Interview mit Bischof Michael Wüstenberg

Es gibt nur eine Rasse Mensch

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Michael Wüstenberg war Bischof der südafrikanischen Diözese Aliwal, hat in Südafrika noch die Apartheid kennengelernt. Unter den Folgen leidet das Land bis heute. Als nun in den USA George Floyd durch brutale Polizeigewalt zu Tode kam, setzte er sich hin und schrieb einen offenen Brief an Freunde und Bekannte: „Please, I can’t breathe!“, „Bitte, ich kann nicht atmen!“


„Ich habe den Rassismus in Südafrika
kennengelernt. Auch Jahrzehnte nach
Beendigung der Apartheid leiden die
Menschen noch immer unter den Folgen“,
weiß Michael Wüstenberg.

Warum haben Sie diesen Brief geschrieben?

Weil es in mir übergelaufen ist und das musste ich loswerden, meine Wut, meine Trauer. Minneapolis war dabei einer der Auslöser und die Reaktion darauf. Denn es ist ja kein Einzelfall, immer wieder, fast täglich gibt es in den USA solche Polizeiübergriffe auf schwarzhäutige Menschen. Da kamen in mir die Erinnerungen hoch, die ich selbst auch in Südafrika gemacht habe.

Dort haben Sie Rassismus kennengelernt?

Es war die tägliche Realität. Als ich 1992 nach Südafrika gekommen bin, da gab es noch das System der Apartheid. Es war die heiße Endphase dieses Systems vor den Wahlen 1994. Ein Bild, das für mich bis heute mit Hunden verbunden ist. Als ich meine ersten Spaziergänge in Aliwal machte, zogen Polizisten mit Hunden durch die Straßen. Ich musste auf die andere Straßenseite, es gab keinen anderen Weg zur Bank. Da standen aber weiße Polizisten mit großen Hunden, die zerrten an ihren Ketten und bellten die vorbeigehenden Menschen an. Ich nahm allen meinen Mut zusammen und ging los. Da merkte ich, dass sich die Hunde mir gegenüber ruhig verhielten. Sie waren auf schwarzhäutige Menschen abgerichtet. Bei Demonstrationen der schwarzen Bevölkerung wurden diese Hunde in die Menge gehetzt, um Panik zu verbreiten. Da die auseinanderfliehende Masse aussah, als wolle sie angreifen, war das der Vorwand für die Polizei, auf die Demonstranten loszuschlagen, die Demonstranten zu verhaften und das ganze aufzulösen. Es war ein infames System, das sogar biblisch begründet wurde.

Inwiefern wurde da die Bibel herangezogen?

Es war die südafrikanische reformierte Kirche, die die Aufteilung der Menschheit in Weiß und Schwarz aus der Bibel ableitete. Die einen waren die Söhne Hams, eben ausgegrenzt, und die Weißen sahen sich eher in der Rolle Israels, das ins gelobte Land einzieht. Dies ist für mich ein Beispiel einer fehlgeleiteten Bibelbetrachtung – Exegese kann man das ja nicht nennen, wo man den eigenen Kontext nicht wahrhaben will. Sie haben ihre eigene Rolle gar nicht richtig betrachtet. Eigentlich hätten Sie sagen müssen, wir sind Pharao und beuten die anderen aus. Sie sahen es als historischen Erfolg an, das Land in Besitz zu nehmen und zu siedeln.

Das heißt, die Rassendiskriminierung wurde biblisch etabliert?

Sie wurde auch religiös fundiert. Ich traf dann später einen sehr apartheidkritischen Theologen, der sagte: Vielleicht sterben wir auch aus. Wir sind zwar noch immer da, aber wir haben durch unsere vorherige Politik dafür mitgesorgt, dass wir jetzt eine schwierige Position haben. Mein Doktorvater Professor Klippies Kritzinger ist zum Beispiel aus seiner reformatorischen Kirche wegen seiner Haltung gegen die Apartheid rausgeflogen – und er war ein Weißer.

Hat sich in den Jahrzehnten nach der Abschaffung der Apartheid was geändert?

Die politische Seite der Rassentrennung, der Apartheid ist weg – verfassungsmäßig. Willem de Klerk, dem letzten weißen Präsidenten Südafrikas, kommt das Verdienst zu, dass er für einen Übergang ohne Bürgerkrieg gesorgt hat. Er hat einmal gesagt, das muss 1996 gewesen sein, jetzt ist die Apartheid vorbei. Das hat mich geärgert, weil die Folgen immer noch da sind, die sozialen Grenzziehungen sind immer noch da. Der Großteil der schwarzen Bevölkerung ist arm, die Menschen haben nicht die Chance bekommen, ihre Situation wirklich zu verbessern. Nur wenige haben es bis in die Oberschicht gebracht und zu Reichtum. Bildung und Armut sind weiterhin die großen Probleme des Landes. Da ist noch viel zu tun. Und, so wie es passt, wird auf beiden Seiten immer mal wieder die Rassenkarte gespielt.

 


Bischof Michael Wüstenberg freut sich, wenn er wie hier
in Hannover Menschen mit afrikanischen Wurzeln trifft.

Sie haben den Rassismus in Südafrika kennengelernt. Wie sehen Sie den latenten Rassismus hier bei uns?

Hier lebe ich vorwiegend als Weißer unter Weißen, freue mich aber jedes Mal, wenn ich Menschen mit schwarzer Hautfarbe treffe. Gerade bei Firmungen ist das immer öfter der Fall, meistens sind mehr Frauen als Männer unter den Firmkandidaten. Bei einer Firmung hat mir eine schwarze Katechetin aus Westafrika erzählt, sie mache eine Ausbildung zur Erzieherin. Einer ihrer Mitstudenten habe ihr ins Gesicht gespuckt und gesagt: Geh dahin, wo du hingehörst. Sie hat ihm daraufhin eine Ohrfeige gegeben – und musste dafür einen Kurs zur gewaltfreien Konfliktbewältigung absolvieren. Der Spucker kam so davon. Aber die junge Frau zog eine schöne Konsequenz: Wenn ich eines Tages wieder nach Hause zurückkehre, werde ich dort einen Kindergarten eröffnen, in dem ich den Kindern genau das beibringen will: gewaltfreie Konfliktbewältigung.

Die Geschichte der jungen Frau ist für mich einer dieser Fälle, wo Rassismus bei uns deutlich wird. Es ist gegenüber Ausländern vor allem die Fremdheit, die Angst vor der Andersartigkeit der Kultur. Die machen einfach Sachen anders als wir.
Einen Rassismus so wie in den USA kennen wir zum Glück nicht. Nicht, dass es ihn nicht gibt, aber die Übergriffe auf Flüchtlinge zum Beispiel sind Einzelfälle, in Amerika sind die Übergriffe auf Schwarze normal.

Wie soll man sich als Christ verhalten? Müssten wir nicht stärker Position beziehen?

Die Bibel lehrt uns, dass Gott nicht verschiedene menschliche Rassen geschaffen hat, sondern nur die eine Rasse Mensch. Und die hat er als Mann und Frau geschaffen. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist erheblich größer, als die Ausgestaltung der Rasse Mensch mit ihren verschiedenen Hautfarben. Und die werden wiederum im „Hohen Lied der Liebe“ mit Freude besungen: „Schwarz bin ich, doch schön“ (Hld 1,5).

Für uns Christen ist es eine große Herausforderung, unsere Ängste zu überwinden und auf die anderen zuzugehen. Man sollte eine klare Position beziehen – auch und besonders gegen die, die im Hintergrund diese Angst schüren. Die zu entlarven ist eine Pflicht eines jeden Christen und sie als das hinzustellen, was sie sind: Bauernfänger, die ihren eigenen wirtschaftlichen und politischen Vorteil darin suchen, dass sie anderen Angst machen. Die Grundbotschaft der Bibel ist an dieser Stelle für mich: „Euer Herz sei ohne Angst, fürchtet euch nicht.“ Und jemand, der Angst macht, widerspricht grundsätzlich der Botschaft Chris­ti. Wer einschüchtert, wer Angst macht, exkommuniziert sich selbst, hat mit uns, mit Christus und mit seiner Botschaft nichts zu tun. Er kann die Kommunion eigentlich nicht empfangen, weil sein Handeln nicht mit der Grundbotschaft übereinstimmt. Wenn sie umkehren und wiederkommen wollen, ist das in Ordnung. Das können sie dann gern machen. In diesem Punkt müssen wir eine klare Linie ziehen. Die von Jesus offenbarte Menschlichkeit ist uns Verpflichtung.

Interview: Edmund Deppe

Den Brief von Bischof Michael Wüstenberg finden Sie hier: Offener Brief Bischof Wüstenberg