Warum sich die Stimmen für ein Sexkaufverbot auch in Deutschland mehren

Es ist nicht normal, eine Frau zu kaufen

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Frauen fordern Sexkaufverbot
Nachweis

Foto: imago/IPON

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Klare Botschaft: Demonstrantinnen beim Internationalen Frauentag im März 2020 in Berlin

Eine neue Studie stellt fest: Die Zustände in der Prostitution in Deutschland verstoßen gegen die Verfassung. Expertinnen fordern ein Sexkaufverbot. In anderen Ländern gibt es das längst – und es verhindert das Leid vieler Frauen.

Die Schilderungen von Psychologen, Kriminologen und Frauenärzten über die Zustände in der Prostitution in Deutschland sind alles andere als leichte Kost. Da ist von Erniedrigung, Gewalt und Missbrauch die Rede. Viele dort tätige Frauen haben Risse, Narben und chronische Entzündungen im Unterleib. Auch schwere Rücken- und Hüftschäden, verursacht vom Gewicht der Freier sind keine Seltenheit. Aussteigerinnen berichten vom Seelenmord und einer Entmenschlichung der Frauen durch Kunden und Zuhälter. 

Auch die Bestandaufnahme der katholischen Theologin Elke Mack von der Uni Erfurt fällt eindeutig aus: „Menschen in der Prostitution, fast immer sind es Frauen, müssen tagtäglich und während ihrer ganzen Tätigkeit schwere Körperverletzung durch gewalttätige Freier und Zuhälter erdulden. Sie leiden deshalb unter schwersten, oft lebenslangen psychischen Traumatisierungen wie wir sie sonst nur von Folteropfern kennen.“ Weite Teile des Gewerbes seien geprägt vom „Menschenhandel in Verbindung mit Organisierter Kriminalität, die die Beschaffung der Frauen aus dem Ausland regelt. Die Beweislage ist so niederschmetternd, dass wir die derzeitige Gesetzgebung zur Prostitution für verfassungswidrig erachten“, sagt die Sozialethikerin.

Gemeinsam mit dem Verfassungsrechtler Ulrich Rommelfanger hat Mack im Juni im Nomos-Verlag die mehr als 300 seitige Studie „Sexkauf“ veröffentlicht. Es ist die erste wissenschaftliche Bestandsaufnahe über die Prostitution in Deutschland. Nach Ansicht der Autoren verstoßen die dortigen Zustände gegen Deutschlands obersten Verfassungsgrundsatz, den in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschriebenen Schutz der menschlichen Würde. Mehr noch: Die aktuelle Gesetzgebung „stellt eine grobe Schutzpflicht- und Grundrechtsverletzung durch den Staat dar“. Nach Informationen dieser Zeitung prüfen derzeit einige Politikerinnen, ob sie beim Verfassungsgericht eine Normenkontrollklage gegen das deutsche Prostitutionsrecht einreichen. Für die Klage sind die Unterschriften von 184 Bundestagsabgeordneten notwendig.

Viele Frauen sind arm und werden unter Zwang rekrutiert

Hintergrund: Unter der rot-grünen Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder und seinem Vize Joschka Fischer wurde die Prostitution in Deutschland 2002 liberalisiert. Sie gilt seither nicht mehr als sittenwidrig. Zuhälter werteten dies als Freibrief zur Ausweitung für ihr bis dahin verbotenes Treiben. Flatrate-Bordelle schossen aus dem Boden. Der Gesamtumsatz der Branche, mit geschätzt täglich rund eine Million Freiern, wird vom Statistischen Bundesamt aktuell auf jährlich rund 15 Milliarden Euro beziffert. Deutschland gilt laut Kriminologen inzwischen, gleich neben dem Schwellenland Thailand, als Hochburg des internationalen Menschenhandels und der Prostitution. Mindestens 80 Prozent der hierzulande tätigen Prostituierten stammen aus dem Ausland, meist Osteuropa, Die oft bettelarmen und bildungsfernen jungen Frauen werden dort teils unter Zwang, teils unter Vorspiegelung falscher Tatsachen von organisierten Banden rekrutiert und müssen sich hier für oft kleines Geld an eine in Teilen gewaltbereite Kundschaft verkaufen.

An diesen Zuständen konnte auch das 2016 vom Bundestag verabschiedete Prostitutionsschutzgesetz nichts ändern. Es ist nach Ansicht zahlreicher Verbände und Expertinnen quasi wirkungslos verpufft. Maria Decker, die Vorsitzende der katholischen Frauenrechts- und Hilfsorganisation SOLWODI, schätzt, dass gerade mal drei bis fünf Prozent der Frauen in der Prostitution ihrem Job freiwillig nachgehen. „Der Rest arbeitet unter Zwang: psychisch, ökonomisch oder emotional“. Solwodi unterhält in Deutschland rund 20 Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen für Frauen in Not. 

"Mit jedem Tag, den wir warten, wird nur das Leid von Tausenden Frauen unnötig verlängert“ Leni Breymaier, SPD

Seit exakt einem Jahr evaluiert die Bundesregierung die Auswirkungen des Prostitutionsschutzgesetzes. Die Ergebnisse sollen allerdings erst im Juli 2025 vorgelegt werden, also nach Ablauf der laufenden Legislaturperiode. Diese Zögerlichkeit kann Leni Breymaier, die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, nicht nachvollziehen. „Ich hätte es begrüßt, wenn die Evaluation vorgezogen worden wäre, die Zustände sind hinlänglich bekannt. Mit jedem Tag, den wir warten, wird nur das Leid von Tausenden Frauen unnötig verlängert“, sagt die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Auch völkerrechtlich sei die Sache klar. „Wir müssen endlich etwas tun, um den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und die Nachfrage von Sexkauf einzudämmen“, so Breymaier. „So lange der Sexkauf legal ist, meint die Gesellschaft, es sei normal eine Frau zu kaufen.“ Zudem belegen neue Studien, dass Männer, die Sex kaufen, auch generell gegenüber Frauen gewaltbereiter sind.

Geht es nach Willen der SPD-Abgeordneten, die allerdings in ihrer Partei und in der Ampel-Koalition (noch) keine Mehrheit für ihre Ansichten hat, sollte in Deutschland schnellstmöglich das sogenannte Nordische Modell, auch Sexkaufverbot genannt, eingeführt werden. Nach diesem Modell, das erstmals 1999 in Schweden umgesetzt wurde und inzwischen auch in Norwegen, Kanada, Nordirland, Island, Israel und Frankreich gilt, ist der Erwerb sexueller Dienstleitungen verboten, nicht aber das Angebot. Seither hat in diesen Ländern ein Umdenken eingesetzt. Die in Deutschland unter Männern noch weitgehend gesellschaftlich anerkannte Inanspruchnahme sexueller Dienstleitungen gilt dort mehr und mehr als verpönt. Zudem ist sie eine Straftat. Mit dem Sexkaufverbot konnte auch die Organisierte Kriminalität zurückgedrängt werden. 

Ein Positionspapier der kfd sorgt für Verwunderung

Aufgrund der Erfolge fordern seit geraumer Zeit etliche Frauenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes sowie christliche Hilfswerke, darunter Solwodi, Renovabis und der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB), die Einführung eines Sexkaufverbot in Deutschland. Bereits 2014 hatte das Europaparlament allen EU-Ländern die Einführung des Nordischen Modells nahegelegt.

Mit Verwunderung haben daher zahlreiche Beobachterinnen ein anderslautendes Positionspapier „Nein zu Gewalt! – Ja zu Selbstbestimmung!“ von der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschland (kfd) aufgenommen. In dem Beschluss vom Juni fordert die kfd grob gesagt, für alle Frauen, die der Sexarbeit aus freien Stücken nachgehen, sämtliche Freiheiten sowie ein Ende der Diskriminierung. Und für die Frauen, die unter Zwang arbeiten, mehr und bessere Beratungsangebote sowie Ausstiegshilfen. Hintergrund „unserer differenzierten Haltung“ sei das Selbstbestimmungsrecht der Frau, so Rita Monz: „Wir haben als Gesellschaft nicht das Recht, diesen Frauen ihre Berufsausübung zu verbieten, egal ob das eine ist oder zehntausende Frauen sind“, begründet Monz die Haltung ihres Verbandes. Darüber hinaus würden mit einem Sexkaufverbot Sexarbeitende noch stärker an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden und seien dann auch für Hilfsangebote kaum noch erreichbar.

Das jedoch sieht man bei Solwodi anders. „Ganz in den Untergrund wird die Prostitution niemals gehen können, da bekanntlich auch die Freier die Frauen finden müssen“, sagt Maria Decker. „Zudem hat sich die Prostitution spätestens seit der Coronapandemie stark in Privatwohnungen verlagert und die Anbahnung der Kontakte findet im Internet statt“, so die Solwodi-Vorsitzende. 

Noch deutlich wird die Theologin Elke Mack. „Ich halte das Papier bezüglich der Annahme, dass es selbstbestimmte Sexarbeit gäbe, für naiv. Es ist offenbar in Unkenntnis der Menschenwürdeverletzungen geschrieben worden, die es im Prostitutionsgewerbe grundsätzlich gibt.“ Als Beleg für ihre Theorie verweist Mack auf die Auswertung der Diskussionen in den Online-Foren für Freier in ihrer Studie. „Ich würde der Spitze des kfd mein Buch „Sexkauf“ empfehlen, um dann kritisch zu prüfen, ob dieser nicht doch im Sinne der potenziellen Opfer in Deutschland bestraft werden muss – so wie andere zivilisierte westliche Staaten dies schon längst tun“, sagt Mack. 

Ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, aber die Aussagen von Freiern, die jetzt in der Studie Sexkauf publik wurden, machen deutlich, was die SPD-Abgeordnete Breymaier seit Jahren sagt: „In der Prostitution geht es kaum um Sexualität. Da geht es fast nur um Macht, Gewalt und Demütigung.“ 

Andreas Kaiser