Katholische Schulen

Mehr als nur Unterricht

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Warum gibt es katholische Schulen? Spalten oder bereichern sie die Schullandschaft? Gerade unter Eltern ist das eine sehr umstrittene Frage. Schulleiter Matthias Wocken schätzt das freie Denken an einer kirchlichen Schule und betont: „Wir wollen eine Ergänzung sein. Und im besten Fall Vorreiter.“


Die gute Stimmung beim Sportfest der Thomas-Morus-Schule zeigt: Katholische Schule ist eine bunte und vielfältige Gemeinschaft. Foto: Theo Lübke-Narberhaus

Die Anmeldezahlen boomen – obwohl das Interesse an der Kirche sinkt: Viele Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder in einer katholischen Schule unterrichtet werden. Was erhoffen sie sich davon? Und was macht katholische Schulen heute aus? Ein Interview mit Matthias Wocken, Schulleiter der Thomas-Morus-Schule in Osnabrück, einer Oberschule in Trägerschaft der Schulstiftung des Bistums.

Wo sind die katholischen Schulen denn heute noch katholisch?

Ich kann natürlich nur für unsere Schule sprechen. Auf einem Studientag haben wir uns jetzt mit dem Kollegium tatsächlich genau hierzu auf die Suche gemacht und uns gefragt: Wo sind wir in unserer Einrichtung katholisch? Eines konnten wir sicher sagen: Wir haben ein durch und durch christliches Profil. Unser Bildungs- und Erziehungsangebot weist über den normalen Lehrplan hinaus und ist von der Frohen Botschaft inspiriert. Wir sind katholische Schule, allumfassend in unserer Ansprechbarkeit, Herangehensweise und Offenheit. Und wir sind katholisch, indem wir allumfassend einladen. Wir nehmen alle Schüler auf, freuen uns auf Menschen jeglicher Prägung. Es gibt keine Bremse mehr, nur da, wo sie das Gesetz vorschreibt.

Welche Grenzen schreibt das Gesetz vor?

Im Niedersächsischen Schulgesetz ist der Anteil nichtkatholischer und auswärtiger Schülerinnen und Schüler geregelt. So dürfen wir nur 40 Prozent nichtkatholische Schüler aufnehmen. Auch wie viele Schüler aus Stadt und Landkreis kommen dürfen, ist genau geregelt. An diese Quoten müssen wir uns halten, damit wir als Ersatzschule die öffentlichen Schulen nicht gefährden.
Aus unserer Sicht widersprechen sie allerdings dem katholischen Gedanken. Wir brauchen die Vielschichtigkeit und möchten im Kanon der Religionen bilden, vermitteln und verbinden. Wir nehmen unseren inklusiven Auftrag sehr ernst. Nur „Katholischsein“ allein ist bei uns daher keine sichere Eintrittskarte mehr. Der Taufschein darf doch nicht automatisch die direkte Schulanmeldung sein.

Ist kirchliches Erleben an Ihrer Schule noch möglich?

Wir haben viele tolle religiöse Momente: bei den Schulgottesdiensten, bei Festen, im Religionsunterricht, bei Projekttagen, im Miteinander in der Schulgemeinschaft. Schwieriger wird es dagegen, Eucharistieerfahrung zu vermitteln und im Religionsunterricht tiefergehend zu diskutieren. Auch bei den katholischen Schülern hat nur noch etwa ein Drittel private kirchliche Bindungen. Alle Kollegen versuchen daher, möglichst authentisch zu sein und offen mit den Anfragen, der Kritik, den Sorgen und Nöten der Schüler umzugehen – in allen Fächern. Mit den anderen Konfessionen und Religionen haben wir ein gutes Miteinander. Seit kurzem bieten wir auch islamischen Religionsunterricht an und wenn wir zum Beispiel den Kreuzweg gehen, dann gehen die muslimischen Schüler auch einen Weg und am Ende treffen wir uns wieder.


Matthias Wocken, Schulleiter einer katholischen
Oberschule in Osnabrück schätzt die Nähe
zum kirchlichen Träger, die vieles möglich macht.
Foto: Thomas Osterfeld

Was erwartet Schüler und Eltern an Ihrer Schule? Wo ist das „mehr“ an Bildung und Erziehung?

Als Erstes fällt mir da der Begriff „behütet“ ein. Die Kinder sind bei uns behütet und werden verlässlich betreut. Wir haben eine starke Gemeinschaft. Das merkt man auf jeder Schulversammlung. Das Verständnis von menschlichem Miteinander ist hier anders, ich kann Grundwerte leben und mich darauf verlassen, dass die anderen das auch tun. Das wurde hier 40 Jahre lang gelebt und eingeübt. Andere Schulen müssen sich unter Umständen jedes Jahr wieder neu erfinden.

Auch blicken wir mit Projekten über den Tellerrand, sind solidarisch mit Notleidenden wie Straßenkindern in Brasilien und haben auch ein sehr gutes Beratungssystem: Fünf Beratungslehrer und drei Sozialpädagogen kümmern sich um die Schüler, das ist an staatlichen Schulen so nicht möglich. An vielen Stellen sind wir aber auch eine ganz normale Schule mit allen Problemen. Aber die Ernsthaftigkeit und die Bereitschaft, diese Probleme anzugehen, die ist schon bemerkenswert.

Was macht ein privater Träger im Rücken möglich?

Ganz viel. Ich habe hier die Möglichkeit, ganz unkompliziert mit meinem Träger zu sprechen, Visionen zu entwickeln, über die Grunderfüllung des Lehrplans hinauszugehen. Ich habe  die Chance, zu denken, wie es denn am besten für die Schüler wäre. Das ist eine große Freiheit. Ich kann den Fokus auf den Menschen setzen, nicht auf den Paragrafen. Das habe ich anfangs gar nicht geglaubt, als ich aus dem staatlichen System kam. Die Wege zu den Dezernenten sind hier kürzer und ich schätze die Inhaltlichkeit, mit der wir diskutieren, sehr. Auch für die Kirche sind wir eine große Chance: Wir bieten tagtäglich die Möglichkeit, mit Gott und religiösen Erfahrungen in Kontakt zu kommen. Wo hat man das noch in dieser Intensität?

Wie sehen Sie sich im Kontext mit den öffentlichen Schulen?

Wir sind gleichwertig, aber nicht gleichartig. Natürlich müssen auch wir die Regeln und Vorschriften beachten und die Abschlüsse entsprechend abnehmen. Aber der Weg dahin ist bei uns freier. Wir wollen keine Konkurrenz sondern eher eine Ergänzung oder Bereicherung in der Schullandschaft sein. Im besten Fall sind wir auch Vorreiter: So haben wir zum Beispiel für die eine ehrliche Umsetzung der Inklusion eine Förderschullehrkraft in der Schulleitung. Und als erste Schule in Niedersachsen haben wir in der Differenzierungsphase neben den G- und E-Kursen auch E+-Kurse eingeführt, um die Schüler, die dafür infrage kommen, besser auf die Arbeitsweise der gymnasialen Oberstufe vorzubereiten. Eine staatliche Schule rief jetzt an und fragte uns nach den Erfahrungen in diesen Kursen. Sie seien vom Land auf die Existenz eines solchen Systems hingewiesen worden. Die staatlichen Schulen haben diese Ideen auch, können sie aber nicht leben. Wenn wir die Wege für sie ebnen und ihnen so helfen können – umso besser.

Andererseits haben die staatlichen Schulen, was das Personal anbetrifft, mehr Verlässlichkeit. Vertretungslehrer und Referendare zu bekommen, ist für uns nicht selbstverständlich und wirklich Netzwerkarbeit.

Interview: Astrid Fleute