Kirchengeschichts-Kreis der Familienferienstätte Naundorf

Geschichte soll verbinden

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Vor 46 Jahren gründete der frühere Tag des Herrn-Chefredakteur Franz-Peter Sonntag in der Familienferienstätte Naundorf einen Kirchengeschichts-Kreis. Bis heute treffen sich historisch interessierte Frauen und Männer hier jährlich.


Ein auflockernder Spaziergang nach dichten Vorträgen über Melanchthon, Bugenhagen, Witzel und von Pflug.


„Von der Reformation zum konfessionellen Zeitalter“ hieß das Thema, dem sich fast achtzig Geschichtsinteressierte aus allen Teilen Ostdeutschlands am letzten Januar-Wochenende widmeten. Der Berliner Kirchenhistoriker Michael Höhle lieferte das nötige Fachwissen. Mit Bildern und unterhaltsamen Anekdoten angereichert, stellte er am Samstagvormittag Persönlichkeiten der Reformationszeit vor, die sich um eine Wieder-Annäherung zwischen Reformatoren und Vordenkern der „alten“ Kirche bemüht hatten: Melanchthon und Bugenhagen, Julius von Pflug und Georg Witzel.
„Ich kann nur immer wieder staunen, wie lange sich dieser Kreis schon trifft und das Interesse an Kirchengeschichte wachhält“, sagt der Referent, ein ehemaliger Student Franz-Peter Sonntags, der im Hauptberuf Pfarrer im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ist. Nebenbei hält er Kirchengeschichts-Vorlesungen an der Viadrina in Frankfurt/Oder und leitet den Berliner Diözesanverein für Kirchengeschichte. Was unterscheidet seine Zuhörer in der Familienferienstätte von denen in der Viadrina? Abgesehen vom höheren Durchsschnittsalter fällt Michael Höhle da vor allem das außergewöhnlich lebhafte Interesse des Naundorfer Kreises ein. Kaum ein Vortrag, an den sich nicht noch interessierte Nachfragen und ein angeregtes Gespräch anschließen.
Spannend werde es besonders, wenn Parallelen zur Gegenwart deutlich werden. Die Auseinandersetzung mit den Vordenkern der Reformationszeit zeige vor allem, wie nahe immer wieder der Konsens war, auch wenn die Beteiligten ihn nicht sehen wollten. „Geschichte kann dazu beitragen, dass wir uns auf unsere Mitte besinnen und Wege sehen, die aufeinander zu führen“, sagt Professor Höhle. „Sie sollte nie trennen, sondern einen.“
„Glaube birgt immer die Gefahr, seine eigenen Wahrheiten verbissen zu verteidigen“, meint Siegfried Hassler aus Dresden. „Ich lerne an den Kirchengeschichts-Wochenenden, dass manches, was als unverrückbare Wahrheit daherkommt, keinesfalls vom Himmel gefallen, sondern Menschenwerk ist. Das schenkt Gelassenheit.“ „Die Wochenenden lassen erkennen, dass es in der Geschichte der Kirche nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern viele Schattierungen“, hebt ein anderer Dresdner hervor. Wie alle Teilnehmer kommen auch die Dresdner nicht nur in die Caritas-Familienferienstätte in der Sächsischen Schweiz, um ihren geistigen Hunger zu stillen, sondern auch, um Kontakte zu pflegen. Dass immer wieder Neue hinzustoßen, ändert nichts daran: Gemeinschaft wird groß geschrieben im Kirchengeschichts-Kreis, das war zu Pfarrer Sonntags Zeiten so, wurde mit seinen Nachfolgern Gerhard Feige und Siegfried Seifert fortgeführt und ist in den letzten fünf Jahren mit Michael Höhle nicht anders. Zwischen Vortrag und Diskussion gehört der Austausch über Ereignisse des zurückliegenden Jahres ebenso zum Programm wie der Spaziergang und die sonntägliche Eucharistiefeier mit einer langen Fürbitt-Litanei für alle verstorbenen Ehemaligen.
Dass die eine oder andere Familie bereits in zweiter Generation in Naundorf erscheint, trägt zum familiären Charakter der Veranstaltungen ebenso bei wie die Atmosphäre des St.-Ursula-Hauses und die organisatorische Initiative der Radebeulerin Monika Müller, die zum Beispiel jedem eine persönliche Einladung schickt. Alle zwei bis drei Jahre reisen die Kirchengeschichtler zudem eine Woche lang gemeinsam an geschichtsträchtige Städte und Regionen.

Von Dorothee Wanzek