Was wir von Jesu Gesprächen mit Gott lernen können

Jesus, der Beter

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„Er erhob seine Augen zum Himmel“: So beginnt im Evangelium dieses Sonntags ein langes Gebet Jesu. Welche Bedeutung hatte Gebet für ihn? Wann und wie hat er gebetet? Und was heißt das für unsere Gebetspraxis?

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Eher innerlich als mit erhobenen Händen: Jesus betet im Garten Getsemane (Gemälde von Paul Gaugin, 1889). Foto: wikimedia

Von Christoph Buysch

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser trostlose Aufschrei Jesu am Kreuz ist nicht bloß Ausdruck der Verzweiflung, er ist auch schon Gebet. Jesus betet hier den 22. Psalm aus der Bibel, vermutlich kannte er ihn auswendig. Und möglicherweise ist dieser Ausruf dann auch gar nicht mehr so trostlos, denn der ganze Psalm endet darin, dass Gott das Vertrauen ausgesprochen wird. Auch Jesus am Kreuz mag dieser Psalm aus der Verzweiflung zum Vertrauen auf Gott geführt haben. Doch ist nur die erste Zeile überliefert.

Vermutlich hat Jesus die Psalmen oft gebetet. Er dürfte sie ja seit seiner Kindheit gekannt haben. Und wahrscheinlich nicht nur die 150 Psalmen aus dem Alten Testament, viele weitere Gebete waren damals bekannt und wurden in den Dörfern und Synagogen weitergegeben. Selbst nach Jerusalem ist Jesus gepilgert, um dort im Tempel zu beten. Für damalige Verhältnisse also ganz traditionell – doch natürlich lässt sich von Jesus etwas mehr zum Thema Gebet erwarten. 

Nicht was wir beten, sondern wie war Jesus wichtig

Das Wichtigste zuerst: Jesus hat seine Anhänger das Vaterunser gelehrt, möglicherweise das bekannteste Gebet der Weltgeschichte. Man mag bedauern, dass er nicht mehr Gebete hinterlassen hat. Doch Jesus ging es auch beim Vaterunser schon um die Frage, wie man eigentlich beten sollte. Das war vor allem sein Anliegen und darüber hat er noch viel mehr gesagt.

Natürlich lässt sich auch an Jesu Leben ablesen, wie er selbst zum Beten stand. Es fällt auf, dass er sich an einsame Orte zurückzieht, um zu beten. Die Zeit in der Wüste vor seinem öffentlichen Auftreten dürfte so zu verstehen sein. Beten ist für Jesus also einerseits etwas sehr Privates, das man nicht öffentlich zur Schau stellt, wie er ausdrücklich betont: „Wenn du betest, geh in dein Zimmer und schließ die Tür. Bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.“ (Matthäus 6,6) Gleichzeitig sollte es aber ebenso in Gemeinschaft gepflegt werden: „Wenn zwei von euch auf der Erde gemeinsam um irgendetwas bitten – mein Vater im Himmel wird ihnen ihre Bitten erfüllen.“ (Matthäus 18,19)

Bittet und euch wird gegeben,

Das führt hier allerdings zur nächsten Frage an Jesus: Ist Beten denn vor allem Bitten um etwas, das Gott dann erfüllt? Man könnte fast zu diesem Schluss kommen, wenn man Jesus reden hört: „Bittet und es wird euch gegeben! Sucht und ihr werdet finden! … Denn wer bittet, dem wird gegeben. Und wer sucht, der findet. … Euer Vater im Himmel wird denen geben, die ihn bitten.“ (Matthäus 7,7-11) Das aber entspricht nicht der Erfahrung und es lässt sich auch kaum vermuten, dass Jesus diese Erfahrung gemacht hat. Ist das nicht zu naiv und unrealistisch?
 
Doch Jesus setzt noch einen oben- drauf, wenn er darüber spricht, wie fest ein Glaube sein kann: „Ihr könnt dann sogar zu diesem Berg sagen: ‚Auf, stürze dich ins Meer!‘ und es wird geschehen. Für alles, worum ihr im Gebet bittet, gilt: Wenn ihr glaubt, werdet ihr es bekommen.“ (Matthäus 21,21-22) Wäre das wirklich so einfach, wie es sich gerade liest, dann wäre nicht nur Jesu Bitte um die Einheit der Christen aus dem Evangelium dieses Sonntags (Johannes 17,20) längst Realität, sondern Krieg, Armut und Hunger wären längst passé. 

Es geht hier aber nicht darum, um das zu bitten, was man sich wünscht, sondern einen festen Glauben an Gott, ein festes Vertrauen in Gott zu haben. Und das ist ein Unterschied, der sich auch in Jesu Leben abzeichnet. Jesu Bitte an Gott war wohl nie dringender als in der Nacht vor seinem Tod auf dem Ölberg, als er schon ahnte, was auf ihn zukam: „Abba, mein Vater, für dich ist alles möglich. Nimm doch diesen Becher fort, damit ich ihn nicht trinken muss. Aber nicht das, was ich will, soll geschehen – sondern das, was du willst.“ (Mk 14,36)

Nähe zu und Vertrauen in Gott

Zwei Dinge zeigen sich hier im Gebet Jesu, die typisch sind für seine wenigen überlieferten Gebete, aber auch für seine Gleichnisse und Predigten, die sich mit dem Beten beschäftigen. 
Da ist zum einen die Nähe zu Gott. Jesus spricht ihn ja mit einem Kosenamen an. „Papa“ wäre wohl die passende Übersetzung für „Abba“. Gott ist nicht der ferne Gott, der im Himmel thront, sondern näher als irgendjemand anderes.
 
Zum Zweiten bedeutet Beten und Bitten bei Jesus niemals Wünschen. Vielmehr ist es ein Zwiegespräch mit Gott, in dem man lernt, sich dem Willen Gottes anzunähern. Glauben heißt, darauf zu vertrauen, dass Gott uns nicht im Stich lässt; es heißt dagegen nicht, dass er die Bitten der Menschen einfach erfüllt. Das muss Jesus auch lernen – das zeigt sich im Schrei am Kreuz: Jesus lernt bis zum Tod, im Gebet der Nähe und Güte Gottes zu vertrauen.

Im Gebet können wir uns selbst erkennen

Und dann gibt es noch ein weiteres Gleichnis Jesu, in dem sich zeigt, was diese Annäherung an Gott im Gebet bedeutet. Es ist die Geschichte von dem Pharisäer und dem Zöllner, die beide im Tempel beten (Lukas 18,9-14). Der Pharisäer betet leise: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen Menschen“, eben einer wie dieser Zöllner. Und dann zählt er auf, was er alles fastet und an Arme abgibt. Der Zöllner aber schaut nach unten, schlägt sich auf die Brust und sagt: „Gott, vergib mir! Ich weiß, dass ich ein Sünder bin.“ 

Es geht in dieser Geschichte nicht darum, wie man meinen könnte, sich vor Gott so klein wie möglich zu machen. Es geht vielmehr darum, sich selbst vor dem Angesicht des eigenen Schöpfers ehrlich zu betrachten und daraus die richtigen Schlüsse für das eigene Leben zu ziehen. Und so sieht es auch Jesus, wenn er das Gleichnis damit beschließt, dass der Zöllner nun vor Gott gerecht war, der Pharisäer aber nicht. Denn der Zöllner hatte im Gebet erkannt, wer er wirklich war – und daraufhin sein Leben geändert.

Beten bedeutet, sich selbst im richtigen Licht, im Licht Gottes zu sehen. Gott wird durch das eigene Gebet sicher nicht verändert oder zu etwas Neuem bewegt – aber das Gebet verändert diejenigen, die im Vertrauen auf Gottes guten Willen beten.