Neue pastorale Projekte
Kreatives aus der Krise
(Foto: Privat)
„Corona hat viel kaputt gemacht.“ Ein Satz, der immer wieder zu hören ist, wenn es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und auch um das kirchliche Gemeindeleben geht. Die Zeit der Pandemie hat sich dem kollektiven Gedächtnis von Kirchgängerinnen und Kirchgängern eingebrannt: Am Eingang den Personalausweis aus der Tasche friemeln, sich in Listen eintragen, hinter der Maske hervorblinzeln und im Gotteshaus statt Weihrauch erst einmal den Geruch von Desinfektionsmitteln einatmen.
Raus aus dem Elfenbeinturm
Trotz allem war auch in der Pandemie Advent. Weihnachten stand vor der Tür. Und haupt- und ehrenamtliche Kirchenmitarbeitende wollten das Weihnachtsfest vorbereiten. „Wir wussten nicht, wie es weitergeht, welche Regeln gelten würden“, erinnert sich EvaWeinitschke, Ehrenamtliche aus der Pfarrei St. Franziskus Nieder-Olm, Sörgenloch, Zornheim im Bistum Mainz, an den Herbst 2020. „Ostern zu Beginn der Pandemie war sehr schwierig. Darauf waren wir nicht vorbereitet gewesen“, sagt die Vorsitzende des aktuellen Pfarrgemeinderats. Weihnachten sollte anders werden. „Schon im Herbst waren wir uns einig, an Weihnachten Veranstaltungen draußen anzubieten“, erzählt sie. So entstanden die ökumenischen Quartiergottesdienste. Die gibt es bis heute und finden in diesem Jahr zum fünften Mal statt.
„Mit Quartier sind die Straßenzüge und Nachbarschaften in den verschiedenen Orten unserer Pfarrei gemeint“, erläutert Weinitschke. „Die Leute kennen sich untereinander. Zu ihnen wollten wir gehen.“ So wurden an Heiligabend 2020 inSt. Franziskus 39 kleine Gottesdienste gefeiert. „Um halb vier läuteten die Glocken, und wir wussten: Jetzt feiern 1000 Menschen an verschiedenen Orten gemeinsam Weihnachten. Das war ein tolles Gefühl“, erinnert sich Weinitschke, die selbst jedes Mal einen der Quartiergottesdienste vor ihrer Haustür gestaltet hat.
Und heute? Zwar sei die Anzahl der Gottesdienste und die Resonanz etwas zurückgegangen, „denn es werden auch wieder die Christmetten gefeiert, das pastorale Angebot ist vielfältiger geworden“. Aber da man sich bei den Quartiergottesdiensten nicht mehr wie in der Pandemie anmelden braucht, kommen auch einfach mal Spaziergänger vorbei und feiern mit. „Wir wollen raus aus dem Elfenbeinturm der Kirchen. Jesus war draußen auf den Straßen unterwegs. Wir machen es ihm nach“, erklärt Eva Weinitschke. Zudem lebe man eine intensive Ökumene. „Solange Menschen zu den Quartiergottesdiensten kommen, werden sie stattfinden“, ist sie überzeugt.
„Kerzen und Musik sind wichtig“
Open Air und ökumenisch, das ist auch in Heppenheim, ebenfalls im Bistum Mainz, ein Erfolgsrezept aus der Pandemie. Seit fünf Jahren halten sich dort die Ökumenischen Heilig-Nacht-Gebete, initiiert vom damaligen evangelischen Dekan Arno Kreh und seiner Frau. Während der Pandemie luden evangelische und katholische Christen am späten Heiligabend Menschen auf den Heppenheimer Marktplatz, in die Nord- und die Weststadt zu Gebeten ein, jeweils im Abstand von einer Stunde.
„Kerzen und Musik sind wichtig“, beschreibt Claudia Flath, eine der beiden Koordinatorinnen des Pastoralraums Heppenheim, die Gestaltung des Formats. Darüber hinaus wird aus der Weihnachtsgeschichte gelesen, es gibt Impulse, Gebete und Fürbitten. Nach einer halben Stunde reisen die Liturgen weiter zum nächsten Standort. „Bis zu 80 Personen feierten anfangs an jedem Standort mit“, sagt Flath und findet: „Die Ökumene ist einfach toll. Zuvor feierte jede Kirchengemeinde dasselbe Fest in ihrer Kirche. Aber gemeinsam draußen zu sein, das passt in dieser Nacht einfach!“
Die Idee sei gewesen, „dass die Menschen in ihren Häusern gemütlich Weihnachten feiern können und danach in ihren Vierteln, quasi vor der Haustür, zu den Gebeten zusammenkommen“. Die Zustimmung zu diesem Format sei so groß gewesen, dass beschlossen wurde, es nach der Pandemie weiterzuführen. In diesem Jahr gibt es in Heppenheim zwei Heilig-Nacht-Gebete: um 22 Uhr in der Nordstadt und um 23 Uhr am Marktplatz.
Nicht nur den freien Himmel hat die Pandemie für kirchliche Projekte ins Blickfeld gerückt. Auch digitale Angebote gab es zuhauf. Dass Online-Gottesdienste jedoch nie Gottesdienste in Präsenz würden ersetzen können, wurde auch schnell klar. Dennoch sind beispielsweise Live-Streams als Option geblieben. Auch der Fuldaer Stadtpfarrer sieht das so. In der katholischen Stadtpfarrei Fulda werden bis heute Gottesdienste online übertragen.
Reichweite bis zum Südpol
Pfarrer Stefan Buß hatte bereits vor der Corona-Pandemie Erfahrungen mit Übertragungen von Gottesdiensten in mehreren Altenheimen. Diese Erfahrung nutzte er damals, um schnell auf die neue Situation zu reagieren. „Die Online-Gottesdienste haben zwar heute nicht mehr diese Riesenbedeutung wie in der Pandemie, aber ich bekomme wöchentlich Zuspruch zu den Formaten und erreiche Menschen weltweit.“ Da sei etwa eine Familie, die mit dem Wohnmobil gerade in Schweden weilt, auch in den USA hat er Zuschauer. „Ältere Menschen nutzen die YouTube-Gottesdienste. Oder auch frühere Pfarrei-Mitglieder, die sagen: In Fulda war ich doch mal Messdiener. Oder: Den Pfarrer kenne ich“, berichtet Buß.
An Weihnachten werden aus der Fuldaer Stadtpfarrei mehrere Gottesdienste von Heiligabend bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag übertragen. Mit einer fest-installierten Kamera sei der Arbeitsaufwand überschaubar, findet Pfarrer Buß. Auch seine „Impulse am Morgen“, die es weiterhin als Mini-Podcast und per Telefon gibt, sind ebenfalls in der Pandemie entstanden. Der YouTube-Kanal der Stadtpfarrei Fulda hat rund 3500 Abonnenten. „Die Menschen sind dankbar für das Format“, sagt er. „Dadurch besteht die Möglichkeit, die Gottesdienste zu kommentieren. Schön ist es auch, von weit entfernten Zuschauern zu wissen und im Gottesdienst Grüße auszurichten“, erzählt Stefan Buß, der kürzlich sogar einen anderen Pfarrer im Urlaub am Südpol mit seinem Online-Gottesdienst erreicht hat.
Flexibel zu sein und zu schauen, was der eigene Ort für Möglichkeiten bietet, das war in Wetzlar im Bistum Limburg eine Lernerfahrung aus der Pandemie. Das Krippenspiel am Kirchort St. Markus wurde 2020 kurzerhand auf das Gelände vor der Kirche verlegt. „Der Gedanke war, bei der beschränkten Besucherzahl in geschlossenen Räumen mit dem Krippenspiel draußen mehr Kinder und Eltern zu erreichen“, sagt Ann-Kathrin Herbel, Pastoralreferentin in St. Markus. Sie ist, zusammen mit einem Team Ehrenamtlicher, an der Idee maßgeblich beteiligt.
„Unglaublich schön“
„Vor der Kirche gibt eine kleine Anhöhe, auf der das Krippenspiel stattfand. So brauchten wir kein extra Podest aufbauen.“ Die Zuschauenden standen im Rondell vor der Kirche. „Im ersten Jahr war es übervoll. 120 Menschen durften auf das Gelände, wir mussten Besucher abweisen.“ Aber auch von der Straße aus war die Krippe auf dem Hügel gut zu sehen. „So erreichten wir zusätzlich nicht-angemeldete Interessierte“, berichtet Herbel. „Die Atmosphäre war unglaublich schön. Bei Beginn der Dunkelheit unter freiem Himmel zu stehen, alle mit Kerzen in der Hand.“ Auch wenn Menscheneinfach nur von der Straße aus sehen, dass an der Kirche etwas stattfindet, sei das ein Gewinn, finde tHerbel. „Die Menschen nehmen das mit, was sie brauchen.“
Im zweiten Corona-Jahr kamen zum Open-Air-Krippenspiel in St. Markus nochmal mehr Besucher als im Jahr zuvor. „Wir hatten Bierzelt-Garnituren aufgebaut, um für die Generation der Großeltern Sitzgelegenheiten zu bieten.“ Zweimal in den vergangenen Jahren machte jedoch das Wetter der Aktion einen Strich durch die Rechnung. In diesem Jahr wurde eine Spielvorlage ausgesucht, die eine anspruchsvolle Kulisse erfordert. „Daher findet das Krippenspiel diesmal in der Kirche statt“, sagt Herbel, „damit wir die Kulisse dort über Nacht stehenlassen können“. Dennoch sei Open Air die erste Wahl. „Zudem haben wir damit eine zusätzliche Option bekommen und schauen jedes Jahr neu, was möglich ist.“
Fazit: Nach weiteren Recherchen fanden sich in der Region noch mehr Projekte aus der Zeit der Pandemie, die bis heute existieren. Ob ökumenische Gottesdienstübersicht in Frankfurt oder „Weihnachten am Boni-Bus“ im Usinger Land im Taunus: Einiges Kreatives hat sich erhalten. Aus der Energiekrise aber scheint wenig hängengeblieben zu sein. Das Virus – so klein es ist – hat sich wohl am stärksten auf die kirchliche Arbeit ausgewirkt.
Weitere Informationen zu den erwähnten Projekten finden Sie hier: aussicht.online/artikel/kreative-krise