Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger zum Tod von Kardinal Karl Lehmann

„Kannst du mal meine Tasche nehmen!“

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Am vergangenen Sonntag starb Karl Kardinal Lehmann kurz vor seinem 82. Geburtstag. Er war Professor für Dogmatik und ökumenische Theologie, Bischof von Mainz und langjähriger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Der Hildesheimer Diözesanadministrator Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger kannte Lehmann bereits aus seiner Studienzeit, hat seine Diplom- und seine Doktorarbeit bei ihm geschrieben.


Wirft einen Blick in die Hildesheimer KirchenZeitung: Karl Kardinal Lehmann. | Foto: Archiv

Herr Weihbischof, wie haben Sie Kardinal Lehmann erlebt?

Er hatte stets eine große Liebenswürdigkeit. Er war bescheiden und ausgleichend; einer, der Kompromisse suchte und Brücken baute. Er wusste um die Komplexität der Welt und stand doch mit beiden Beinen auf dem Boden. Kardinal Lehmann war nie abgehoben, sondern hatte immer die konkreten Menschen mit ihren Problemen, Sorgen und Nöten im Blick. Er hat sie wirklich ernst genommen. Aber bei allem Ernst ist ihm doch auch sein sympathisches Lachen nicht vergangen.

Sie haben bei Professor Lehmann in Freiburg studiert. Was ist Ihnen aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben?

Wir kamen beide 1971 nach Freiburg – Karl Lehmann als Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie, ich eigentlich nur für ein Jahr, um mein Studium fortzusetzen. Aber ich bin geblieben und habe dann bei ihm meine Diplomarbeit in Ökumene – über Martin Luther – geschrieben und meine Doktorarbeit über die Theo­logie von Karl Rahner, speziell seine These von den „anonymen Christen“.

 


Kennt Karl Lehmann seit seiner Studienzeit: Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger. | Foto: Deppe

Wie war Lehmann als Professor?

Er kannte uns Studenten alle beim Namen. Das war phänomenal. Und er hat uns umsichtig begleitet. Bei meiner Diplom- und meiner Doktorarbeit habe ich mich bei ihm gut aufgehoben gefühlt. Wenn man einen Termin bei ihm hatte, musste man manchmal warten, weil er sich für einen anderen mehr als vorgesehen Zeit nahm. Aber die gleiche Zeit nahm er sich dann auch für einen selbst – egal ob man ein Referat oder eine Doktorarbeit bei ihm schrieb. Karl Lehmann hat mir bei meiner Dissertation viel Freiheit gelassen und zugleich wertvolle Hinweise gegeben. Immer war er dabei aufmerksam und interessiert. Mit ihm zusammenzuarbeiten – auch nach dem Studium – hat Freude gemacht.

Haben Sie zwischen dem Studium und Ihrer eigenen Bischofsweihe weiterhin Kontakt zu ihm gehabt?

Der Kontakt mit ihm blieb auch über das Studium hinaus lebendig. Er hat meine Primiz mitgefeiert. Ich war ein Jahr später in Mainz, als er zum Bischof geweiht wurde. Und bei meiner Bischofsweihe war er einer der drei weihenden Bischöfe und hat die Predigt gehalten. Wenn wir uns getroffen haben, war immer Zeit für ein paar persönliche Worte. Das galt für die Bischofskonferenz genauso wie für den ökumenischen Kontaktgesprächskreis, in dem er sehr lange und wir dann auch noch rund zehn Jahre zusammen gewesen sind. Da ist auch die Idee entstanden, das Reformationsgedenken als Christusfest zu feiern. Und es hat mich berührt, dass er beim Tod meiner Mutter mir und meinen Geschwistern einen sehr persönlichen Brief geschrieben hat. Das ist nicht selbstverständlich. Auch das war typisch für Karl Lehmann. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.

Was bleibt für Sie immer mit dem Namen Karl Lehmann verbunden?

Eines hat mich immer wieder an ihm beeindruckt: Sein unglaubliches Wissen, und das nicht nur in der Theologie, sondern auch in vielen anderen Wissensbereichen. Und dabei seine Art, immer auch die andere Seite mit in den Blick zu nehmen. Das zahlte sich dann ganz besonders in seinem Engagement für die Ökumene aus.

Inwiefern?

In der Ökumene hat er „Kärrnerarbeit“ geleistet: Er hat sehr intensiv die ökumenischen Themen bearbeitet, selbst wenn sich große und schnelle Erfolge nicht gleich eingestellt haben. Mit seiner Arbeit hat er maßgeblich zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) beigetragen. Oder ein ganz aktuelles Thema: Bereits Anfang der 70er-Jahre hat sich Karl Lehmann in einem fast 70-seitigen Artikel intensiv mit der Frage nach der Teilnahme von evangelischen Partnern in konfessionsverbindenden Ehen an der Eucharistie auseinandergesetzt. Seine Überlegungen sind wesentlich mit eingegangen in die Orientierungshilfe für konfessionsverschiedene Ehen und einer gemeinsamen Teilnahme an der Eucharistie, die wir jetzt in der Bischofskonferenz auf den Weg gebracht haben und die demnächst erscheint. Er war seiner Zeit weit voraus, ohne sich mit leichtfertigen Lösungen zufrieden zu geben.

 


Gern hat Kardinal Lehmann (rechts) das Bistum Hildesheim besucht. Hier mit (von links) Bischöfin Margot Käsmann, Expo-Generalkommissarin Birgit Breuel und Bischof Dr. Josef Homeyer bei der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover. | Foto: Archiv

Lange Jahre war Kardinal Lehmann Vorsitzender der Bischofskonferenz und hat es nicht immer leicht gehabt. Wie hat er die zum Teil konträren Debatten und auch heftigen Attacken auf seine Person verarbeitet?

Karl Lehman hat mir einmal gesagt: Ich möchte nicht verbittert werden. Dabei hätte es oft genug Gründe dafür gegeben. Aber es ist ihm gelungen oder es wurde ihm geschenkt, ohne Verbitterung seinen Weg zu gehen. Er konnte immer allen in die Augen schauen und hat versucht, Einheit herzustellen. Er war ein Brückenbauer, zum Teil zwischen extremen Positionen. Als Erzbischof Johannes Dyba gestorben war, hat er gesagt: Alle wissen, dass wir nicht immer einer Meinung waren; dennoch gab es zwischen uns eine tiefere, mitbrüderliche Verbundenheit. Ich glaube, dies sagt viel von ihm.

In den letzten Jahren war Kardinal Lehmann gesundheitlich angeschlagen. Deshalb ist er 2008 als Vorsitzender der Bischofskonferenz zurückgetreten. Hat er seine Krankheit als Handikap empfunden?

Wiederholt habe ich ihn angesprochen: Karl, wie geht es Dir? Und er hat stets geantwortet: Och, ganz gut. Das war authentisch. Er war zufrieden und hat seine körperlichen Gebrechen angenommen – oft ist er ja mit zwei Krücken daher gekommen. Dann hat er mich auch schon mal gefragt: Kannst du meine Tasche nehmen? Er hat die Mühsal seiner Krankheit akzeptiert und nicht darüber geklagt. Ich werde Kardinal Lehmann als den in Erinnerung behalten, der er war: Ein Botschafter der Menschlichkeit!

Interview: Edmund Deppe