Der Jakobusbrief

Ist mal gut mit gut?

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Mit diesem Sonntag geht die Reihe der Lesungen aus dem Jakobusbrief zu Ende. Und wie in den Wochen zuvor schwingt er noch einmal die moralische Keule. Warum? Und kann das nicht auch abschrecken?

Foto: istock/nadia_bormotova
Der drohende Zeigefinger hängt über uns. Hilft das? Foto: istockphoto/nadia_bormotova

 

Von Susanne Haverkamp

Viele werden schon wieder vergessen haben, was Jakobus uns in den letzten fünf Wochen zu sagen hatte. Deshalb zu Beginn ein Best-of seiner Predigten:

„Wenn einer meint, er diene Gott, aber seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Gottesdienst ist wertlos. Ein reiner und makelloser Gottesdienst ist es vor Gott, dem Vater: für Waisen und Witwen in ihrer Not zu sorgen und sich unbefleckt von der Welt zu bewahren.“
[22. Sonntag]

„Meine Brüder und Schwes-tern, haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, frei von jedem Ansehen der Person!“ [23. Sonntag]

„Was nützt es, meine Brüder und Schwestern, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten?“
[24. Sonntag]

„Wo Eifersucht und Streit herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art. Doch die Weisheit von oben ist ers-tens heilig, sodann friedfertig, freundlich, gehorsam, reich an Erbarmen und guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht.“ [25. Sonntag]

„Ihr Reichen, weint nur und klagt über das Elend, das über euch kommen wird! Euer Reichtum verfault und eure Kleider sind von Motten zerfressen, euer Gold und Silber verrostet.“ [26. Sonntag]

Der Jakobusbrief ist etwas Besonderes unter all den neustestamentlichen Büchern. Denn erstens ist er kein wirklicher Brief; der Absender ist unklar, der Adressat auch, eine Beziehung zwischen beiden ist nicht erkennbar. Zweitens hat der Text keinen systematischen Aufbau; er besteht eher aus locker aneinandergereihten Gedanken. Und drittens verbreitet er keine Glaubenslehre im engeren Sinne, sondern reiht eine moralische Botschaft an die nächste. Gesamttenor: „... damit ihr vollkommen und untadelig seid“ (Jakobus 1,4). Wie kommt der Autor dazu? Und wer ist er überhaupt?

Tatsächlich kann man über den Autor des Briefes nur spekulieren, sogar der Name dürfte ein Pseudonym sein. Geschrieben hat er seine Mahnungen wohl Ende des ersten Jahrhunderts. Er dürfte ein gebildeter Mann gewesen sein, denn er schreibt ein ungewöhnlich gutes Griechisch, das in Vokabular und Schreibstil jedem antiken Redner zur Ehre gereicht.


Wie ein Sozialprophet des Alten Testaments

Jakobus entstammt der judenchristlichen Tradition. Darauf verweist der Gruß an „die zwölf Stämme in der Diaspora“, aber noch viel mehr der Text. Denn in Stil und Inhalt liegt er nah bei der alttestamentlichen Weisheitsliteratur und frühjüdischen Mahnschreiben, etwa aus der Mönchsgemeinde von Qumran. 

An manchen Stellen, wie etwa in der heutigen Lesung, erinnert der Jakobusbrief zudem stark an die soziale Prophetie von Amos oder Hosea, die ebenfalls den Reichen ein übles Schicksal vorhersagte. Mit der gleichen Begründung: Die Reichen bereichern sich auf Kosten anderer: „Siehe, der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten habt, schreit zum Himmel.“ Ähnlich droht Amos den Reichen Gottes Strafe an, „weil ihr die Armen ausbeutet ... und die Waage fälscht zum Betrug“.

Und natürlich bezieht sich Jakobus auf Jesus. Auf die Wehrufe gegen Heuchler zum Beispiel: „Ihr gebt den Zehnten und lasst das Wichtigste außer Acht: Recht, Barmherzigkeit, Treue ... Ihr haltet Becher und Schüsseln außen sauber, innen aber sind sie voll Raffsucht und Gier.“ (Matthäus 23,23.25) Und im Gleichnis vom Weltgericht erwähnt Jesus nicht Rechtgläubigkeit als Kriterium für den Himmel, sondern ausschließlich Taten der Liebe an Hungernden, Nackten, Obdachlosen, Kranken.

Der Unterschied: Im Evangelium sind es die Schriftgelehrten und Pharisäer, die Jesus als Heuchler abkanzelt; im Jakobusbrief sind es die Christen. Diejenigen, die zwar getauft sind, das Herrenmahl feiern und sich zur Gemeinde bekennen, die aber im Grunde nichts verstanden haben: dass es nämlich auf die praktische Lebensführung ankommt, nicht auf den dogmatischen Unterbau.

Ja, auch zur Zeit des Jakobus, also etwa 70 Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu, scheint es mit den Christengemeinden nicht allzu weit her gewesen zu sein. Die erste Begeisterung ist abgeflaut, das Weltende lässt auf unbestimmte Zeit auf sich warten, der Alltag hat sie wieder. Und damit der Ärger über Familie und Nachbarn, der Neid auf die, die sich mehr leisten können, der Wunsch, für sich das Beste herauszuholen und den eigenen Einfluss zu erweitern, die leise Verachtung für die, die am sozialen Rand stehen. Schlussendlich ist sich ja doch jeder selbst der Nächste, und wenn jeder sich selbst hilft, ist allen geholfen.

Das menschliche Maß und das große Ziel

Und dann kommt der Jakobusbrief und mahnt und schimpft und droht. Und verlangt Perfektion, Vollkommenheit. Ich frage mich, wie die Gemeinden, die im Gottesdienst diese Mahnung zu Gehör bekamen, darauf reagierten. Schuldbewusst? Voll guter Vorsätze? Oder doch eher im Sinne von: Jetzt übertreib mal nicht! Schließlich sind wir alle nur Menschen. Und wir spenden doch schon – Altkleider zum Beispiel und ab und zu ein paar Denare.

Noch spannender ist natürlich, wie wir auf diese Mahnungen reagieren, Sie und ich. Ich sage es offen: Als wir wie immer zu dritt zusammensaßen, um die Glaubensseiten für die nächsten Wochen zu planen, haben wir bei Jakobus eher gestöhnt: Was soll diese Moralkeule? Viele tun doch ihr Bestes. Vollkommenheit geht eben nicht. Gott wird schon nach menschlichem Maß messen. 

Andererseits: Wenn Vollkommenheit nicht das Ziel ist, welches Ziel haben wir dann? Halbwegs anständig? Gerade noch legal? Hauptsache nach außen hin ordentlich? Nein, ich glaube, es braucht diese Mahner, die uns in unserer Selbstgerechtigkeit ein bisschen durchschütteln. Die uns fragen lassen: Können wir wirklich nicht mehr tun? Hilfsbereiter sein, freundlicher, großzügiger, barmherziger, nachsichtiger? Denn vielleicht können wir ihn ja doch gehen: einen weiteren kleinen Schritt in Richtung Vollkommenheit.