Weihnachtliche Düfte

Glaube geht durch die Nase

Gemeindemitglieder testen Düfte

Foto: Anja Sabel

Riecht das nach Weihnachten? Gemeindemitglieder in Twistringen testen den Weihnachtsduft Physis und haben Spaß dabei. 

Wie riecht Weihnachten in der Kirche? Jedenfalls nicht klischeehaft nach Bratapfel oder Glühwein. Der Raumduft Physis, entwickelt von Theologen und Geruchsexperten, erinnert an das Kind in der Krippe. Seine Hauptspur ist Vanille. Eine Gemeinde hat den Duft getestet.

Andrea Feldmann schnuppert dem ersten Sprühstoß nach. Nein, sagt sie, nach Weihnachten rieche das nicht. „Aber angenehm und süßlich.“ Nach wenigen Minuten nimmt sie Orange wahr. Auch Anke Lührsen wedelt sich den Weihnachtsduft zu: „Der ist schön, er erinnert mich an meine Mutter.“ Pastoralreferentin Birgit Hosselmann riecht Orange und Zimt. Als sie sich die Duftprobe direkt an die Nase hält, fühlt sie sich eher an Klebstoff erinnert. Anke Lührsen ruft ihr zu: „Willst du damit sagen, dass meine Mutter nach Klebstoff gerochen hat?“

Lautes Lachen. Sechs Mitglieder des Gremiums „Glaubenskommunikation und Spiritualität“ – kurz Spiri-Club – verbringen einen „duften“ Abend im Pfarrzentrum Twistringen, südlich von Bremen. Sie testen Kirchendüfte, die entwickelt wurden vom Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP) in Bochum: vier zitrische und holzige Raumdüfte, abgestimmt auf große christliche Feste. Physis, der Weihnachtsduft, macht als Erstes die Runde.

Seine frische Kopfnote basiert auf Orange und Mandarine. Die Herznote ist warm und blumig, holzige Noten und Vanille runden das Ganze ab. Verschiedene Gewürze – Zimt, Ambra, Myrrhe, Tabak, Moschus – geben dem Duft Wärme. Er entfaltet sich in Räumen und auf Papier – nicht auf der Haut, obwohl man durchaus an warme Haut denkt. Denn Physis enthält den facettenreichen Duftstoff Iso E Super. Luftig und leicht, erinnert er an feines Zedernholz und cremiges Sandelholz. Er verströmt ein wohliges Gefühl von Vertrautheit und Innigkeit – so wie ein Weihnachtsabend in Gemeinschaft.

Aussage "Gott wird Mensch" in einen Weihnachtsduft übersetzt

„Wir wollten keine banalen Düfte, die einfach nur die eigenen Erfahrungen abbilden“, erklärt Matthias Sellmann, Professor für Pastoraltheologie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des ZAP. Das heißt: Physis kommt ohne Klischees aus – ohne die üppige Süße von Zuckerstangen, den Geruch nach Bratapfel und Weihnachtsmarkt. Seine Hauptspur ist Vanille, denn wo immer ein Kind geboren und mit Muttermilch versorgt wird, riecht es nach Vanille. Vanille verbindet uns, instinktiv und emotional. Es ist der Duft der Menschwerdung. „Damit haben wir die theologische Aussage ,Gott wird Mensch‘ in einen Weihnachtsduft übersetzt“, sagt Sellmann.

Vanille
Vanille ist die Hauptspur des Weihnachtsduftes Physis. Foto: gate74/Pixabay

Birgit Hosselmann riecht Vanille heraus. Sie würde die Weihnachtsbotschaft ähnlich olfaktorisch übersetzen. Zwischen Ochs und Esel hat es ganz sicher nicht nach Lebkuchen und Bratapfel geschnuppert. Im Stall in Betlehem wird es eher unangenehm gerochen haben: nach tierischem Mist, feuchtem Stroh, morschem Holz, nach Schweiß und Blut, den Anstrengungen einer Geburt. Aber eben auch nach Vanille, dem Grundstoff der Muttermilch. Gefeiert wird, dass ein kleiner Mensch geboren wurde, der ernährt wird, wachsen kann und lebt.

Neugeborene mögen Muttermilch auf Anhieb – weil sie wegen der energiereichen Kohlenhydrate leicht süßlich schmeckt. Der Geruch von Vanille vermittelt tiefe Geborgenheit. Mit diesem Gefühl ist für viele Menschen die Weihnachtszeit verbunden. Auch das kleine Kind in der Krippe, sagt Professor Sellmann, habe sich trotz der Fluchtsituation bei seiner Mutter Maria und seinem Vater Josef geborgen gefühlt. Im Duft Physis schwingt allerdings schon ein Hauch Ostern mit. Myrrhe in der Basisnote bringt die Bitterkeit des Todes Jesu am Kreuz zum Ausdruck.

Das ZAP experimentiert gern und würde der Kirche gern eine Aromatherapie verpassen. Kritiker sagen: Ein Kirchenraum ist doch keine Parfümerie! Matthias Sellmann sieht das anders. Wer heute an Gottesdienst und Kirche denke, sagt er, assoziiere damit oft Weihrauch. Der Geruch ist durchaus positiv besetzt. Aber im Riechgedächtnis verankert sind auch Filme wie „Der Name der Rose“, verbunden mit modrigen Mauern, dunklen muffigen Ecken oder schweren milbigen Textilien. „Kirche ist für die Nase anscheinend eine Zumutung“, sagt Sellmann. Auch der Twistringer Spiri-Club stimmt dem zu. Wobei Pfarrgemeinderatsmitglied Anke Lührsen in alten Gemäuern nicht nur die Nase rümpft. Und sie ergänzt: „Auch vollbesetzte Kirchen haben ihren Eigengeruch. Ich denke da an früher – zum Beispiel an 4711 im Pelzmantel.“

Wie sollte die Kirche im 21. Jahrhundert riechen? Die Antworten kommen sofort: wie eine frische Brise, die durch geöffnete Fenster und Türen hereinströmt. Und genau das betont auch Sellmann: „Kirche zu verändern, das hieße, Luft und Licht hereinzulassen, sie zu beschleunigen, zu verjüngen, die Schwermut zu verjagen.“

Theologen sind keine Duftexperten, deshalb hat das ZAP zwei Sachkundige engagiert: den renommierten Geruchsforscher Hanns Hatt, Professor für Zellphysiologie, und den Parfümeur Marc vom Ende. Die Teammitglieder bedienten sich der Methode des sogenannten Moodboarding. Sie visualisierten Ideen und Stimmungen und drückten mithilfe von Bildern aus, wonach Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Alltag für sie riechen. Ein Diffusor verbreitet die Düfte dezent in spirituellen Räumen und sorgt für ein besonderes Dufterlebnis.

Der Geruchssinn der meisten Menschen ist nicht gut ausgebildet.

Düfte, sagt Matthias Sellmann, sind nie neutral. Das bestätigt auch die moderne Riechforschung. Der Geruchssinn ist der einzige Sinn, der unmittelbar Erinnerungen und Emotionen weckt. Riecht es in einem Raum wie in der Küche der Großmutter, wird man sofort in „die gute alte Zeit“ zurückversetzt: wie es dort früher ausgesehen hat, wie liebevoll die Oma war. Christa Arnold vom Spiri-Club sagt: „Düfte verändern Stimmungen. Ich mag es, wenn Menschen gut riechen.“ Beim Geruch von Vanilletabak denke sie zum Beispiel immer an einen Nachbar, der schon vor langer Zeit gestorben ist. Das Weihnachtsfest ihrer Kindheit verbinden die Twistringer mit dem Duft von Tannengrün, Kerzenwachs, Christstollen, Lebkuchen, Spekulatius, Mandarinen und Zimt.

Die eigene Prägung entscheidet darüber, welche Gerüche wir mögen und welche uns eher stinken. Übertragen auf die Kirche wird deutlich: Immer mehr Menschen haben keinen Kontakt mehr zu ihr. Sie sind Gerüche wie Weihrauch nicht mehr gewöhnt und lehnen sie deshalb tendenziell ab. „Wenn wir darüber nachdenken, wie Kirche heute riechen soll, müssen wir das mit bedenken“, sagt ZAP-Leiter Sellmann. Der Arbeitsauftrag für die Aerothek, wie die Sammlung der vier Raumdüfte heißt, lautete also: Welche Gerüche werden heute von einer Mehrheit der Menschen als angenehm empfunden? Und wie können sie so eingesetzt werden, dass sie das Wohlbefinden in Kirchen und Pfarrzentren steigern und über einen ersten positiven Geruchseindruck hinaus auf das verweisen, was verkündet werden soll?

Im Weihnachtsduft Physis sind auch Weihrauch und Myrrhe enthalten, Duftgaben, die die Weisen aus dem Morgenland dem Neugeborenen mitbrachten. Beides war damals so wertvoll wie Gold und wurde schon bei den Ägyptern und in der Antike als kultisches Mittel verwendet. Myrrhe wurde vor allem für Totensalbungen und Pharaonen, aber auch für Krönungszeremonien eingesetzt. Weihrauch wird meistens verbrannt. Und weil er dann stark riecht und sichtbar nach oben aufsteigt.

Orange
Die eigene Prägung entscheidet, welche Gerüche wir mögen und zum Beispiel mit Weihnachten verbinden. Foto: Couleur/Pixabay

Die Verbindung zwischen Duft und Glaube, Duft und Gebet, ist also nicht neu und schon gar nicht aus der Luft gegriffen. Das ZAP denkt ernsthaft darüber nach, wie Glaubensorte – Kirchen, Kapellen, Gebetsräume genauso wie Pfarrheime, kirchliche Akademien oder Beratungsstellen – auch mithilfe von Wohlgerüchen so gestaltet werden können, dass sie positiv in Erinnerung bleiben. Nicht mit schlechtem oder fadem Beigeschmack, sondern so, dass man dort gern hingeht.

Der Geruchssinn der meisten Menschen sei nicht gut ausgebildet. Er werde, im Gegensatz zu den anderen Sinnen, oft stiefmütterlich behandelt. Geruchsforscher Hanns Hatt, der an der ZAP-Aerothek mitgearbeitet hat, spricht sich dafür aus, ihn zu trainieren: Es gebe in der Schule zwar Gesangsunterricht, aber keinen Riechunterricht. Der sei aber wichtig, allein schon, um Fast-Food-Gewohnheiten zu verändern. Wer gut und differenziert riechen könne, sei auch eher bereit, sich ausgewogen zu ernähren.

Feste wie Weihnachten sind ideal, um mit dem Riechtraining zu beginnen, findet Matthias Sellmann. Ideen, wie sich der Geruch von Physis einbinden lässt, hat er viele. Zum Beispiel bei Duftmeditationen, in einer Adventsvigil, in Kindergottesdiensten. Oder man stellt die Duftmaschine, den Diffusor, direkt neben die Krippe. Eine Predigtreihe könnte die Frage aufgreifen, wie es in der Krippe gerochen hat. Oder man stellt Impulsfragen zu Bibeltexten wie Matthäus 2,1-12, die Huldigung der Sterndeuter: Wie riechen Babys für Sie? Welchen Duft verbinden Sie mit Ihrer Familie?

Nach einer ausgiebigen Testrunde findet der Twistringer Spiri-Club Gefallen an den vier Kirchendüften. Ostern (Kenosis) und Pfingsten (Dynamis) seien fast noch ansprechender als der Weihnachtsduft, heißt es. Für eine Pfarrei allein wären Diffusor und Raumdüfte zu kostspielig. Aber das Set könne ja vom Bistum angeschafft werden und als Leihgabe durch die Gemeinden gehen, überlegt die Gruppe. Die Probenfläschen jedenfalls bleiben in Twistringen. Pastoralreferentin Birgit Hosselmann lächelt und sagt: „Ich weiß schon, wo ich demnächst sprühe, lasst euch überraschen.“ Merken Sie schon, wie die Geschichte anfängt zu duften?

Anja Sabel

Hintergrund

Schon vor mehr als 5000 Jahren verbrannten die Ägypter Duftstoffe bei Räucherritualen: Harze und Pflanzenessenzen bei Sonnenaufgang, Myrrhe und den Saft des Balsaholzbaumes beim höchsten Stand der Sonne und raffinierte Mischungen bei Sonnenuntergang. Aus dieser Zeit lässt sich der heutige Begriff „Parfüm“ ableiten: Die Duftstoffe, die verbrannt wurden, stiegen in wabernden Wolken zur Ehre Gottes auf – also „per fumum“, was aus dem Lateinischen übersetzt so viel heißt wie „durch den Rauch“.

Die reichen Ägypterinnen benutzten Salben und Pomaden aus Anis, Rosmarin und Zitrone, die weniger Betuchten nahmen Rizinusöl, gemischt mit Minze oder Thymian.

Auch die Bibel ist voller positiver Dufterfahrungen: 
Da nahm Maria (Magdalena) ein Pfund echten, kostbaren Nardensalböls, salbte Jesus die Füße und trocknete seine Füße mit ihren Haaren. Das Haus aber wurde erfüllt vom Geruch des Salböls. (Joh. 12,3). Nardenöl ist ein sehr seltenes und hochwertiges Öl, das aus einer Pflanze der Baldriangewächse gewonnen wird.

Von Myrrhe, Aloe und Kassia duften deine Kleider. (Psalm 45,9)

Mein Bittgebet sei ein Räucheropfer vor deinem Angesicht, ein Abendopfer das Erheben meiner Hände. (Psalm 141,2)