Interview

Kinder schauen auf Vorbilder

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Ein Mann sitzt an einem Tisch und schaut den Betrachter an
Nachweis

Sebastian Hamel

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Glaubensvermittlung geschieht durch Personen, die den christlichen Glauben in der Praxis leben. 

 

Manche Eltern und Großeltern machen sich Sorgen, wenn die Kinder nicht mehr zur Kirche gehen wollen; einige Jugendliche lassen sich auch nicht firmen. Viele Erwachsene sehen sich als Glaubensvermittler und haben Schuldgefühle, doch diese sind fehl am Platz, sagt Gemeindeleiter Dominik Blum.

Die Zahlen der Gottesdienstbesucher sind rückläufig, immer weniger junge Menschen entscheiden sich für die Firmung: Wie können gläubige Eltern und Großeltern damit umgehen, wenn junge Menschen sich von der Kirche abwenden? Dominik Blum, Gemeindeleiter der Pfarreiengemeinschaft Artland in Quakenbrück und selbst vierfacher Vater, rät zur Gelassenheit.

Herr Blum, wie erleben sie die Menschen, deren Kinder oder Enkel sich scheinbar nicht mehr für Glauben und Religion interessieren?

Zunächst muss man einmal festhalten, dass nicht alle Menschen jenseits der 60 noch in der Kirche sind. In unserer Pfarreiengemeinschaft verzeichnen wir etwa 100 Austritte im Jahr, und dies betrifft alle Altersstufen. Bei denjenigen aber, denen der christliche Glaube viel bedeutet, ist in der Tat ein erhöhter Leidensdruck erkennbar. Ich werde fast wöchentlich auf dieses Thema angesprochen, auf dem Wochenmarkt, im Altenheim. Vielfach herrscht – einfach ausgedrückt – die Auffassung: Die jungen Leute haben gar keine Ahnung mehr von christlichen Dingen.

Was genau ist das für ein Leidensdruck und wie versuchen Sie zu helfen?

Bisweilen sind es archaische Ängste, verbunden mit der Vorstellung von der Kirche als Heilsanstalt. Wenn Menschen tatsächlich befürchten, ihr Kind oder Enkel könnte in die Hölle kommen, frage ich sie, was das Kind wertvoll macht – und versichere ihnen, dass Gott das genauso sieht. Durchaus höre ich aber auch von Schuldgefühlen, man habe als Glaubensvermittler versagt. Das erlebe ich sogar bei Priestern angesichts der Kirchenaustritte. Dabei gilt es zu hinterfragen: Liegt es wirklich an mir selbst, als Vater, Großmutter, Geistlichem? Sind wir diejenigen, die es machen, dass andere glauben? Zu welchen Überzeugungen ein Mensch im Leben gelangt, hängt von vielen Faktoren ab: Gesellschaft, Schule, Kultur, Freundeskreis – das alles erzieht. Zu denken, man sei allein dafür verantwortlich, ist eine Selbstüberschätzung. Wenn ich ein Anhänger von Werder Bremen bin, können die Kinder trotzdem Bayern-Fans werden.

Lässt sich denn der Glaube überhaupt vermitteln?

Der Glaube ist als Gnadengeschenk zu verstehen – insofern ist zuallererst Gott selbst dafür zuständig. Für uns Menschen ist eine erkennbar gelebte christliche Praxis die einzige Möglichkeit der Glaubensweitergabe. Ich frage die Menschen manchmal: Warum möchten Sie überhaupt, dass Ihr Kind als Christ lebt? Viele können dann nicht einmal für sich selbst beantworten, warum der Glaube das Leben bereichert. Das gilt es erst einmal zu klären.Wenn wir dann selbstbewusst und offenherzig zeigen: „Ich will – mit all meinen Schwächen – selbst als Christ leben“, dann ist das eine Haltung, die Interesse wecken kann. Das werden auch die Kinder wahrnehmen. Als Christ kann ich insofern eine „vorbereitete Umgebung“ schaffen, aber ob ein anderer dann ebenfalls glaubt, liegt letztlich nicht an mir.

Wie gestaltet sich die Situation konkret bei den Jugendlichen?

Wir leben heute in einer radikalen Pluralität, und die Menschen entscheiden selbst, was sie überzeugt. Früher hatten sie kaum eine Alternative. Jugendliche bewegen sich in ihrer Peergroup, wo der christliche Glaube oft wenig Raum einnimmt. Es gibt zwar viel religiöse Bildung, doch häufig ist diese nicht lebensbezogen genug. Bei der Firmung sollen die Jugendlichen dann das Glaubensbekenntnis bestätigen, das Eltern und Paten bei ihrer Taufe gesprochen haben. Nebenbei bemerkt: An keiner anderen Stelle wird ihnen solch eine Entscheidung abverlangt. Doch auch hier gilt: Jugendliche werden nur glauben, wenn sie bei anderen Menschen erkennen, was es ihnen bringt.

Welche Rolle spielen die Missbrauchsfälle, wenn es um die Abkehr von der Kirche geht?

Das Thema spielt eine riesige Rolle. Dass sich die Leute distanzieren, wenn sie von solchen Dingen erfahren, ist doch völlig nachvollziehbar. Ich denke deshalb, als Kirchenvertreter müssen wir uns ausdrücklich für das Vertrauen der Gläubigen bedanken – gerade wenn es um Veranstaltungen wie Zeltlager mit Jugendlichen geht. Ich verstehe aber auch, dass vielen kirchlichen Mitarbeitern das schwerfällt, weil sie unschuldig sind und nicht in Mithaftung genommen werden möchten.

Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft der Kirche?

Wenn man sagt, Kirche muss so bleiben, wie sie jetzt ist, dann muss man sich Sorgen machen. Denn es gibt natürlich immer weniger Kirchensteuerzahler und der Einfluss der Kirche schwindet. Diese Form von Kirche wird früher oder später sterben. Die Frage ist aber: Ist es wirklich schade darum? Ich bin mir sicher: Das Evangelium ist nicht kleinzukriegen – ganz gleich, welche Sozialgestalt es sich sucht. In anderen Ländern wird der Glaube ja auch ganz unterschiedlich praktiziert. Mir wurde einmal ein Zitat von Bewohnern eines abgelegenen Ortes in Brasilien übermittelt, die nur selten einen Geistlichen sehen. Dort herrsche die Auffassung: „Wir glauben einfach durch.“ Daran können auch wir uns orientieren: Wir glauben einfach durch und schauen, ob andere das auch attraktiv finden.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Beschäftigen Sie sich als Vater auch mit solchen Fragen?

Natürlich! Ich habe vier Kinder, die sind allesamt aufrechte Menschen – aber sie leben ihr Christsein auch nur selten in liturgischen Feiern. Es gibt ganz offensichtlich Dinge im Glauben, die für mich sehr bedeutsam sind, für sie aber nicht. Die jungen Leute wollen technisch auf dem neuesten Stand sein, warum also nicht auch in puncto Religiosität? Ich denke dabei ganz grundsätzlich, man sollte nicht vermeintliche Defizite der Kinder und Enkel in den Vordergrund stellen, sondern mit Neugier darauf schauen, was ihnen wichtig ist. Nur wenn ich das schaffe, kann ich ihnen gerecht werden in ihrer Lebenshaltung und bestenfalls dabei selbst noch etwas lernen. Das gilt für alles – auch für Glaubensfragen!

Interview: Sebastian Hamel