Ein ökumenisches Leuchtturmprojekt im Odenwald

„Gemeinsam Zeugnis ablegen“

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In Lindenfels wird die evangelische Kirchengemeinde das katholische Pfarrheim mitnutzen. Auch das evangelische Gemeindebüro zieht gerade ins katholische Pfarrhaus. Ein ökumenisches Leuchtturmprojekt im Odenwald. Von Anja Weiffen



Lindenfels, Kurort im Odenwald, hat rund 2300 Einwohner. Die katholische Pfarrei St. Petrus und Paulus Lindenfels zählt – mit umliegenden Orten – 1371 Mitglieder. Hier zu sehen die katholische Kirche mit nebenstehendem Pfarrhaus.


Auf den ersten Blick scheinen es rein pragmatische Gründe zu sein für diese Veränderung: Die katholische und die evangelische Kirchengemeinde in Lindenfels sind seit Anfang 2023 dabei, sich unter einem gemeinsamen Dach einzurichten. Die evangelischen Christen ziehen  in diesen Tagen und Wochen zu den Katholiken. Beide Gemeinden werden das katholische Pfarrheim nutzen, ihr Gemeindebüro verlegt die evangelische Gemeinde gerade ins katholische Pfarrhaus direkt neben der katholischen Kirche.
Konkreter Auslöser für diese Entscheidung waren Umbrüche auf evangelischer Seite. Die damalige Pfarrerin Jutta Grimm-Helbig ging in den Ruhestand. In Zuge desssen wurde die Pfarrstelle in der evangelischen Gemeinde auf 50 Prozent reduziert. Die Zukunft des bis dato genutzten Gemeindehauses und des nebenstehenden Pfarrhauses der evangelischen Kirchengemeinde stand in den Sternen. Im Herbst 2019 berieten die beiden Gemeinden in einer Sondersitzung über die bevorstehende Situation. „Schon damals bestand große Zustimmung zu der Option der gemeinsamen Nutzung von katholischem Pfarrhaus und Pfarrheim“, sagt Christoph Turetschek aus dem katholischen Ortsausschuss. Er war viele Jahre Pfarrgemeinderatsvorsitzender und hat den Prozess der gemeinsamen Raumnutzung mitorganisiert. Die gewachsene Gemeinsamkeit in der gelebten Ökumene zwischen den beiden Lindenfelser christlichen Gemeinden sei  die Grundlage für die besondere Idee gewesen, betont er. „Schon als Bub bekam ich mit, wie eng sie miteinander verbunden sind, etwa durch gemeinsame Bibelkreise oder Aktivitäten der Frauen beider Konfessionen“, erinnert sich der 47-Jährige. Die heutige Situation sei letztlich die konsequente Fortführung der über Jahrzehnte gewachsenen Zusammenarbeit.
Das Gemeindeleben unter einem Dach stellt sich für beide Kirchengemeinden als Win-Win-Situation dar. Die evangelische Gemeinde gab ihre sanierungsbedürftigen Gebäude auf, sie stehen nun zum Verkauf. Durch die getroffene Entscheidung war schnell eine neue Bleibe gefunden, „die sich nun auch näher an der eigenen Kirche befindet“, erläutert Kurt-Martin Berger vom evangelischen Kirchenvorstand. „Wir hatten die Optionen, neu zu bauen, ein Haus zu kaufen oder mit den Katholiken zusammenzugehen: Gegen letztere Option hatten die Mitglieder beider Gemeinden nichts einzuwenden.“ Die Unterschriften unter die neue Nutzungsvereinbarungen wurden bei einem kleinen Festakt am Reformationstag 2022 gesetzt. „Dieses Datum haben wir bewusst gewählt: Was uns vorher trennte, vereint uns heute“, sagt Berger.
Die Katholiken sehen durch die neuen Mieter sowohl Pfarrhaus als auch Pfarrheim besser genutzt. „Das kommt ja auch dem Erneuerungsprozess im Bistum entgegen, in dem wir unter anderem aufgefordert wurden, die Gebäudenutzung in den Blick zu nehmen“, argumentiert Turetschek. Die Idee mit dem gemeinsamen Dach sei nicht nur aus der Not geboren. „Das evangelische Gemeindehaus und die Pfarrerwohnung tatsächlich aufzugeben, bedeutet Mut und ist Vertrauensbeweis in die ökumenische Zusammenarbeit“, betont Turetschek. Er sieht die Zusammenlegung als ökumenisches Leuchtturmprojekt für die Region. „Wir haben einen gemeinsamen Auftrag, die frohe Botschaft des Evangeliums nach draußen zu tragen und als Christen in der Stadt Lindenfels und Umgebung sichtbar zu sein.“

Viele Gottesdienste aktuell im Pfarrsaal

Auch der katholische Pfarrer Wolfgang Kaiser, seit 2020 Pfarrvikar in Lindenfels, sieht mehr als nur Pragmatismus: „Aktuell nutzen die beiden Gemeinden aufgrund der Winterregelung wegen der schwierigen Heizsitution den Pfarrsaal für die meisten Gottesdienste“, berichtet er. Das Leben beider Gemeinden unter einem Dach findet er ökonomisch und ökumenisch sinnvoll. Der Pfarrer formuliert die Chancen des Projekts so: „Wir können auf diese Weise gemeinsam nach außen Zeugnis ablegen von unserem Glauben an Jesus Christus.“

Von Anja Weiffen