Anfrage

Gab es früher einmal paradiesische Zustände?

Gab es ein Paradies? Es wird ja oft darauf Bezug genommen bis hinein in Messtexte: „Als der Mensch deine Freundschaft verlor ...“

Die Frage ist deshalb schwierig zu beantworten, weil Ihre Formulierung „Gab es ...?“ eine objektive historische Antwort einzufordern scheint, die ich Ihnen nicht bieten kann. Und zwar deshalb nicht, weil die Rede vom Paradies nie historisch gemeint war. Die Schöpfungserzählungen der Bibel antworten nicht auf (natur-)wissenschaftliche Fragen, wie wir sie heute stellen; damals war diese Art der Fragestellung unbekannt. In den Schöpfungserzählungen wollten sich die Menschen vielmehr verankern im Gesamt allen Seins – des Sichtbaren wie des Unsichtbaren, des Natütlichen wie des Geistigen. Und in dieser Verankerung spielte Gott die entscheidende Rolle.

Wie Sie vielleicht wissen, gibt es im Buch Genesis zwei Schöpfungserzählungen – und schon die Tatsache, dass es zwei verschiedene gibt, zeigt, dass es nie um historische Wahrheit ging. Die erste Erzählung (1,1–2,3) ist die bekannte Schöpfung in sieben Tagen von „Die Erde war wüst und leer“ bis zum Ruhetag des Herrn; die zweite (2,4–24) ist die vom Paradiesgarten Eden. Bei beiden ist das Weltbild, das präsentiert wird, ein grundsätzlich positives: Die Welt ist gut geschaffen! Der Mensch ist dazu berufen, in Frieden und Eintracht zu leben – untereinander, mit der Natur und mit Gott.

Die Lebenserfahrung war aber schon damals eine andere. Gutes und Böses, Glück und Unglück, Friede und Krieg – das gab es auch damals schon. Aber warum ist die Welt, wie sie ist? Das erzählt die mythische Geschichte vom Sündenfall in Kapitel 3: Durch Ungehorsam verlor der Mensch die Freundschaft Gottes und das ursprüngliche Paradies – und das Elend nahm seinen Lauf.

Das alles sind Mythen, keine historischen Berichte. Sie verankern den Menschen in Gott, während wir uns vielleicht lieber im Survival of the Fittest oder in der eigenen Leistungsfähigkeit verankern. Und in dem pessimistischen Bild, dass die Welt halt schlecht ist.Die Frage ist nur: Kann es sein, dass ein Mythos keine geringere Wahrheit zu bieten hat als die Wissenschaft, sondern nur eine Wahrheit ganz anderer Art?

Susanne Haverkamp