Besuch im Missionsmuseum in St. Ottilien
Mission im Wandel
Dem Taufbefehl Jesu widmen sich die Missionsbenediktiner seit über hundert Jahren. Doch was Mission ist und wie das geht, hat sich um Laufe der Zeit verändert. Ein Besuch im Missionsmuseum der Erzabtei St. Ottilien.
Pater Theophil kommt im Laufschritt zu unserer Verabredung: Er hat sich wegen einer Exkursion mit Schülern etwas verspätet. Dieser Mann soll ein Missionar sein? In seinem sportlichen Outfit – neongrüner Pulli, schwarze Hose, orangefarbenes Stirnband – sieht der 53-Jährige eher wie ein Fitnesstrainer aus.
Pater Theophil lacht und spendiert einen Espresso an der Kaffeebar, bevor er anbietet, sich für die Fotos „in Schale zu werfen“, in sein schwarzes Ordensgewand. Im Alltag, wenn er als Lehrer am ordenseigenen Gymnasium und Direktor des 2015 von Grund auf renovierten Missionsmuseums arbeitet, ist das eher unpraktisch.
1887 waren die ersten Mönche und Schwestern von Bayern aus nach Ostafrika aufgebrochen. Beginn der Missionierung und Kolonisierung in Afrika fielen zeitlich zusammen. Was kein Zufall war. Das Deutsche Reich hatte damals seine ersten Kolonien dort erworben und der Benediktiner Andreas Amrhein (1844-1927) – auch als christliche Antwort darauf – den Orden der Missionsbenediktiner gegründet. Er wollte Missionare mit dem Auftrag Jesu in die Welt schicken: „Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern ...“
Pater Theophil führt an ausgestopften Löwen, Zebras und einem Elefantenkopf vorbei. Es sind die ersten Objekte, die die Missionare für ihre nachrückenden Mitbrüder nach Hause gesandt haben, um sie auf ihr zukünftiges Lebensumfeld vorzubereiten. Später dienten die Exponate Generationen von Schülern und Erwachsenen dazu, die unbekannten Welten Afrikas und Asiens kennenzulernen.
Missionierung im klassischen Sinn ist heute Vergangenheit. Schon den Begriff kann Pater Theophil eigentlich nicht leiden. Er klingt für ihn nach Überstülpen einer fremden Meinung und nach Zwang. Dabei habe es bei den Benediktinern keine Zwangstaufen gegeben, betont er. Vielmehr hätten sich seine Ordensbrüder schon während der deutschen Kolonialherrschaft in Deutsch-Ostafrika immer für die Bevölkerung eingesetzt – und Kindersklaven freigekauft.
Kampf gegen die blühenden Slavenmärkte
Denn die ersten Missionare hatten ein blühendes Sklavenwesen angetroffen mit großen Märkten an der Küste, auf denen Kinder gehandelt wurden, die die Händler vorher im Busch erbeutet oder ihren Eltern abgeluchst hatten, um sie in muslimische Haushalte im Nahen Osten zu verkaufen. Die kaiserlich-deutsche Kolonialregierung hat diesen Handel stillschweigend gebilligt, aber den freigekauften „Heidenkindern“ wenigstens einen Freibrief ausgestellt, damit sie in Kindergarten und Schule der Mission getauft, beschult und später in Freiheit ihrer Wege gehen konnten.
Pater Theophil führt an eine Vitrine und zeigt den „Freibrief No. 11 aus Tansania“. Das Kaiserliche Gouvernement Deutsch-Ostafrika bescheinigt darin den Freikauf des „Zöglings Longorro, männlichen Geschlechts, 5–6 Jahre, Sklave bei den Selimanis in Lindi“ und bestätigt am 18. Januar 1895 in altdeutscher Sütterlin-Schrift, dass der Junge „seine Freiheit erhalten hat worüber ihm aufgrund der Verordnung vom 1. September 1891 der gegenwärtige Freibrief gebührenlos ausgestellt worden ist“. Ebenso der Sklavenfreibrief No. 171 für „Ibrahim, männlichen Geschlechts, etwa 14 Jahre alt, aus Kikunja gebürtig, bisher Sklave des Tumbo zu Kikunja, ausgestellt in Daressalam, den 23. Mai 1892 vom Kaiserlichen Bezirksamt.“
Die Verkündigung des Glaubens nach der Regel des heiligen Benedikt erfordert Worte und Taten, Beten und Arbeiten auch vor Ort bei den Menschen im Busch. Dazu mussten die Missionare mobil sein. Zu Fuß, hoch zu Ross, mit dem Fahrrad und später mit dem Motorrad erreichten sie ihre Einsatzorte. Eine alte BMW aus den 1960er Jahren war in Tansania im Einsatz. Pater Theophil hat die Maschine dort ausgegraben und ins Museum geschafft. Ein anderer Nachweis für die Mobilität: ein aufklappbarer Altarkoffer mit einer integrierten Reliquie.
Motorrad und Altarkoffer stehen für den frühen Einsatz in Afrika: Weiße Missionare fuhren in entlegene Gegenden, um dort die Messe zu feiern und „Heidenkinder“ zu taufen. Heute dagegen geht kein weißer Missionar mehr raus, sondern die einheimischen Kräfte übernehmen die Missionsarbeit. Die Kongregation, die von St. Ottilien ausging, ist eine weltweite Ordensgemeinschaft geworden mit 19 selbstständigen Klöstern und 56 Niederlassungen in fast allen Erdteilen. Sie bringen die Frohe Botschaft, aber bohren auch Brunnen, bauen Krankenhäuser und Schulen. Ora et labora eben.
Mission ist auch längst keine Einbahnstraße von Europa nach Afrika oder Asien mehr, sondern ein internationales Netzwerk von selbstständigen Gründungen in den ehemaligen Missionsländern. So haben Mönche aus Südkorea ein Priorat in den USA gegründet. Eine Missionsgründung in Kuba wird von Afrikanern aus Togo betrieben, und auf dem Jakobsweg in Spanien arbeitet ein koreanischer Missionsbenediktiner.
Missionsarbeit auf Klassenfahrten
Auch die früher übliche lebenslange Auswanderung eines Missionars gibt es nicht mehr. Der Missionar geht heute für eine bestimmte Zeit mit einem konkreten Auftrag an seinen Einsatzort, wo die einheimischen Ordensbrüder arbeiten. Auch Pater Theophil ist so ein Interimsmissionar, wenn er Schülergruppen bei Klassenfahrten nach Tansania den Missionsgedanken näherbringt.
Aber auch wenn es nicht für jeden und für immer nach Afrika oder Asien geht: Wer in St. Ottilien eintreten will, muss die Bereitschaft mitbringen, über die Grenzen des eigenen Landes und Kontinents hinauszugehen, um mitzuhelfen, wo man gebraucht wird. Pater Theophil demonstriert das beim Eingang des Museums, wo eine in den Boden gelassene Weltkarte unter Glas die Missionsstationen der Ottilianer zeigt. Mit einem großen Schritt über die Skulptur hinweg überwindet er sinnbildlich die Grenzen des eigenen Landes und tritt wieder ein in seinen Alltag als Missionar vor Ort.
Von Marilis Kurz-Lunkenbein