Pro und Contra
Event auf dem Friedhof?
Foto: adobestock / lotharnahler
PRO
Einen Kaffee auf dem Friedhof trinken? Sich nach dem Besuch am Grab unmittelbar dem Leben zuwenden? Für manche ist das ein sehr befremdlicher und vielleicht pietätloser Gedanke. Aber was, wenn sich gerade dort gut erzählen lässt von der eigenen Trauer? Wenn sich Menschen begegnen, die an Ort und Stelle Gespräche mit Tiefgang führen und einander trösten?
Platz gibt es auf vielen Friedhöfen inzwischen genug. Im vergangenen Jahr wurden mehr als zwei Drittel aller Verstorbenen eingeäschert und benötigen damit nur ein kleines Urnengrab. Der Unterhalt und die Pflege der vorhandenen Anlagen kostet die Träger weiterhin Geld. Laut Schätzungen von Aeternitas, einer Verbraucher-initiative für Bestattungskultur, wird derzeit deutschlandweit die Hälfte aller Friedhofsflächen nicht mehr für Bestattungen genutzt.
Vor allem in den Städten gibt es mancherorts Überlegungen, vorhandene Areale umzuwidmen. Im schlimmsten Fall stünde eine Freigabe zur Bebauung an. Dann doch lieber die Grünflächen auf den Friedhöfen auch als Rückzugs- und Erholungsorte für die Lebenden nutzen! Geruhsame Spaziergänge über die Anlage. Bücherschränke mit Lesestoff neben Bänken zur Rast. Einsame Hinterbliebene werden eingeladen, sich neben Gleichgesinnte zum Picknick an einen Tisch zu setzen.
Ich hätte sogar nichts einzuwenden gegen leise Events mit Zeit für Begegnung und gemeinsames Verweilen. Bei denen Friedhöfe zum einen als Orte der Erinnerung an die Vorfahren wahrgenommen werden. Bei denen zum anderen Kulturprogramme passen, die der Würde des Ortes entsprechen. Mit Respekt gegenüber den Toten und den Trauernden, die nicht gestört werden möchten. Aber auch als ein Lebensraum zur Begegnung mit Vergänglichkeit, Ruhe und Inspiration.
Evelyn Schwab, Redakteurin
CONTRA
Mit Kino, Bier- und Bratwurststand – so wurde kürzlich auf dem Kasseler Hauptfriedhof ein „Tag der offenen Tür“ gestaltet. Leben auf den Friedhof holen und auf diese Weise den für eine Stadt wichtigen Ort ins Bewusstsein bringen. Auch um ihn schließlich finanzieren und erhalten zu können.
Das Anliegen ist berechtigt. Der Ansatz mag innovativ klingen. Und die Bratwurst-Bude steht ja nur ausnahmsweise dort. Der Gedanke an so ein Event behagt mir dennoch nicht. Auch nicht als Ausnahme-Veranstaltung für die gute Sache.
Auf einem Friedhof verarbeiten Menschen ihre Trauer. Religiöse Gefühle in ihrer ganzen Vielfalt spielen eine Rolle. Für viele wird daher so ein Kino-Abend oder ähnliches eine Provokation sein. Warum den bisherigen Konsens aufgeben, dass ein Friedhof für alle ein Ort der Stille und des Gedenkens ist? Konflikte sind programmiert. Außerdem zerstört die „Eventisierung“ das Besondere, das doch durch diese Maßnahme erhalten werden soll. Allein schon der Gedanke an Bratwurst-Buden oder bewegte Bilder nimmt diesem Ort meines Erachtens etwas von seiner Atmosphäre.
Ein Friedhof spricht ja gerade deswegen Menschen an, weil er ein „Andersort“ ist und etwas Unantastbares an sich hat. Das schließt nicht aus, solche Orte menschenfreundlicher, natur-näher, lebensfroher zu gestalten, die – im Respekt vor der Trauer anderer – zum Verweilen einladen. Friedhöfe aber der Gefahr auszusetzen, irgendwann zur Grusel-Kulisse für das wochenendliche Abendprogramm zu werden, wäre ein Verlust.
Wenn schon solche Anstrengungen für Friedhöfe unternommen werden müssen, um sie zu finanzieren, dann wird bei klammen Kassen wohl auch beim Friedhofspersonal gespart werden, und der eine oder andere Trinkbecher wird nach einer öffentlichkeitswirksamen Veranstaltung zwischen den Gräbern liegen.
Anja Weiffen, Redakteurin