André Lemmer will sich am 19. Mai in Fulda zum Priester weihen lassen
Für Menschen da – nicht Orte
Eine Festanstellung als Bio-Laborant machte ihn einst nicht glücklich. Auf die Priesterweihe am Samstag vor Pfingsten (19. Mai) aber freut sich André Lemmer. Der Diakon aus dem oberhessischen Mardorf gibt Einblick in seinen Berufungsweg. Von Hans-Joachim Stoehr.
Mit 23 Jahren unterschreibt André Lemmer in Marburg einen Arbeitsvertrag. Er ist als Biologie-Laborant fest angestellt. Aber auch wenn er diesen Beruf gern ausübt und nun glücklich sein sollte, ist er nicht zufrieden. Ihm stellt sich die Frage: „Ist das der Beruf, der dich bis zum Ende tragen wird?“ Der junge Mann spürt, dass er diese Frage verneint. Deshalb fährt er mit dem Auto statt in seinen Heimatort Mardorf weiter nach Amöneburg. Dort trifft er sich mit dem damaligen Schulpfarrer Markus Blümel.
Am nächsten Tag kündigt Lemmer bei seinem Arbeitgeber. Er meldet sich im Marianum in Neuss an, um das Abitur nachzumachen. Der erste Schritt auf dem Weg, Priester zu werden.
Der Weihekandidat erinnert sich an Phasen in seiner Jugend, in der die Bindung zur Kirche nicht so eng war. „Meine Eltern haben mich nicht gezwungen, in die Kirche zu gehen, sondern geworben, mich immer wieder eingeladen – vor allem meine Mutter. Auch wenn sie zu 90 Prozent wusste, dass ein Nein kommt.“ Es gab aber wichtige Ankerpunkte, bei denen er gern mit dabei war – etwa die Bonifatiuswallfahrt Jugendlicher von Amöneburg nach Fulda.
Aus solchen eigenen Erfahrungen hat Lemmer gelernt, Geduld mit jungen Menschen aufzubringen. „Sie pendeln zwischen kirchlichem Leben und gesellschaftlicher Realität, in der Kirche weniger eine Rolle spielt. Da müssen sie ihren Weg finden.“
„Veränderte Strukturen in der Kirche machen mir keine Angst“
Als künftiger Seelsorger wird der 35-Jährige Menschen begleiten – in Strukturen, die sich verändern. „Das macht mir aber keine Angst. Die Kirche hat sich immer gewandelt.“ Lemmer sieht die gegenwärtige Situation als Übergang „von der Volkskirche in eine neue Weise, wie Kirche lebt“. Im Mittelpunkt stehen für ihn dabei „pastorale Menschen“, die „pastorale Orte“ bilden. Und von denen wünscht er sich mehr. Es gehe nicht um fest installierte Orte, sondern um die Menschen und das, was sie brauchen. Das kann unterschiedlich sein: ein Trauergespräch genauso wie ein Gottesdienst in einer Kapelle. Der Unterschied gegenüber früher: Die Fläche der Pfarreien wird größer. Darauf könne man sich einstellen.
Manches dabei ist nicht so neu. Lemmer war Praktikant in der Pfarrei Margretenhaun. Vor 200 Jahren war sie Mutterpfarrei für weite Gebiete der Rhön. „Berittene Kapläne machten in den Dörfern, durch die sie kamen, Station und hielten dort Gottesdienste. Das heißt, wir kommen wieder dahin, wo wir schon einmal waren.“ Allerdings könne man daraus nicht ableiten, dass Veränderungen Menschen nicht beunruhigen dürften. „Das geht jedem so.“
Für den Weihekandidaten ist die heutige Gesellschaft noch stärker als vor 100 Jahren von Konventionen geprägt. Das heißt, die Menschen werden vor allem an Äußerem gemessen. Die Frage, die vor allem gestellt wird, ist: „Was will die Gesellschaft von mir?“ Das führt bei vielen zu Stress mit den Symptomen wie Burn-Out oder Depressionen. Deshalb sieht Lemmer die Kirche als einen Ort, wo Menschen sein können, wie sie sind. Wo sie fragen dürfen: Wer bin ich eigentlich – mit all meinen Nöten. Er ist überzeugt: „Wenn sie sich so angesprochen fühlen, dann kommen sie auch wieder, wenn sie sich einmal für eine Zeit lang abgewandt haben.“
Der Weihekandidat hat erfahren, wie wichtig es ist, sich immer wieder einen Ausgleich zu schaffen. „Wenn ich merke, dass ich schlechtgelaunt und überlastet bin, dann gehe ich zum Angelteich. Dort stelle ich mir nur die Frage nach dem richtigen Köder und denke nur ans Angeln.“ In Margretenhaun hatte Lemmer einen anderen Ausgleich: Er züchtete Wollschweine. „Sie zu streicheln, das hat einfach gut getan. Und das ist mir wichtig: mit der Natur und mit mir zu sein.“
„Wenn Leute nicht zu uns kommen, müssen wir zu ihnen gehen“
Wie aber sieht für ihn die künftige Seelsorge aus? Da fällt Lemmer ein Bild ein von Papst Franziskus. Der sagt einmal: Christus klopft an die Tür der Kirche – aber nicht von außen, sondern von innen, um draußen die Menschen zu treffen. Der Diakon: „Wenn Menschen nicht in die Kirche kommen, dann müssen wir zu ihnen gehen.“
In seiner Diakonatspfarrei in Fritzlar hat Lemmer mit seinem Aquaponik-Projekt vor dem Dom dafür gesorgt, dass Menschen stehenblieben. Bei dem Projekt wurden in zwei großen Tanks Viktoriasee-Barsche gezüchtet. Das dadurch entstandene Abfallprodukt Ammoniak wiederum diente als Dünger für Gemüse in Hochbeeten. Passanten wollten wissen, was das sei. Lemmer konnte im Gespräch auf die Nachhaltigkeit des Projekts hinweisen. Waren die Menschen interessiert, wies er auf das Anliegen der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus hin.
„Das erste Zeugnis eines Christen ist sein Leben“, ist der Weihekandidat überzeugt. Das mache Menschen neugierig, dass sie fragen, warum jemand so lebt. „Und dann kann ich antworten. Es geht eben nicht darum, auf Fragen zu antworten, die keiner stellt.“ Solch neugierige Menschen nennt der Diakon „Zachäus-Menschen“ – benannt nach dem Zöllner, der neugierig Jesus beobachtet. „Jesus predigt ihm nicht. Er geht mit ihm zum Mittagessen.“ Für Lemmer heißt das: „Ich darf die Menschen nicht überfordern, muss ihnen Zeit geben.“
Der Weihegottesdienst am 19. Mai beginnt um 10 Uhr im Fuldaer Dom.