Ständiger Diakon
Gegen Not und Einsamkeit
Dieter Wekenborg ist hauptamtlicher Diakon in Bremen. Die materielle Not und die Einsamkeit vieler Menschen fordern ihn dort besonders heraus. Er arbeitet zusammen mit Ehrenamtlichen in der Großstadt – und manchmal hilft er als „Feuerwehr im Hintergrund“.
Während ihre Wäsche im Trockner rumpelt, hat eine Besucherin der Johannis-Oase noch etwas Zeit für Schönheitspflege. Sie öffnet ein Fläschen mit lila Nagellack und lackiert sich die Fußnägel. Heute ist Frauentag. Das heißt: Ausschließlich wohnungslose Frauen dürfen in der ehemaligen Sakristei der Propsteigemeinde St. Johann kostenlos duschen und ihre Wäsche waschen. Das wird besonders an heißen Sommertagen genutzt, weil die Temperaturen im Keller, wo Waschmaschinen und Trockner stehen, angenehm sind. Im Winter wiederum tut eine warme Dusche gut.
In der Johannis-Oase treffen sich die Armen der Stadt. Dieter Wekenborg schaut regelmäßig vorbei. Der hauptamtliche Diakon begleitet die zwölf bis 14 Ehrenamtlichen, die in diesem Projekt mitarbeiten. Er coacht sie vor allem für Alltagssituationen. Denn manchmal wird es brenzlig für die freiwilligen Helfer: wenn Wohnungslose psychisch krank sind, handgreiflich werden oder einfach nur schimpfen, weil sie die Wasch- und Duschräume nicht als langfristigen Aufenthaltsort nutzen dürfen. „Ich bin dann die Feuerwehr im Hintergrund“, sagt Wekenborg. Er schult in Gesprächstechnik, erklärt, wie sich Konflikte entschärfen lassen, zeigt aber auch die Grenzen des Helfens auf.
Das Amt des Diakons, sagt Wekenborg, habe sein Berufsleben verändert. Als Diakon möchte er Gott in anderen Menschen begegnen, ist überzeugt: „Gottesliebe gibt es nicht ohne Nächstenliebe.“ Zunächst entschied sich der 59-Jährige für ein Theologiestudium, war in der Gefängnisseelsorge tätig und studierte nebenbei Pädagogik. Als Paar- und Familientherapeut leitet er nach wie vor die Beratungsstelle „Offene Tür“ in Bremen. Nach seiner Diakonweihe vor acht Jahren kamen verschiedene gemeindliche und stadtkirchliche Aufgaben hinzu. Beispielsweise predigt er alle vier Wochen in der Propsteikirche St. Johann und feiert Andachten in Altenheimen.
Auch Verstorbene ohne Angehörige sollen würdig bestattet werden
Als Diakon in der Großstadt wird Dieter Wekenborg mit den Nöten der Menschen konfrontiert. Nicht nur in der Johannis-Oase. In diesem Sommer gewährte St. Johann einer Frau aus Afrika und ihren vier Kindern etwa acht Wochen lang Kirchenasyl. Wekenborg, der im Vorstand des ökumenischen Vereins „Zuflucht“ aktiv ist, koordinierte in dieser Zeit den Unterstützerkreis über eine App auf dem Handy: zum Beispiel, wer für die Familie einkaufen und wer die Kinder betreuen sollte. Letztendlich, sagt er, sei dieses Kirchenasyl erfolgreich gewesen: Der Fall wurde noch einmal geprüft, Mutter und Kinder dürfen in Deutschland bleiben und sind inzwischen in eine eigene Wohnung gezogen.
Darüber hinaus arbeitet Diakon Wekenborg in der Begegnungsstätte „Bremer Treff“ mit, ist geistlicher Begleiter der Vinzenzkonferenz, die karitativ in den Gemeinden tätig ist, und kümmert sich um die Initiative „Letztes Geleit“. Dahinter steckt die Idee, auch Verstorbene ohne Angehörige würdig zu bestatten. Gemeindemitglieder nehmen deshalb an Sozialbegräbnissen teil.
Im Stadtstaat Bremen sind die Wege kurz – auch zur Politik. Ein Vorteil. So gibt es Gespräche mit dem Innensenator oder Treffen mit dem Bürgerschaftspräsidenten. „Als Kirche nutzen wir diese Kontakte, und wir werden auch anerkannt“, sagt Wekenborg. „Es wird respektiert, dass wir uns aus unserem Glauben heraus engagieren. Wenn es um die Nöte von Menschen geht, ziehen wir an einem Strang.“
„Die Kirche ist der Diakon der Stadt.“ Diesen Satz prägte der frühere Bürgermeister Henning Scherf – was die Kirchenvertreter ermutigt, das ehrliche Gespräch zu suchen und auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Werner Kalle, Mitglied im Kirchenvorstand und ehrenamtlich tätig, setzte sich zum Beispiel für eine Trinkwasserstelle neben der Propsteikirche ein. Es war die erste in Bremen, für eine zweite sorgten die evangelischen Christen. „Weitere Trinkwasserstellen hat die Stadt abgelehnt, weil sie angeblich zu teuer sind“, sagt Werner Kalle empört und kündigt bereits seinen Protest an.
Die Armut ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar
Neben materieller Armut breitet sich auch Einsamkeit immer weiter aus. Es kommt vor, dass Wekenborg mittwochs im Seniorenkreis auf alte Menschen trifft, die seit Sonntag mit niemandem mehr gesprochen haben. Familiäre und nachbarschaftliche Bindungen seien nicht mehr so stark wie früher, erklärt der Diakon. Auch Menschen, die es nicht mehr auf den Arbeitsmarkt schaffen oder psychische Probleme haben, sind isoliert und warten oft lange auf Gesprächstermine und Therapien.
Was Armut bedeutet, spürt Dieter Wekenborg täglich – auch wenn diese Armut nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist. Oft packt er mit an: Er schmiert Brote im „Bremer Treff“. Er half der Familie im Kirchenasyl beim Wäschewaschen. Weil er eben nicht nur der Verwalter und Koordinator sein will. Der Kontakt zu Notleidenden, sagt er, habe seinen Blick auf die Stadt und auch ihn selbst verändert. „Ich bin dankbarer geworden für das, was ich habe. Und meine Bereitschaft zu teilen ist größer geworden.“
Anja Sabel