Ganz frei und nah bei Jesus

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Die Reichels sind eine bekannte katholische Familie aus Mecklenburg. Arlette Reichel arbeitet als Erzieherin bei der Caritas. Aber sie wollte mehr. Nach langer Suche hat sie dieses „Magis“ gefunden. In einem Leben als „Missionarin Christi“

Die Reichels sind eine bekannte katholische Familie aus Mecklenburg. Arlette Reichel arbeitet als Erzieherin bei der Caritas. Aber sie wollte mehr. Nach langer Suche hat sie dieses „Magis“ gefunden. In einem Leben als „Missionarin Christi“
Lebensweihe-Feier in München: Schwester Arlette Reichel erhält den Ring aus den Händen von Generalleiterin Schwester Hildegard Schreier. Foto: privat

 

„Ich wollte nie in ein ,richtiges‘ Kloster gehen“, sagt Arlette Reichel. „Klausur, Ordenstracht, das ist nichts für mich“. Sie ist tatsächlich nicht ins Kloster gegangen. Sie lebt wie viele andere Menschen in Leipzig, im zwölften Stock eines 16-stöckigen Plattenbaus. Sie arbeitet als Erzieherin in einem Familienzentrum. Aber sie ist Ordensschwester geworden – bei den „Missionarinnen Christi“. Die Frauen dieser jungen Gemeinschaft – kirchenrechtlich handelt es sich um eine Gesellschaft apostolischen Lebens – leben mitten unter anderen Menschen und gehen verschiedenen Berufen nach. 

„Alles was ich beruflich und privat jetzt tue und wo ich mich engagiere, könnte ich auch, ohne Ordensfrau zu sein“, sagt die Mecklenburgerin. Dass ihr Leben etwas Besonderes ist, sieht man Schwester Arlette Reichel nicht an. Ihr Taufname ist geblieben, ihre Kleider unterscheiden sich nicht von denen ihrer Kolleginnen. Aber zu Hause, in der Wohngemeinschaft der Missionarinnen Christi, geht es schon etwas anders zu als in den Nachbarwohnungen. Ein Zimmer der zwei Wohnungen, die sie gemietet haben, ist der Gebetsraum. Aber auch das Gebet ist nicht streng geregelt wie in anderen Orden: Wie und wann eine Lebensgruppe betet, so nennen sich die kleinen Gruppen der Gemeinschaft, die es an verschiedenen Orten gibt, welche Psalmen und welche Lieder, bestimmen die Schwestern in Leipzig selbst. „Allerdings spielt die Stille für uns eine große Rolle. Das Schweigen macht einen großen Teil der Gebetszeit aus. Unser Gründer, der Herz-Jesu-Missionar Pater Chris-tian Moser, hat uns nur das Vaterunser als Gebet aufgetragen.“ 

Mitten im turbulenten Leben: die Stille

Die Stille ist ein Gegenpol zu Arlette Reichels Arbeitsplatz. In den Familien im Leipziger Stadtteil Grünau, einem Neubaugebiet aus den 1970er Jahren, heute einer der sozialen Brennpunkte, geht es selten still zu. 50 Prozent der Einwohner sind Geflüchtete und Migranten. Niemand hat viel Geld. Arlette Reichel kennt Jugendliche, die als Lebensziel angeben: „Ich geh Hartz IV“. 

Fromme Worte sind in diesem Umfeld selten gefragt: Wohl aber Menschen, denen das Schicksal ihrer Nachbarn nicht egal ist, die den kleinteiligen Kampf um die Menschenwürde führen und inmitten der Platte den Geist Jesu am Werk sehen. „Es ist die Sehnsucht nach dem Mehr, dem Leben in Fülle, das ich lange gesucht und in dieser Gemeinschaft gefunden habe.“ 

Begonnen hat diese Suche vor 15 Jahren. Arlette Reichel arbeitete in Neustrelitz und fragte sich: „Immer nur mit kleinen Kindern arbeiten, will ich das tun? Sollte ich nicht etwas anderes machen?“ Ähnlich ging es ihr mit ihrem Glauben. „Ich komme aus einer Familie von Caritas-Mitarbeitern und bin gläubig aufgewachsen. Aber es war ein Routineglaube. Ich habe das gemacht, womit ich groß geworden bin.“ Die Erzieherin ließ sich für drei Monate beurlauben, ging für vier Wochen nach Taizé. Während eines England-
aufenthaltes hatte sie Kontakt zur Chemin Neuf Gemeinschaft. Dort tauchte der Gedanke auf, ob Gemeinschaftsleben etwas für sie wäre. Bei einer spirituellen Wanderung nahe der Wallfahrtskirche Maria Kirchental kam die Mecklenburgerin mit einer Missionarin Christi ins Gespräch. Etwas war hier anders als an anderen Orden und bei vielen Gemeinschaften. „Was mich angezogen hat, war die Freiheit, in der die Schwes-tern leben, dass die Individualität eine große Rolle spielte – und die Nähe zu Christus. Denn er war ja immer das Ziel meiner Sehnsucht.“ Es folgten viele Besuche in den Lebensgruppen der Missionarinnen Christi an vielen Orten. „Irgendwann fühlte ich mich so, als ob ich schon dazu gehörte.“ Bei einem Besuch im Noviziat studierte sie die 113 Artikel der „Geistlichen Lebensordnung“, die sich die Schwestern im Laufe der Jahre selbst gegeben haben. Einer Vertrauten unter den Missionarinnen sagte sie: „Ob ich das kann, ob ich das schaffe, das weiß ich nicht.“ Die Antwort: „Du schaffst es nicht. Aber wir freuen uns, wenn du zu uns kommst.“ Die Lebensordnung ist nämlich eine Richtschnur. 

Das gab den Ausschlag. Arlette Reichel wurde Postulantin und Novizin, 2012 wurde sie mit der „Feier der ersten Bindung“ festes Mitglied der Gemeinschaft. Im Frühjahr 2019 hat sie im Kreis ihrer Mitschwestern, ihrer Eltern, Geschwister und Freunde in München die „Lebensweihe“ gefeiert. Sie entspricht der „ewigen Profess“ in anderen Orden. Schwester Arlette ist angekommen nach einer langen Suche. Zu Ende ist ihr Weg aber noch nicht. „Täglich darf ich neu beginnen. Jesus Christus darf ich alles bringen. Meine Ohnmacht, mein Versagen, aber auch meinen Dank und meine Freude.“ Näheres zum Orden unter www.missionarinnen-christi.de

Text: Andreas Hüser