Telefonseelsorge Emsland/Grafschaft Bentheim

"Ich bin da, Sie sind nicht allein"

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Viele Anrufer haben den Mut verloren, andere sorgen sich um ihre Existenz: Die Zahl der Gespräche bei der Telefonseelsorge Emsland/Grafschaft Bentheim steigt. Zwei Ehrenamtliche erzählen, was sie regelmäßig erleben.


Die Telefonseelsorge hilft, aber manches Gespräch ist für die Ehrenamtlichen durchaus herausfordernd. Foto: Matthias Engelken

„Als ich anfing bei der Telefonseelsorge, ahnte ich noch nicht, wie viele Menschen an Verzweiflung und Ausweglosigkeit leiden, von Ängsten gelähmt sind oder nicht weiterwissen.“ Diese Worte stammen von einer der 70 Ehrenamtlichen, die sich in dem ökumenisch arbeitenden Verein (siehe auch „Zur Sache“) engagieren. Und das in ihrem Fall seit über zwanzig Jahren. 

Gerade in der Corona-Zeit hatten die 70-jährige Emsländerin, ihre Kolleginnen und Kollegen viel zu tun. Das setzt sich jetzt fort. Die steigenden Lebenshaltungskosten machen vielen Menschen zu schaffen, Existenzängste machen sich breit. „Viele Anrufer leiden an Einsamkeit und Hilflosigkeit. Sie rufen an in der Hoffnung auf Verstehen, auf Mitgefühl oder einfach darauf, dass sie einmal mit einem Menschen sprechen können, ohne Angst haben zu müssen, lästig zu sein.“ 

Ein Gespräch hat sie besonders berührt. „Die Stimme der Anruferin war so brüchig, dass nur wenige Worte zu vernehmen waren. Da wurden Todesnöte fühlbar“, erzählt sie. Die Not der Anruferin wurde zur Not der erfahrenen Telefonseelsorgerin. Aber sie konnte ihr sagen: „Ich bin da, Sie sind nicht allein. Ich bleibe bei Ihnen, solange Sie wollen.“ Nach einer Weile veränderte sich die Tonlage, Tage später folgten weitere Anrufe und der Zustand der Anruferin verbesserte sich.

Geholfen hat der Telefonseelsorgerin bei Situationen wie diesen die gute Vorbereitung auf ihre Tätigkeit. Rund ein Jahr dauerte die Qualifizierung. Auch die regelmäßige Beratung, bei denen Kolleginnen und Kollegen über Erlebtes sprechen, hilft. 

Das sieht eine andere Kollegin aus der Grafschaft Bentheim ebenso, die gleichfalls seit weit über 20 Jahren bei der Telefonseelsorge mitarbeitet. Sie hört bei vielen Anrufen von Ereignissen, die seit der Kindheit eine Belastung und oft Auslöser von psychischen Problemen sind. „Dabei geht es unter anderem um sexuellen Missbrauch, nach meiner Erfahrung am Telefon größtenteils durch nahe Familienmitglieder wie Vater, Bruder oder Onkel“, sagt die 61-Jährige. 

Erinnerung an lange tränenreiche Gespräche

Sie erinnert sich an ein Gespräch mit einer jungen Frau, die an einer Essstörung litt. „Nach anfänglichem Zögern, von Weinkrämpfen unterbrochen, berichtete sie mir von dem Missbrauch in ihrer Kindheit durch ihren Stiefvater.“ Mit etwa elf Jahren hätte die Leidenszeit begonnen. „Ihrer Mutter mochte sie sich nicht anvertrauen aus Angst, dass dann die Beziehung zu ihr in die Brüche geht.“ Sie könne bis heute ihren Körper nicht akzeptieren. Lange Gespräche mit der Telefonseelsorge folgten. Danach suchte die Frau fachliche Hilfe auf. 

„Ein anderes Mal berichtete ein Mann mittleren Alters von der Alkoholsucht seiner Frau“, erzählt die Ehrenamtliche. Im Gespräch wurde deutlich, dass die Partnerin nicht über die Kinderlosigkeit der beiden hinweggekommen ist. Der Mann fühlte sich mitschuldig und wollte seiner Frau helfen, vom Alkohol loszukommen – aber eben nicht, dass die Erkrankung öffentlich wird. Sie erinnert sich an lange tränenreiche Gespräche und eine Wende.  „Heute Abend danke ich Gott, dass er mir durch Sie die Augen geöffnet hat.“ So sei das letzte Gespräch geendet, berichtet die Telefonseelsorgerin. 

Genau hinhören und auf Zwischentöne achten, das hat sie im Laufe der Jahre gelernt. „Wo es mir gelingt, ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen, erlebe ich großes Vertrauen von den Anrufenden“, erzählt sie. Eigene Lebenserfahrungen erscheinen ihr heute in einem anderen Licht. „Ich verlor meinen Tunnelblick und konnte vieles aufarbeiten“, sagt sie und ist froh, sich einst für die Telefonseelsorge entschieden zu haben. Dadurch sei sie ein freierer Mensch geworden. Dabei verhehlt die Grafschafterin nicht, dass die Aufgabe anspruchsvoll und herausfordernd ist – wenn sie zum Beispiel mit Menschen redet, die von Suizidgedanken gequält werden. Und doch ist sie dankbar für dieses Ehrenamt. „Viele Anrufer melden sich später, danken für unser offenes Ohr und erzählen, dass die Telefonate halfen, Lösungen zu finden.“

Matthias Engelken

Die Telefonseelsorge ist kostenfrei zu erreichen unter Telefon 08001110111 oder 08001110222.


Zur Sache

Die Telefonseelsorge Emsland/Grafschaft Bentheim ist ein Verein in katholischer Trägerschaft und Mitglied im Diözesancaritasverband Osnabrück. Die Arbeit wird ökumenisch organisiert. Geleitet wird der Verein von Hermann Niemann, der im März 2023 nach 14 Jahren seinen Vorsitz abgeben möchte. Zurzeit engagieren sich 70 Telefonseelsorgerinnen und -seelsorger. Jährlich erreichen die Telefonseelsorge 9000 Anrufe. Im kommenden Frühjahr startet ein neuer Kurs für Ehrenamtliche, Infos dazu unter Telefon 05931/12722.