ist, zum Beispiel fünf US-Dollar pro Tonne Öl. Bei einem Ölpreis von rund 70 Euro pro Barrel sind das sieben Prozent; durch die eh hohe Besteuerung kämen beim Benzinpreis rund drei bis fünf Cent pro Liter an. Das ist machbar!

Warum erwarte ich das von der Bundesregierung? Ohne eine konkrete Utopie werden wir zukunftsblind. Wir dürfen nicht in politischer Zaghaftigkeit verharren. Wir müssen wirklich ein Land der Ideen und Innovationen werden. Und wir müssen endlich lernen, die ökologische und die soziale Dimension zusammenzudenken. Wie der globale Ökosozialfonds für die Bewältigung von Klimafolgen in ärmeren Ländern gedacht ist, so brauchen wir auch ein sozial gestaffeltes Klimageld in Deutschland. Auch das geht: Denn wir wissen, wie genau das Einkommen von Menschen mit ihren CO2-Emissionen zusammenhängt. Und für die Wirtschaft benötigen wir viel stärker als in den letzten Jahren verlässliche Rahmenbedingungen, so dass jeder Unternehmer weiß, wie stark der CO2-Preis hierzulande in den nächsten zehn Jahren steigen wird. 

Ulrich Hemel, Ehrenvorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU)


Macht Politik für die Würde der Menschen!

„It’s the economy, stupid!” – „Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!“ Der Slogan, einst von Bill Clintons Wahlstrategen in die Welt gesetzt, ist nicht die Antwort auf alle Fragen. Jedenfalls ist das nicht die zentrale Perspektive für das ZdK. Handlungsleitend ist für uns vielmehr der Dreiklang aus Menschenwürde, Zusammenhalt und Zukunftsfähigkeit. Für uns als Vertretung der katholischen Gläubigen in Deutschland zählen die Prinzipien der katholischen Soziallehre: Gemeinwohl, Personalität, Solidarität und Subsidiarität. 

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Irme Stetter-Karp. Foto: kna/Dominik Wolf

Unsere Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die von den populistischen Parteien inszenierte Flucht im Rückwärtsgang führt nicht in eine bessere Zukunft, sondern in eine autoritäre Politik und außenpolitische Isolation. Umso wichtiger ist es, sich mit Haltung für Demokratie, Menschenrechte, aktive Teilhabe möglichst vieler und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft einzusetzen.

Wir fordern eine vorausschauende Sozialpolitik, die allen Menschen Bildungschancen und Teilhabe eröffnet, Wohnarmut als zentrale soziale Frage anerkennt und Verantwortungsgemeinschaften stärkt. Wir stehen für eine humane Migrationspolitik. Den unsachlichen Überbietungswettbewerb gegen Zugewanderte und Geflüchtete lehnen wir ab. Wir werben für tragende Antworten auf die existenziellen Fragen am Anfang und am Ende des Lebens. Die grauenvolle Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche lehrt uns, dass wir für alle Menschen in Deutschland verbindliche Standards zur Aufarbeitung und Prävention sexueller Gewalt brauchen. 

Wir erwarten kluge Investitionen für einen dauerhaften Frieden in Europa und weltweit. Das verlangt größere Anstrengungen als bisher, Diplomatie und Verteidigungsfähigkeit. Jeder Kriegstag ist ein Tag zu viel auf dieser Erde. Um dauerhaften Frieden zu schaffen, brauchen wir auch einen ambitionierten, sozial gerechten Klimaschutz und eine verlässlich finanzierte Entwicklungszusammenarbeit. „It‘s not only the economy, stupid!“ Es geht nicht zuerst um die Zahlen. Es geht um die Menschen und deren Würde.

Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)


Unterstützt den Wandel der Landwirtschaft!

Die Jahre 2023 und 2024 waren die wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Klimawandel wird zunehmend und ganz besonders für die Menschen, die mit der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienen, ein Problem. Klimaschutz und die Situation der Landwirtinnen und Landwirte müssen ernstgenommen werden. Sie müssen im notwendigen Wandel begleitet und unterstützt werden, damit auch zukünftig die Ernährung gesichert ist. Wir benötigen klimaresiliente Anbaumethoden und eine intensive, praxisnahe Forschung, die auf dem Feld und im Stall umgesetzt wird. Jeder Fortschritt, der zu einer klimaangepassten Landbewirtschaftung führt, kann anderen Ländern als Vorbild dienen.

Locklair
Bettina Locklair. Foto: privat

Weder die Natur noch das Wetter sind starr. Sich  jeden Tag darauf einzustellen, ist Grundlage für das Wirtschaften von Bäuerinnen und Bauern. Dem müssen auch die Regelungen der Agrarpolitik Rechnung tragen. 

Die Position der Landwirtschaft gegenüber der Nahrungsmittelindustrie und dem Handel muss gestärkt werden, damit sie Preise erzielt, die ihre Produktion wirtschaftlich machen. Wir erwarten zudem, dass die vielfältigen Leistungen, die schon heute für die Kulturlandschaft, für die Natur, Artenvielfalt und den Umweltschutz erbracht werden, auch honoriert werden. Bäuerliche Familienbetriebe gilt es zu stärken und Junglandwirte und -wirtinnen in der Übernahme eines Hofes zu unterstützen. Sie übernehmen Verantwortung für Natur und Gesellschaft.

Landwirtschaft braucht verlässliche Rahmenbedingungen über Wahlperioden hinweg, die langfristiges Handeln und Investieren ermöglichen. Es ist schon viel auf den Weg gebracht worden. Ein einfaches Zurück zu Früher hilft weder den Landwirten und Landwirtinnen noch der Natur noch unseren Kindern und Enkeln, denen wir schon heute eine Last aufbürden, die kaum zu bewältigen sein wird.

Abschließend bitten wir, die Infrastruktur im ländlichen Raum zu stärken, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen und zu erhalten. Lebendige Dörfer sind mindestens ebenso wichtig wie pulsierende Metropolen. 

Bettina Locklair, Bundesgeschäftsführerin der Katholischen Landvolkbewegung Deutschland (KLB)


Verteilt Macht, Zeit und Geld gerecht!

Als katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) sind wir überzeugt, dass Demokratie, Gleichstellung und Klimaschutz die Eckpfeiler für eine zukunftsfähige Politik sind. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar können dafür die Weichen gestellt werden. Politikerinnen und Politiker sind mit der Umsetzung dieser Eckpfeiler von uns Wählerinnen und Wählern beauftragt – über alle Parteien und Ressorts hinweg.

Palubicki
Monika von Palubicki. Foto: kfd/Kay Herschelmann

Damit unsere Demokratie weiterhin erhalten und gestärkt wird, ist ein gutes Miteinander von Politik und Bürgerinnen und Bürgern unabdingbar. Es ist Grundlage für zukunftsorientiertes Handeln – geschlechter- und sozialgerecht, generationenübergreifend. 

Die kfd steht seit jeher für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Ein ideales gesellschaftliches Klima erreichen wir nur, wenn Macht, Zeit und Geld gerecht verteilt sind – unabhängig von Geschlecht, Religion, Hautfarbe und Herkunft. Mit unserer Postkarten-Kampagne zur Wahl „Gleiche Macht, Gleiche Zeit, Gleiches Geld“ stellen wir unsere Forderungen an die Politik: So sind in einer sorgenden Gesellschaft alle für die Rentenversicherung in die Pflicht zu nehmen, ebenso für eine gemeinsame Krankenversicherung – gerade angesichts der demografischen Entwicklung. Dazu gehört auch die Gleichwertigkeit und die Balance von bezahlter Arbeit, unbezahlter Care-Arbeit und Selbstfürsorge. 

Zu unserem Selbstverständnis einer gerechten Welt gehört zudem der Klimaschutz, für den wir uns seit den 1980er-Jahren einsetzen. Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft sind zu stärken, ebenso entsprechende Forschung und Start-Ups. Für Effizienz und Suffizienz braucht es verlässliche Rahmenbedingungen sowie den Abbau klimaschädlicher Subventionen.

Digitale Beteiligungsformate erhöhen die Transparenz regierungspolitischer Entscheidungen und die Selbstwirksamkeit der Bürgerinnen und Bürger. So wird im Miteinander von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bevölkerung – insbesondere den nachfolgenden Generationen, denn sie werden die Folgen zu tragen haben – Demokratie erfahrbar.

Entscheidend ist: Transformation statt Rückschritt! 

Monika von Palubicki, Stellvertretende Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd)


Räumt der Familienförderung Priorität ein!

Die künftige Bundesregierung steht vor großen Herausforderungen, die sie mutig, überlegt und mit einer klaren Werteorientierung angehen muss. Gemäß den Prinzipien der katholischen Soziallehre – Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Nachhaltigkeit – muss die Würde jedes Menschen Leitlinie des politischen Handelns sein. Nur so kann eine gerechte, friedliche und zukunftsfähige Gesellschaft entstehen.

Horster
Alexandra Horster. Foto: Marian Hamacher/Kolpingwerk Deutschland

Die Bundesregierung sollte eine generationengerechte Politik gestalten, der Familienförderung klare Priorität einräumen und den gesellschaftlichen Dialog stärken. Zudem ist eine Orientierung am Gemeinwohl und nicht an kurzfristigen Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen unverzichtbar. Ich persönlich sehe dringenden Handlungsbedarf in der Armutsbekämpfung, insbesondere bei der Kinderarmut, beim Zugang zu guter Bildung, einer gerechten Gesundheitsversorgung und bezahlbarem Wohnraum. Ebenso zentral sind der Klimaschutz und die Bewahrung der Schöpfung, die keinen Aufschub dulden. Dabei gilt es, die Transformation sozial- und generationengerecht zu gestalten und die Schwächsten nicht zurückzulassen. So kann unsere Demokratie wieder gestärkt und der Zusammenhalt in der Gesellschaft verbessert werden. Internationale Verantwortung, sei es bei der Friedenssicherung oder bei der Bekämpfung von Fluchtursachen, muss ein weiterer Schwerpunkt deutscher Politik bleiben.

Damit eine solche Politik über die Grenzen der politischen Lager hinweg vermittelbar ist, appellieren wir als Kolping an die künftige Bundesregierung, die großen politischen Herausforderungen unserer Zeit aufzugreifen und diese im Gespräch mit vielen zu langfristig tragfähigen Kompromissen zu führen. Das erfordert eine Kultur des gegenseitigen Respekts, der Verlässlichkeit und der gemeinsamen Verantwortung. Eine konstruktive Zusammenarbeit gelingt nur, wenn alle Beteiligten über parteipolitische Eigeninteressen hinausdenken und sich einem übergeordneten Ziel verpflichtet fühlen: dem Wohl aller Bürgerinnen und Bürger. 

Alexandra Horster, Bundessekretärin des Kolpingwerks Deutschland