Internetprojekt "Gott im Abseits"

"Jesus fragt nicht, ob wir katholisch waren"

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Das katholische Suchthilfezentrum "Fazenda da Esperanca" (Hof der Hoffnung) auf Gut Bickenried bei Kaufbeuren wird Schauplatz der neuen Staffel von "Gott im Abseits". Das Internetprojekt bringt kirchliche Mitarbeiter und kirchenferne Journalisten zusammen. Luiz Fernando Braz, der Leiter der "Fazenda", spricht über sein Leben vor Bickenried, ein Heizwunder und Jesus' brennendste Frage.

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Luiz Fernando Braz ist Leiter des Suchthilfezentrums "Facenda da Esperanca" bei Kaufbeuren. Foto: kna


Herr Braz, früher haben Sie Geld als Grafikdesigner verdient, hatten eine Partnerin und in Ihrer Heimat Brasilien immer Sommer. Nun sitzen Sie im winterkalten Bayern, ohne Freundin, ohne Einkommen. Fehlt Ihnen Ihr altes Leben?
Nein. Na gut - die Wärme ab und zu. Aber ansonsten habe ich in Bickenried meine Bestimmung gefunden: Hier kann ich das Evangelium leben, die Nächstenliebe also. Aber vor zehn Jahren hätte ich das auch nicht so kommen sehen.


Was ist damals passiert?
Da muss ich ausholen. Ich stamme aus Guaratingueta. Dort hat der deutsche Franziskaner Hans Stapel 1983 die erste "Fazenda" gegründet, um Suchtkranken durch Gebet, Arbeit und Gemeinschaft Struktur und damit einen Weg aus ihrer Abhängigkeit zu geben. Das Projekt kenne ich schon lang. Doch früher hielt ich mich davon fern. Denn mein Vater ist Alkoholiker, meine Schwester drogenkrank - ich hatte genug von dem Thema.


Wie kamen Sie dann in Kontakt mit der "Fazenda"?
Ich erhielt von ihr Aufträge und später eine Einladung. Dort merkte ich, dass die Menschen den Glauben tatsächlich leben und dass er was bewirken kann. Dass das Evangelium mehr ist als eine alte, langweilige Geschichte. Das hat mich nachhaltig beeindruckt.


So sehr, dass Sie Ihre Heimat verlassen haben.
Ja, ich sollte zunächst nur für einen Monat zur Aushilfe in eine "Fazenda" nach Deutschland gehen. Daraus hat Gott zehn Jahre werden lassen.


Das klingt so einfach.
War es aber nicht. Einerseits war ich mir stets sicher, den Ruf Gottes immer stärker zu spüren. Andererseits habe ich damit gehadert: Ich ließ dafür ja meine Familie zurück, auch meine Freundin. Ich fühlte, dass Gott mehr von mir wollte. Deshalb werde ich im Oktober die ewigen Gelübde meiner Glaubensgruppe ablegen: Armut, Keuschheit, Gehorsam, Hoffnung. Die hinter der "Fazenda" stehende "Familie der Hoffnung" ist eine vom Vatikan anerkannte neue geistliche Gemeinschaft.


Wie sieht Ihr Alltag aus?
In Bickenried leben sechs Mitarbeiter und zehn suchtkranke Männer zwischen 20 und 50 Jahren. Fast alle wohnen in Mehrbettzimmern. Das hat mit unseren drei Säulen zu tun. Eine davon ist Gemeinschaft, die den Einzelnen stützt. Zweitens Arbeit: Wir versorgen uns weitestgehend selbst, indem wir Landwirtschaft, ein Cafe, einen Laden, Gästezimmer und den Versandhandel für das Hilfswerk "Kirche in Not" betreiben. Und drittens Spiritualität. Jeder Tag beginnt mit einem gemeinsamen Gebet, außerdem feiern wir dreimal pro Woche Gottesdienst.


Gibt es neben solchen Geboten auch Verbote?
Alkohol, Zigaretten, Handy, Internet und Fernsehen sind tabu. Auch dürfen die Suchtkranken den Hof nicht ohne Einverständnis verlassen. Sie sollen sich ganz auf ihre Rekuperation, auf das Sich-Wiedergewinnen konzentrieren können.


Wie kommen die Kranken zu Ihnen?
Indem sie sich per Brief bewerben. Viele werden von den Behörden auf uns aufmerksam gemacht, weil wir eine Therapiestelle nach dem Betäubungsmittelgesetz sind. Wir erhalten aber keine öffentlichen Unterbringungsgelder, sondern berechnen einen einmaligen Verwaltungskostenbeitrag von 300 Euro. Zudem ist jeder Bewohner angehalten, seine Sozialleistungen zur Unkostendeckung an uns weiterzugeben. Darüber hinaus bauen wir auf die Vorsehung.


Das heißt?
Dass wir der Kraft des Gebets vertrauen. Letztes Jahr haben wir dadurch ein Wunder erlebt: Wir hatten kein Geld mehr für Heizöl. Nach unserem Beten ging aber eine entsprechende Spende auf unserem Konto ein.


Das dürfte für manchen ähnlich unglaublich klingen wie die Annahme, Süchte allein durch Gottvertrauen besiegen zu können.
Das funktioniert ja auch nicht bei jedem. Manche schmuggeln Drogen in Chipsdosen ein, andere hauen ab, einer hat mich mal beklaut. Aber gut die Hälfte unserer Jungs bleiben tatsächlich ein Jahr auf der "Fazenda" - und etwa zwei Drittel davon hinterher sauber.


Versuchen Sie diese "Jungs" eigentlich von Ihrem Glauben zu überzeugen?
Wenn jemand über die "Fazenda" zu Gott findet, etwa ein früherer Neonazi, freut mich das natürlich. Das passiert. Aber nicht, weil ich ständig predige. Sondern weil ich die Werte meines Glaubens lebe, besonders die Nächstenliebe. Unter den Jungs sind übrigens auch Moslems. Warum auch nicht? Ich glaube nicht, dass Jesus später fragen wird, ob wir katholisch, evangelisch oder auch muslimisch waren. Seine brennendste Frage wird sein: Hast du geliebt?


Alle Beiträge aus der Facenda da Esperanca lesen Sie auf: Gott im Abseits

kna