Abschiedsinterview mit Udo Markus Bentz

„Gott wirkt mit. Das gibt mir Zuversicht.“

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Erzbischof Udo Markus Bentz
Nachweis

(Foto: Gertrud Wellner)

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Der neue Erzbischof von Paderborn Udo Markus Bentz war bisher Weihbischof und Generalvikar im Bistum Mainz.

Den Rhein oder die Fastnacht? Was wird Erzbischof Udo Markus Bentz aus dem Bistum Mainz am meisten vermissen? In drei Wochen übernimmt der bisherige Mainzer Weihbischof und Generalvikar die Leitung des Erzbistums Paderborn. Im Abschiedsinterview lässt er besondere Wegmarken seiner Wirkungszeit im Bistum Mainz Revue passieren. Und er erzählt, wie es sich anfühlt, in Krisenzeiten ein Erzbistum zu übernehmen.

Haben Sie sich schon an den Titel „Erzbischof“ gewöhnt? 

Nein, dafür ist die Zeit zu kurz. 

Werden Sie schon oft so angesprochen? 

Das ist unterschiedlich. Manche sagen auch Herr Weihbischof. Es gibt eine sympathische Unsicherheit, das geht mir auch selbst so. Die letzten Wochen waren ein Leben zwischen zwei Welten, nicht mehr so richtig in Mainz und noch nicht so richtig in Paderborn. 

Am 10. März übernehmen Sie die Leitung des Erzbistums Paderborn. Was werden Sie aus dem Bistum Mainz am meisten vermissen? 

Menschen. Ganz konkrete Menschen, mit denen ich intensiv zusammengearbeitet habe. Aber auch ein ganzes Netzwerk an Freundschaften und Bekanntschaften. Ein Beziehungsnetzwerk verliert man nicht. Aber durch so eine Zäsur verändert es sich. Natürlich werde ich all das vermissen, was mir hier Heimat ist: Orte und Landschaften, die kulturelle Prägung. Zur Heimat gehört auch eine Mentalität, eine bestimmte Art zu leben und leben zu lassen. Was macht die aus? Diese Mentalität ist eher ungezwungen, sehr direkt, aber auch nicht unbedingt nachtragend. Es gibt eine gute Mischung aus einer grundlegenden Lebensfreude und Toleranz, die ich immer wieder in Rheinhessen und im Mainzer Umfeld erlebe. Aber nicht oberflächlich. Der Ernst des Lebens wird nicht übertüncht. Dazu gehört eine Melancholie, die sich ja zum Beispiel auch in der Fastnacht findet. 

Wenn dieses Interview erscheint, ist die Fastnacht gerade vorbei. Wird sie Ihnen fehlen? Sie waren auch regelmäßig bei den Fernseh-Fastnachtssitzungen. 

Nicht nur dort. Ich habe jedes Jahr vier oder fünf Sitzungen bei verschiedenen Vereinen mitgefeiert. Aber: Ich würde mich nicht als aktiven Fastnachter bezeichnen, sondern eher als Konsum-Fastnachter verstehen. Ich schätze die Fastnachtskultur sehr, weil sie ein politisches, gesellschaftliches, kritisches Moment hat. Weil sie die Wahrheit liebt und es liebt, Finger in Wunden zu legen, ohne zu verletzen – wenn es gut geht. Und weil es eine Art und Weise ist, das Leben zu feiern. 

In einem Fastnachtslied heißt es: „Wir alle wir leben im Schatten des Doms“. Welcher Ort in Mainz ist Ihr Lieblingsort? 

Das sind Orte, mit denen mich biografische Ereignisse verbinden. Das Priesterseminar ist mir besonders lieb, 1988 bin ich als Seminarist hierhergekommen, habe darüber das Bistum Mainz kennengelernt und bin hier hängengeblieben. Und später zehn Jahre Regens in diesem Seminar gewesen. Da steckt viel Herzblut drin. Die Augustinerkirche ist für mich ein ganz außergewöhnlicher Ort. Nicht nur vom Raum her. Sie liegt mitten in der Fußgängerzone, viele Leute kommen vorbei, gleichzeitig ist sie ein ganz ruhiger Ort. Meine Güte, wie viel Dankbarkeit und Sorge habe ich in all den Jahren gerade dort vor Gott gebracht. Und im Bistum? Im Bistum ist es natürlich Worms, sozusagen meine erste Liebe. Direkt nach der Priesterweihe war ich drei Jahre dort als Kaplan tätig, eine ganz intensive Zeit. Am schönsten war es, abends den Schlüssel zu nehmen, in den dunklen Dom hinüberzugehen und dort alleine zu sitzen. Der Jakobsberg gehört dazu, ein spiritueller Kraftort. Wenn ich auf die Stadt Mainz schaue: Ich werde es vermissen, am Rheinufer entlangzuspazieren. 

Dort hat man sie früher öfter mit Ihrem Hund „Washington“ getroffen.

(Lacht) Das war natürlich eine tolle Zeit. Mit einem Hund ist man unterwegs. Man hat Bewegung, knüpft Kontakte, kommt ins Gespräch. Das war immer fantastisch. Ich sitze auch gerne am Abend am Liebfrauenplatz oder am Marktplatz und lasse den Dom auf mich wirken. 

Sie haben 35 Jahre im Bistum gelebt und gearbeitet, 16 Jahre in leitenden Positionen. Welche Projekte liegen Ihnen am Herzen? Was wollten Sie vorantreiben? 

Viele kleinere und größere Projekte. Dahinter steht aber immer eine Vision von Kirche. In der Verantwortung als Regens und in der Ausbildung für Pastoralreferentinnen und -referenten erinnere ich mich noch gerne und gut an das Projekt „Er weiß, wofür er lebt“. Das war ein Öffentlichkeitsprojekt. Es ging nicht einfach darum, Werbung für den Priesterberuf zu machen, sondern Menschen zu zeigen, was deren Berufung ausmacht. Ich habe gemerkt, dass dieses Projekt sehr gute Resonanz bekommen hat und man darüber ins Gespräch kam. Es war sehr schön, als die anderen pastoralen Berufsgruppen sagten: Eigentlich braucht es so etwas Ähnliches auch für uns. 

Ihr Fazit? 

Gemeinsam Kirche sein, eigene Glaubenserfahrungen miteinander teilen: Was mir in der Ausbildung wichtig war, ist das Zusammenwachsen und das berufsgruppenübergreifende Selbstverständnis. Wir haben unsere eigene berufstypische, aber auch unsere gemeinsame Berufung. Wir ziehen an einem Strang. Im Lernen von Anfang an. Es war mir ein Anliegen, das Priesterseminar zu einem Haus der kirchlichen Berufe zu entwickeln. Dafür habe ich in einer grundlegenden Sanierung die baulichen Voraussetzungen geschaffen und das Haus geöffnet zu einem Lernund Begegnungsort junger Menschen. Das Konzept wurde weiterentwickelt. Ich hoffe, dass von dem Spirit etwas bleibt. 

Ja, das war in Ihrer Zeit als Regens. 

Es gab auch später viele Projekte. Vor allen Dingen gemeinsam mit Bischof Peter Kohlgraf sind in den letzten Jahren viele, teils längst überfällige Entwicklungsschritte möglich geworden: das Großprojekt „Pastoraler Weg“ steht da an erster Stelle. Dabei geht es ja nicht nur um Strukturen, sondern zuerst um Mainz künftig Kirche sein? Ein roter Faden ist für mich das Stichwort „Gemeinsames Verantworten“. Dazu gibt es ganz konkrete Auslöser. Als ich damals als neuer Generalvikar 2017/2018 die Akten zum Thema Missbrauch präsentiert bekam, war mir schnell klar: So, wie man damit umgeht, isoliert im engsten Zirkel, geht das nicht. Das muss anders werden. Das war der Auslöser für das zweite große Projekt: die EVV-Studie und die Neuordnung von Intervention und Prävention; Aufklärung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und der Umgang damit in der Vergangenheit. 

Wie wirkt sich die Studie „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen“ (EVV) aus? 

Ich bin sehr dankbar zu erleben, wie viele gemeinsam bei diesem Thema am selben Strang ziehen – allen voran die Bevollmächtigte Stephanie Rieth – und das gleiche Ziel vor Augen haben: Kirche zu einem „safe place“ für alle Schutzbedürftigen zu machen. Und auch da geht es nicht nur um veränderte Strukturen, sondern um Veränderung von Haltungen. Es ist meine Überzeugung: transparente Verfahren, Beteiligung externer Expertise, Sensibilisierung und gemeinsame Verantwortung sind Voraussetzungen für einen Kulturwandel nicht nur im Blick auf sexualisierte Gewalt. Dazu gehört zum Beispiel auch die Stärkung der Gremien. Und ich wollte das Amt des Generalvikars mit seiner Konzentration an Verantwortung und Macht verändern. Ich kann nicht nur von anderen erwarten, sondern muss selbst vorleben, wie gemeinsame Verantwortung gestaltet werden kann. Deshalb habe ich das Konstrukt der Bevollmächtigten des Generalvikars entwickelt: Die Art und Weise, wie das gemeinsam mit Stephanie Rieth möglich war und wir vom Bischof unterstützt wurden, ist wegweisend. Das ist ein guter Weg, davon bin ich fest überzeugt. 

Welche Zeit Ihres Wirkens würden Sie als besondere Lernphase bezeichnen? 

Wenn ich so zurückschaue, hatte jede neue Aufgabe ihre intensive Lernphase: Als Kaplan war das die Seelsorge, eine ganz intensive Zeit. Deswegen wollte ich diesen Beruf ausüben. Es ist damals anders gelaufen. Weil ich nie in die Pfarrseelsorge durfte. Da fehlt etwas. Dennoch versuchte ich, in all meinen Aufgaben auch Seelsorger zu bleiben. Ich war Kaplan beim Bischof, bei Kardinal Lehmann. Durch dessen Tätigkeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz habe ich eine ganz andere Seite, die kirchenpolitischen und gesellschaftlichen Themen, wahrgenommen und Erfahrungen im Beobachten sammeln können. In der Priesterausbildung, als Regens, habe ich ganz viel gelernt: junge Menschen in ihrer Suchbewegung zu unterstützen, wer sie sind und wer sie sein wollen, und sie in ihren Potenzialen zu fördern. Ich habe dabei aber auch gelernt, dass man Menschen nur gerecht wird, wenn man versucht, ehrlich und aufrichtig miteinander umzugehen. Dazu gehört auch, jemandem schwierige Entscheidungen mitzuteilen. Ich musste Leute entlassen und musste Menschen sagen: Das ist nicht dein Weg. Keine leichte Lernerfahrung. Und dann kam die Aufgabe als Weihbischof. Ich war viel unterwegs, bei Visitationen, in Einrichtungen. Gerade auch die Arbeit der Caritas war mir in der Rolle des Weihbischofs wichtig. Im Amt des Generalvikars geht es um Administration, Prozesse initiieren. Man lernt dabei auch, schwierige Prozesse durchzustehen, unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen zu treffen und sich einen breiten Rücken anzueignen. Man spürt, wie sich Hornhaut entwickeln muss. An den Ellbogen? (Lacht) Nicht an den Ellbogen, eher auf der Seele zum eigenen Schutz. Es ist auch spannend, etwas zu gestalten, worüber man im Gespräch mit anderen zu der Überzeugung kommt: Das ist ein Weg, der uns weiterführt. Die Gründung von Unikathe für die Zukunft unserer Kitas, die Gründung der Schulgesellschaft, die Veränderungen bei unseren Tagungshäusern, andere schwierige Projekte in der Konsolidierung unserer Finanzen. Das ist nie ein Spaziergang gewesen. Aber ich bin grundsätzlich der Auffassung: Das meiste lernt man durch die schwierigen Lebenserfahrungen. 

Aus einem Interview haben wir erfahren: Sie trinken morgens gerne starken Kaffee und gehen dann ihren Gedanken nach. Was bedeutet Ihnen so ein Morgenritual? Halten Sie das strikt durch?

Ja, in der Regel schon. Das ist im Laufe der Jahre mit zu meiner wichtigsten persönlichen Zeit geworden. Ich würde sagen, das ist eine meiner alltäglichen Tankstellen, persönlich, aber auch geistlich- spirituell. Dann geht es darum, im inneren Gespräch mit Gott zu sein, dann auf den Tag zu schauen. Wie gehe ich hinein? Welchen Leuten begegne ich? Das ist für mich eine wichtige Form des Betens. Ich schätze das sehr. Und dann gibt es natürlich auch das andere Beten, mein Stundengebet, mein Gebet als Priester, die Feier der Eucharistie.

Sie übernehmen nun eine eigene Diözese in Zeiten, in denen es für die Kirche nicht einfach ist. Wie fühlen Sie sich?

Als der Anruf aus Paderborn kam, brauchte ich ein paar Tage, bis ich innerlich wirklich ein Ja sprechen konnte. Kann und will ich in dieser schwierigen Situation in diese Rolle hineingehen? Bin ich dafür der Richtige, der diese Dynamik aushält, sozusagen in die Öffentlichkeit gestoßen und auch Projektionsfläche zu sein für alles Mögliche? Ich glaube, heute Bischof zu werden, ist nicht einfach eine Ehrenauszeichnung, sondern vor allem eine schwierige Aufgabe, die viel zumutet. Wenn wir aber ernst nehmen, dass Krise auch Chance ist, dann sehe ich die Möglichkeiten, etwas zu verändern, weil ich der Überzeugung bin: Kirche hat Zukunft. Dieses Evangelium hat Zukunft. 

Aktuell könnte man an der Weltlage verzweifeln. Was hindert Sie daran, dies nicht zu tun? Sie haben Ihren bisherigen bischöflichen Wahlspruch „Überall predigen – der Herr wirkt mit“. Ein hoffnungsvoller Spruch. Wo spüren Sie ihn? 

Dieser Satz „Überall predigen“ hatte nach diesem Anruf des Dompropstes aus Paderborn plötzlich eine ganz eigene Dynamik. Dass ich mich gefragt und mir gesagt habe: Jetzt musst du es aber auch ernst nehmen. Wenn überall, dann eben nicht nur in Mainz, sondern jetzt auch in Paderborn. Das ist die existenzielle Seite an diesem Wahlspruch. Dieses „Überall“ meint nicht, sich an alle Straßenecken zu stellen und zu predigen im Wortsinn, sondern es heißt: In allen Lebenssituationen hat dieses Wort uns etwas zu sagen, hat dieses Evangelium seine Relevanz. Es kann durch Worte, Gesten, Verhalten, Taten der Liebe, durch alles gepredigt werden. Was mir die Hoffnung gibt, ist der zweite Teil „domino cooperate“. Es gibt eine Kooperation mit Gott. Wenn wir wirklich mit diesem Wort unterwegs sind, werden wir spüren – und das ist ein Stück meine geistliche, meine Lebenserfahrung: Es gibt viele Zumutungen, Phasen, die viel Kraft kosten. Es gibt Phasen, von denen man denkt: Oh, wie soll es überhaupt weitergehen? Und dann spürt man aber doch: Da wirkt etwas. Da wirkt jemand. Gott wirkt mit. Das gibt mir Zuversicht.

Das Gespräch führte Anja Weiffen.