Vinzenzpforte Hildesheim

„Hier ist immer was los!“

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Für viele Besucher ist die Vinzenzpforte beim Mutterhaus der Vinzentinerinnen in Hildesheim fast so etwas wie ihre Wohnstube. Hier bekommen sie eine warme Mahlzeit, können duschen, andere Gäste treffen – und sie haben in den haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern Menschen, die ihnen zuhören und sie so akzeptieren wie sie sind. Hier laufen Lebensgeschichten zusammen. Max Balzer hat ein paar seiner Begegnungen in der Vinzenzpforte festgehalten.


Melanie Bartels

„Das ist schon eine kleine Gemeinschaft.“

Melanie Bartels (49) erzählt vom Verlust ihres Mannes.

„Dass der Tod meines Mannes überraschend kam, kann ich eigentlich nicht sagen. Alle haben gesehen, dass das nicht mehr lange gut gehen kann mit Micha. Sein Arzt hat ihm auch schon vor Jahren gesagt: Wenn Sie noch drei Jahre so weiter machen, dann war’s das. Alkohol, Organversagen. Aber irgendwie hat mich das dann doch überrascht, als Micha gestorben ist. Im April, ja. Das fühlt sich noch immer falsch an, wenn ich irgendwo Witwe ankreuzen muss.

Wir waren meistens zusammen unterwegs. Und oft auch hier, in der Vinzenzpforte. Das müssen jetzt mehr als 14 Jahre sein, dass wir zum ersten Mal hierhergekommen sind. Damals war ich frisch aus der JVA entlassen, und jemand von der ambulanten Hilfe sagte, wenn du Hunger hast, dort bekommst du etwas. Das war auch so. Die Vinzenzpforte wurde damals noch von älteren Schwestern der Vinzentinerinnen betreut. Am Anfang von Schwester Reinharda, die sehr klein war, aber mit ihr haben sich selbst die größten Männer nicht angelegt. Spä-ter kam Schwester Cäcilia, die so sanft und freundlich zu den Leuten war, wie ich es selten erlebt habe. Und seit 2015 für die Vinzenzpforte angebaut wurde, ist Jeanne Golla mit ihrem Team verantwortlich, die ja keine Schwester mehr ist.

Das habe ich alles miterlebt. Aber ich komme natürlich nicht nur, weil‘s hier warmes Mittagessen und Kaffee gibt. Es geht um viel mehr. Ein bisschen quatschen, Leute treffen. Meistens gehen die Menschen hier sehr nett miteinander um. Geradezu friedlich. Zum Beispiel an Weihnachten, wenn es schönes Essen aus dem Bernward Krankenhaus gibt. Das ist doch besser, als zuhause zu sitzen und zu trauern. Und so war es auch vor ein paar Wochen, als eine Gedenkstunde für Micha abgehalten wurde. Viele Menschen sind gekommen, die ihn gekannt haben. Und ich habe gemerkt, das ist schon eine kleine Gemeinschaft. Wir sind nicht allein.“
 


Jeanne Golla

„Für mich ist es der absolute Traumjob.“

Jeanne Golla (42) leitet die Vinzenzpforte und erzählt davon, was Miteinander für sie bedeutet und was Pfeffer und Salz damit zu tun haben.

„Ich war schon immer gerne Gastgeberin. Früher habe ich davon geträumt, ein eigenes Café aufzumachen. Tatsächlich habe ich dann soziale Arbeit studiert, wobei mich die Unterstützung von Wohnungslosen und anderen benachteiligten Gruppen besonders beschäftigt hat. Heute bin ich leidenschaftlich gern Sozialarbeiterin. Deshalb war für mich sofort klar, als meine damaligen Mitschwestern im Kloster der Vinzentinerinnen Hildesheim nach einer Leitung für die Vinzenzpforte suchten – das will ich machen!

Damals, 2015, war gerade der Anbau für die Vinzenzpforte am Mutterhaus der Vinzentinerinnen Hildesheim entstanden. Und so hatte ich das Glück, etwas Neues anfangen zu können. Mit Schwestern und Freunden habe ich gebrauchte Möbel ausgesucht und in die leere Vinzenzpforte geschleppt. Mir war wichtig, dass es gemütlich wird. Ein bisschen wie in einem Café. Vor der Pandemie haben wir immer gemeinsam mit unseren Gästen gegessen, und wir werden das wieder tun, sobald wie möglich. Dieses Miteinander macht viel aus. Dazu gehört auch, dass immer eine Serviette bereit liegt, dass Salz und Pfeffer auf dem Tisch stehen. Nachwürzen ist für mich ein Menschenrecht. Schließlich sollen sich die bedürftigen Menschen, die uns besuchen, angenommen und respektiert fühlen.

Mit dem Beratungsbüro, das jetzt in die Vinzenzpforte gebaut wird, gehen wir den nächsten Schritt. Unsere Gäste bekommen endlich die Möglichkeit, ein vertrauliches Gespräch zu führen oder Angebote wie Schuldnerberatung und Eingliederungshilfe in der Vinzenzpforte wahrzunehmen. Es ist ein gutes Gefühl, dass diese Unterstützungsangebote wachsen – auch, wenn wir alle noch nicht wissen, wohin. Für mich ist das hier ein absoluter Traumjob.“
 

„Ich lasse mich nicht unterkriegen!“


Radovin Zips

Radovin Zips (71) erzählt von einem Moment, als er alles verlor.

„Vor zwei Jahren stand eines Nachts die Gartenlaube, in der ich lebte, in Flammen. Buff. Ich war gerade in den Garten gegangen, aber mein Hund, ein Schäferhund-Mischling, ist in der Laube verbrannt. Mit ihm alles, was ich besaß. Die Brandursache ist von der Polizei nie aufgeklärt worden. Es war schon Ende September. Ich hatte kein Dach mehr über dem Kopf und nur noch die Kleidung, die ich anhatte.

So bin ich in die Vinzenzpforte gekommen. Normalerweise spielen wir ‚Mensch ärgere Dich nicht‘ oder kloppen Karten. Aber an diesem Tag habe ich gemerkt, wie blöd das ist – im vollgestopften Gemeinschaftsraum zu erzählen, was mir zugestoßen ist. Viele saßen dabei und haben dazwischen gequatscht. Jeanne, die Leiterin, hat sofort organisiert, dass ich zum Guten Hirten gefahren wurde. Neue Kleidung, duschen, etwas essen. Ich habe in dieser Zeit viel Hilfe erfahren, dafür bin ich sehr dankbar.

In der Zwischenzeit habe ich eine neue Gartenlaube gefunden. Und auch wieder einen Schäferhund-Mischling – ohne den geht es für mich ja nicht. Aber jetzt wird die Gartenkolonie, in der ich lebe, aufgelöst. Derzeit suche ich eine Wohnung für mich und meinen Hund. Ich habe bereits viele Wohnungen angeguckt. Es hat noch nicht geklappt, aber ich lasse mich nicht unterkriegen.
Und wenn jemand in Hildesheim eine Wohnung vermietet, die für mich interessant sein könnte, kann sie oder er mir eine E-Mail an zips-media@gmx.de schreiben. Darüber würde ich mich sehr freuen.“

 

„Barmherzigkeit heißt für mich: Menschen mit Herz begegnen.“


Schwester Maria Teresa
Slaby

Schwester M. Teresa Slaby, Generaloberin der Vinzentinerinnen Hildesheim, erzählt, wie die Vinzenzpforte Barmherzigkeit und professionelle Sozialarbeit vereint.

„Die Vinzenzpforte ist für mich ein gelungener Widerspruch: Gerade dieser offene Ort mit seinem bunten Kommen und Gehen ist ein Ankerpunkt für bedürftige Menschen in unserer Nachbarschaft, die nicht viel Halt im Leben haben.

Barmherzig-Sein heißt da für mich: Menschen mit Herz zu begegnen. Sie annehmen und wertschätzen mit all ihren Stärken und Schwächen. Denn Gott in seiner unendlichen Größe spricht durch all diese Menschen. Das wird in unserer Vinzenzpforte besonders fühlbar, wo so unterschiedliche Gäste an einem Tisch zusammensitzen. Wir sollten unser Herz weiten. Das hat für mich viel mit vinzentinischem Charisma zu tun. In der Vinzenzpforte gab und gibt es neben Kaffee und warmen Mahlzeiten immer auch Begegnung, Austausch, ein gutes Wort und das gemeinsame Gebet.

Über die Jahre ist die Vinzenzpforte gewachsen, das Angebot wurde professionalisiert. 2015, mit dem Umbau unseres Mutterhauses, bekam die Vinzenzpforte ihren eigenen Anbau mit einer kleinen Küche. Hätten wir damals gewusst, wie erfolgreich Jeanne Golla mit ihrem Team die Vinzenzpforte weiterentwickeln würde – wir hätten den Umbau gleich mit einem Büro für Sozialberatung geplant. Ich bin über diese Entwicklung sehr glücklich. Vor allem, weil bei allen Neuerungen eins gleich geblieben ist: Das Herz ist immer dabei.“

 

„Ein Leuchtturm christlicher Nächstenliebe“


Bischof Heiner Wilmer

Nach Gottediensten im Paulusheim oder Besuchen im Mutterhaus besucht Bischof Heiner Wilmer gern die Vinzenzpforte. Auch am Heiligabend ist er hier Gast.

„In der Vinzenzpforte wird in hervorragender Weise das Evangelium gelebt. Hier zeigt sich konkret, wie Kirche sein soll: zugewandt, gastfreundlich, niedrigschwellig. Der Papst mahnt uns zur Geschwisterlichkeit für alle Menschen. Franziskus pflegt den Stil des einfachen Mannes, des offenen Herzens. Er macht deutlich, wie wichtig ein radikales Interesse am Menschen ist. Das ist die Perspektive für unser Christsein in der Welt von heute, in der wir entweder das Evangelium glaubwürdig bezeugen oder irrelevant sind. Die Vinzenzpforte ist ein Leuchtturm christlicher Nächstenliebe, der ein Zuhause bietet für jene, die in Not sind. Es macht mich sehr froh, wenn ich sehe, wie kraftvoll und engagiert die Menschen hier in der Nachfolge Jesu Christi unterwegs sind.“