Ungewisse Zukunft von Staatsleistungen und Kirchenfinanzen
„ Je länger wir warten, umso schlechter “
Foto: kna/Julia Steinbrecht
Ausgerechnet Markus Söder, mögen sie im politischen Berlin gedacht haben. Seit Jahren gilt der bayerische Ministerpräsident etlichen Bundespolitikern als wenig berechenbar, sogar in Teilen der Union. Als der evangelische Christ Papst Franziskus im Mai zu einer Privataudienz besuchte, hatte er eine politische Botschaft im Gepäck, die den Papst überrascht haben dürfte, aber vor allem in der Berliner Ampelkoalition für Kopfschütteln sorgte. Ohne erkennbaren Auftrag kündigte der CSU-Vorsitzende im fernen Rom an, dass es in Deutschland keine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirche geben werde. Das Thema sei „vom Tisch“, dies sei auch unter den Bundesländern „so intoniert“, sagte Söder.
Dabei ist die Ablösung der Staatsleistungen, also jener Zahlungen, mit denen die Bundesländer die evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümer für zahlreiche Enteignungen im 19. Jahrhundert entschädigen, seit 1919 Bestandteil der deutschen Verfassungen. Nachdem sich jedoch keine Regierung an die Umsetzung des Auftrags herangetraut hatte, wollte die jetzige Bundesregierung ernst machen und nahm das Thema in ihren Koalitionsvertrag auf. Im Bundestag beschäftigen sich seit zwei Jahren die religionspolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen, Lars Castellucci (SPD), Konstantin von Notz (Grüne) und Sandra Bubendorfer-Licht (FDP), damit. „Wir verhandeln mit den Ländern und beiden großen Kirchen an einer guten und einvernehmlichen Lösung“, sagt Castellucci.
Doch Ergebnisse liegen bisher nicht vor. Zwar könnte der Bundestag den Ländern mit einem Grundsätzegesetz einen finanziellen und zeitlichen Korridor zur Ablösung der Staatsleistungen vorgeben. Doch dies käme ohne die Einbindung der Länder einem Affront gleich. Und wie dort die Stimmungslage ist, weiß man spätestens seit der Visite Söders im Vatikan.
Nach Darstellung Castelluccis sollen sich 14 der 16 Ministerpräsidenten im Sommer 2023 gegen eine zeitnahe Ablösung der Staatsleistungen ausgesprochen haben. In der Folge habe der damalige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Stephan Weil (SPD), einen Brief an die Bundesregierung geschrieben. Erstens hätten die Länder für eine abschließende Entschädigung nicht das nötige Geld. Und zweitens seien die Staatsleistungen bei den Kirchen „gut aufgehoben“, erklärte Niedersachsens Landeschef Weil anschließend.
Die Kirchen finanzieren wichtige gesellschaftliche Aufgaben
Tatsächlich finanzieren die Kirchen mit dem öffentlichen Geld in einer jährlichen Gesamthöhe von zuletzt rund 600 Millionen Euro zahlreiche gesamtgesellschaftlich wichtige Aufgaben zumindest mit – etwa in der Pflege von alten und kranken Menschen, bei der Betreuung von Kindern, der Unterstützung von sozial bedürftigen Menschen sowie der Integration von Zugewanderten. Außerdem erhalten sie damit denkmalgeschützte Gebäude. Da zudem die Kirchensteuereinnahmen seit einigen Jahren kontinuierlich sinken, könnte eine Ablösung dazu führen, dass sich die Kirchen aus diesen Aufgaben zurückziehen. Der Staat müsste dann andere Lösungen finden.
Darüber hinaus hat derzeit anscheinend kein Bundesland die Mittel, um die Kirchen mit Abschlusszahlungen in einer Gesamthöhe von geschätzt mindestens elf Milliarden Euro zu entschädigen. Selbst wenn man die Zahlungen über ein Zeitraum von 15 oder sogar 25 Jahre strecken würde, wie dies zuletzt offenbar beraten wurde, wären die Belastungen für die Länder groß. Schließlich müssen sie auch andere Aufgaben stemmen, etwa beim sozialen Wohnungsbau, der Versorgung Geflüchteter sowie bei der Instandsetzung einer zunehmend maroden Infrastruktur.
In den Kirchen ist man nicht unglücklich über die bisher ergebnislosen Verhandlungen. „Jedes Jahr, in dem es so weitergeht wie bisher, ist für uns ein gutes Jahr“, sagte ein Kirchenoffizieller, der lieber anonym bleiben wollte. Während Bistümer wie Köln wohl auch ohne das Geld der Länder auskommen könnten, seien Magdeburg, Erfurt und Rottenburg-Stuttgart fast existenziell auf die Staatsleistungen angewiesen. Hier machen die Länderzahlungen rund 20 Prozent des Kirchenhaushalts aus. Besonders hoch sind die Staatsleistungen übrigens in Baden-Württemberg und Bayern. Hier überwiesen die Länder jährlich zuletzt 142 und 126 Millionen an die Religionsgemeinschaften.
„Immer weniger Argumente, die Staatsleistungen auf lange Sicht zu rechtfertigen“
Gleichwohl ist ein finales Scheitern der Ablösungsverhandlungen für die Kirchen nicht ungefährlich. Längst gibt es in Deutschland eine politische Mehrheit dafür, die Zahlungen zu beenden. Während SPD, FDP, Grüne und Linke die Leistungen mit einem ordentlichen Verfahren auslaufen lassen möchten, will die AfD die Mittel sofort und ersatzlos streichen.
„Angesichts der Kirchenaustritte gibt es immer weniger Argumente, die Staatsleistungen auf lange Sicht zu rechtfertigen. Je länger wir warten, umso schlechter ist dies für die Kirchen, das wissen auch alle Beteiligten“, sagt Castellucci. Zudem sei es denkbar, dass künftig beispielsweise ein AfD-regiertes Bundesland die Zahlungen an die Kirchen einstellt. Der SPD-Politiker rät daher allen Beteiligten, zu einer Lösung zu kommen, damit die Kirchen „ihre wichtige Arbeit für die Menschen“ weiterführen können.
Über Söders Pläne kann Castellucci nur spekulieren. Im Bundestag halten es einige Abgeordnete für möglich, dass der CSU-Vorsitzende seine Kirchennähe zwar gern zeigt, er zugleich aber an einem weiteren Bedeutungsverlust der Kirchen interessiert sei, um später eine geringere Ablöse zu zahlen. Söder soll nicht der einzige Landeschef sein, der so denkt. Nur geben die anderen im Vatikan keine Erklärungen ab.