Stimme der UngeHÖRTen – oder abgekürzt: StiDU

Hoffnung auf offene Ohren

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Stimme der UngeHÖRTen – oder abgekürzt: StiDU. Ein neuer Verein in Hannover stellt sich an die Seite von Obdachlosen. In StiDU steckt jede Menge Matthäus 25.


Reinhold Fahlbusch und Andrea Weinhold-Klotzbach
wollen den Obdachlosen eine Stimme geben.

So hätten sich Reinhold Fahlbusch und Andrea Weinhold-Klotzbach den Start ihres neuen Vereins nicht vorgestellt: Kaum gegründet bricht die Corona-Pandemie aus. Zu den besonders gefährdeten Gruppen gehören die Menschen, um die sie sich vorrangig kümmern möchten: Menschen ohne Dach über dem Kopf.

Ihre genaue Zahl: unbekannt. Vorsichtige Schätzungen gehen von 5000 Menschen ohne Wohnung in der Landeshauptstadt aus, 800 von ihnen leben dauerhaft auf der Straße – ohne Platz in einer Notunterkunft oder von Zeit zu Zeit mal auf der Couch von Bekannten. Zusätzlich Plätze wurden zumindest bis Ende Mai befristet in der Jugendherberge eingerichtet.

An den Planungen für diese zusätzlichen Betten war der neue Verein bereits beteiligt. „Das entspricht ja auch unserem Anliegen und Vereinsnamen – Stimme der Ungehörten zu sein“, betont Reinhold Fahlbusch. Am 6. März wurde „StiDU“ von 30 Personen und Einrichtungen gegründet, der frühere Bankmanager Fahlbusch zum Vorsitzenden, Andrea Weinhold-Klotzbach, Richterin im Erziehungsurlaub, zu seiner Stellvertreterin gewählt. Hinter dem Verein steckt die Idee, eine Ombudstelle für obdachlose Menschen zu etablieren – eine Mischung aus Beratung, politischer Anwaltschaft und auch pragmatischer Hilfe. Oder wie Fahlbusch es beschreibt: „Matthäus 25 – was du dem Geringsten meiner Brüder getan hast …“

Für Fahlbusch und Weinhold-Klotzbach ist das kein Lippenbekenntnis. Der 73-jährige Fahlbusch hat nach seiner Bankzeit unter anderen das genossenschaftliche Sozialkaufhaus „fairKauf“ mit mittlerweile sechs Filialen aufgebaut. Andrea Weinhold Klotzbach, 46 Jahre alt, hat in Heilig Geist in Hannover-Bothfeld die Obdachlosenunterstützung aufgebaut. Darüber haben sich die beiden auch gefunden. „Ich habe in Heilig Geist einen Vortrag gehalten“, erzählt Fahlbusch. Als er die Idee zu einer Ombudstelle entwickelt hat, fragte er sich: „Wer kann sich da engagiert einbringen?“ So kam er auf seine Mitstreiterin. Übrigens: Fahlbusch war, Weinhold-Klotzbach ist engagiertes Vorstandsmitglied im Dekanatspastoralrat Hannover.

„Rechte kennen und durchsetzen“
 


Ein Einkaufskorb, gefüllt mit den
eigenen Habseligkeiten – ein Sinnbild
für Obdachlosigkeit.

Matthäus 25 ist Verpflichtung. Zudem scheint im Engagement des Vereins immer wieder das durch, was die katholische Soziallehre ausmacht: die Würde des Einzelnen, das Ermöglichen von Perspektiven, Solidarität und die Orientierung am Gemeinwohl. So will „StiDu“ zum einen obdachlosen Menschen zu dem verhelfen, was ihr Recht ist. Denn: „Viele von ihnen kennen ihre Rechte nicht oder wissen sie nicht durchzusetzen“, betont Andrea Weinhold-Klotzbach. Deshalb sei eine Stelle, an der sie ihre Beschwerden loswerden können, so wichtig. „Das hat etwas mit Würde und Rechtsstaat zu tun“, unterstreicht die Richterin.

Ebenso bedeutsam ist die Unabhängigkeit dieser Stelle. Viele Obdachlose haben schlechte Erfahrungen mit staatlichen Stellen gemacht. Weinhold-Klotzbach und Fahlbusch setzen auf bürgerschaftliches Engagement, auf Solidarität: „Wir möchten ein Netzwerk aufbauen von Menschen, die sich als Ansprechpartner für Obdachlose zu Verfügung stellen.“ Zum Beispiel, indem sie sich einen Button mit einem offenen Ohr an das Jackenrevers heften – und so Obdachlosen signalisieren „mit mir können Sie reden.“

Grundproblem bleibt bezahlbarer Wohnraum

Beschwerden sammeln, auch Übergriffe gegen Obdachlose dokumentieren und zur Anzeige zu bringen – das ist ein Ziel des Vereines, Ohr für die Ungehörten zu sein. Aber „StiDU“ will zudem deren Stimme sein. Das heißt auch gegenüber Politik und Verwaltung Missstände zu benennen: „Wir sind da deutlich freier als beispielsweise Wohlfahrtsverbände, die schließlich mit Stadt und Region auch über ihre eigene Finanzierung verhandeln müssen“, meint Fahlbusch.

So hat „StiDU“ zunächst in Briefen an alle politischen Entscheider von Stadt und Region auf die Probleme der Obdach- und Wohnungslosen hingewiesen, die unterschiedlichen Maßnahmen wie Ernährung, Unterbringung, Hygiene und ärztliche Versorgung angemahnt, Rückmeldungen von Betroffenen und Helfern eingeholt und durch „Zwischenberichte“ Verbesserungsvorschläge gemacht: „Die Caritas in Hannover war in vielen Fällen in der Krise ein wichtiger Partner.“ Doch bei allen richtigen und wichtigen Akutmaßnahmen bleibt für Fahlbusch und Weinhold-Klotzbach viel zu tun: „Es gibt eine Zeit nach Corona, aber jetzt müssen Politik, Verwaltung, Organisationen und Ehrenamtliche an einen Tisch, um das Grundproblem anzugehen – bezahlbarer Wohnraum, menschenwürdige Unterbringung.“ Straßen, Ladeneingänge oder ein Gebüsch im Wald seien keine Wohnungen.

Aber noch eines müsse sich ändern: das Bild, das sich von Obdachlosen gemacht wird. „Das ist immer noch allgemein wenig Verständnis oder Empathie“, findet Fahlbusch. Die meisten Obdachlosen verstecken sich, sind im Stadtbild nicht sichtbar. Deshalb brauchen sie eine Stimme.

Kontakt: StiDU – Stimme der UngeHÖRTen, Theodor-Krüger-Straße 3, Haus 1, 30167 Hannover, Telefon 0151 / 40 14 00 51, E-Mail: info@stidu.de, Internet: www.stidu.de

Rüdiger Wala