Ökumenische Flughafenseelsorge
„Lieber Gott, mach, dass wir nicht abstürzen“
Danken, Bitten, Innehalten – dazu lädt die ökumenische Flughafenseelsorge Hannover ein. Sie ist nicht nur für Reisende da, sondern auch für die fast 10000 Mitarbeiter des Airports.
Chaos am Flughafen, verpasste Flüge, genervte Passagiere. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Medien nicht so oder so ähnlich berichten. An diesem Donnerstagnachmittag mitten in der Ferienzeit ist am hannoverschen Flughaben davon nichts zu spüren. Vor den wenigen geöffneten Abfertigungsschaltern haben sich lange Schlangen gebildet – doch das war es dann auch. Alles läuft zivilisiert ab, die Menschen nehmen das Warten gelassen, vor der Sicherheitskontrolle gibt es nur einen Mini-Stau. Hier muss niemand Angst haben, nicht pünktlich am Gate zu sein.
Reisesegen in mehreren Sprachen
„Wo solls hingehen“, fragt Karl-Martin Harms ein Ehepaar in der Schlange. „Nach Istanbul und von da weiter nach Südafrika“, erklärt die Frau. Harms ist evangelischer Flughafenpastor und in seiner Funktion schnell erkennbar: Er trägt eine blaue Weste mit einem Emblem, das ein Flugzeug und ein Kreuz zeigt. Er überreicht den beiden ein kleines Heftchen mit einem Reisesegen in verschiedenen Sprachen. Das Ehepaar freut sich über die guten Wünsche vor der langen Reise.
Harms leitet gemeinsam mit der katholischen Pastoralreferentin Annette Burchardt die Flughafenseelsorge in Hannover. Beide haben dafür neben anderen Aufgaben nur ein kleines Zeitkontingent. Da ist die Unterstützung durch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig. Sechs Frauen und ein Mann zählen zum Team der Ehrenamtlichen.
Die 68-jährige Iris Winter ist eine von ihnen. Sie ist schon seit 2016 dabei, mal mehrfach im Monat, dann auch längere Zeit wieder gar nicht. „Man muss sich nicht für ein bestimmtes Zeitkontingent verpflichten, das ist sehr praktisch, wenn man noch andere Aufgaben hat“, sagt sie.
Iris Winter kommt aus der Nähe von Celle und macht sich manchmal schon um 3 Uhr auf den Weg. Da es in Hannover kein Nachtflugverbot gibt, gehen in den frühen Morgenstunden hier viele Flieger raus, dann herrscht schon mal Gedränge.
Seit 2005 gibt es eine Kapelle
Mal sind es praktische Hilfen, die Iris Winter gibt, wie verspäteten Gästen den Weg zum richtigen Schalter zu zeigen, dann ist aber auch wirklich Seelsorge gefragt: „Da kommen auch Urlauber zum Flughafen, die sich plötzlich um ihre Daheimgeblieben sorgen und sich fragen, ob denn Zuhause alles gutgehen wird. „Die versuche ich zu trösten und sage ihnen, dass sie alles in Gottes Hand lassen können“. Oder sie sucht den Kontakt mit überlasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, denen man schon ansieht, dass sie etwas bedrückt. „Oft reicht schon ein kurzes Gespräch, um sie wieder aufzumuntern“, sagt Iris Winter. Warum engagiert sie sich bei der Flughafenseelsorge? „Ich möchte das weitergeben, was mir selbst geschenkt worden ist“, sagt sie.
In der Ankunftebene zwischen den Terminals A und B befindet sich eine kleine Flughafenkapelle. Der schlichte Raum wurde 2005 anlässlich des Evangelischen Kirchentages in Hannover auf Anregung der damaligen Landesbischöfin Margot Käßmann eingerichtet. Auf dem Altar liegt eine aufgeschlagene Bibel, in einem Regal stehen Gebetbücher, an den Wänden hängen zwei von der serbisch-orthodoxen Gemeinde gestiftete Ikonen.
Ein Gästebuch lädt dazu ein, Dank, Sorge und Bitte loszuwerden. „Wir bitten Gott hiermit um eine glückliche Reise“ heißt es da, oder: „Lieber Gott, mach, dass wir nicht abstürzen. Das wäre top“. Andere Schreiber erinnern an verstorbene Verwandte oder bitten um Frieden in der Welt.
„Die Kapelle wird gut angenommen“, sagt Annette Burchardt. Der Eingang des 30-Quadratmeter-Gotteshauses liegt schräg gegenüber einer Schleuse durch die die Flughafenmitarbeiter in den Sicherheitsbereich gelangen. Kürzlich hat Burchardt eine Mitarbeiterin beobachtet, die von dort quasi in die Kapelle stürzte, kurz vor dem Kreuz innehielt und ebenso schnell wieder verschwunden war. „Es sind manchmal ganz kurze Auszeiten, die sich die Menschen nehmen, aber es ist wichtig, dass es diese Möglichkeit hier gibt“, sagt die Pastoralreferentin. Manchmal verrichten auch Muslime in der Kapelle ihre Gebete, obwohl es ein Stück weiter einen eigenen Gebetsraum für sie gibt. Den findet offenbar aber nicht jeder, denn der Eingang ist äußerst schlicht gehalten.
Die Kapelle ist an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden am Tag geöffnet. Nicht jeder, der hier her kommt, will beten oder sucht Besinnung, mancher nutzt den Raum auch einfach, um hier sein Brot zu essen oder Pause zu machen, sozusagen als „Alternative zur Raucherpause. Dagegen ist auch nichts zu sagen“, erklärt der Flughafenpastor. Das einzige, was ihn ärgert: Wenn dann auch noch Krümel oder Müll liegenbleiben. Aber damit müsse man halt leben.
Jeden ersten Mittwoch im Monat wird in der Flughafenkapelle um 18 Uhr eine Andacht gefeiert. Manchmal kommt niemand dazu, „wir feiern dann trotzdem, nehmen die Anliegen aus dem Gästebuch auf oder beten für die verstorbenen Flughafenmitarbeiter“, sagt Harms. Zu früheren Zeiten hat in der Kapelle auch schon mal eine Trauung oder Taufe stattgefunden, doch das ist schon eine Weile her.
„Dahin gehen, wo die Menschen sind“
Rund 10 000 Mitarbeiter hat der Flughafen Hannover und die stehen neben (und häufig sogar vor) den Reisenden im Mittelpunkt der Flughafenseelsorge. „Flughafenseelsorge ist Betriebsseelsorge“, sagen Harms und Burchardt. Derzeit erarbeiten die beiden ein Konzept für eine regelmäßige mittägliche Auszeit. Ein erstes Gespräch über diese Idee mit dem Betriebsrat des Airports hat gerade stattgefunden. „Wichtig ist auch, dass uns die Leitung des Flughafens wohlgesonnen ist“, meinen beide.
Ist Seelsorge am Flughafen überhaupt noch angebracht, in Zeiten, wo über den Klimawandel und die Schädlichkeit von CO2 diskutiert wird? „Es geht darum, da zu sein, wo die Menschen sind“, sagt Burchardt und zeigt sich überzeugt: „Es wird immer geflogen werden.“ Dass eines Tages komplett auf Flüge verzichtet werde, könne sie sich nicht vorstellen.
Matthias Bode