Zuversicht kann man lernen

„Ich muss das nicht alleine stemmen“

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Ein Mann trägt eine Frau auf dem Rücken durch einen Wald
Nachweis

Foto: unsplash/Shwa Hall

Wie kann ich mit Zuversicht ins neue Jahr gehen – obwohl die Klimakrise eskaliert, Wladimir Putin seinen Angriffskrieg immer weiter treibt und Donald Trump US-Präsident wird? Und wie kann der Glaube mir dabei helfen, an einer düsteren Welt nicht zu verzweifeln? Der Franziskaner Christoph Kreitmeir gibt Antworten.   

Die Welt ist voller Krisen. Wie kann ich trotzdem mit Zuversicht ins neue Jahr gehen?

Ich habe für mich verschiedene Antworten auf diese Frage gefunden. Die erste ist: Ich ziehe mir nicht mehr permanent Nachrichten rein. Ich versuche, sie klug zu dosieren. Ich habe die Eilmeldungen auf meinem Handy ausgestellt und schaue nur einmal am Tag eine seriöse Sendung im ZDF. Das hilft mir, denn wenn dauernd negative Nachrichten auf mich einprasseln, bekomme ich das Gefühl, der Welt hilflos ausgeliefert zu sein. Ich klinke mich nicht aus dieser Welt aus – aber ich konzentriere mich auf meine direkte Umgebung. 

Was hilft Ihnen noch?

Ich erinnere mich an gute Erfahrungen, die mir in schweren Momenten Zuversicht gegeben haben – und versuche sie zu reaktivieren. Ich habe schon vieles durchgemacht: einen Unfall mit mehreren Tagen Koma, einen Herzinfarkt, eine Krebserkrankung mit Totaloperation. Wenn ich heute wieder Situationen voller Enge und Angst durchlebe, begebe ich mich auf innere Gedankenreisen. 

Wie machen Sie das?

Ich denke an Worte aus den Psalmen wie „Er führte mich hinaus ins Weite“ und gehe gedanklich in diese Weite, ans Meer oder auf einen Berg. Dadurch weitet sich mein Blick. Oder ich denke an den Satz aus Psalm 23: „Du bist bei mir.“ Das ist für mich keine Theorie, denn ich weiß: Ich muss das jetzt nicht alleine stemmen. Der liebe Gott hilft mir. Wenn ich diesen Psalm bete und die Tränen laufen, dann weiß ich: Es hat alles seinen Sinn – auch wenn ich hier gerade durch Schweres muss. 

Was gibt Ihnen noch Zuversicht?

Ich halte mich an starke Menschen. Zum Beispiel an Viktor Frankl …

… den berühmten Neurologen und Psychiater …

… dem ich Gott sei Dank zweimal begegnen durfte – einmal bei einem Vortrag in München, einmal persönlich am Telefon. Von ihm habe ich gelernt, dass das Leben unter allen, wirklich allen Umständen einen Sinn hat. Sogar im KZ, wie er es erlebt hat. Und Sinn zu sehen, gibt Zuversicht. 

Was genau ist für Sie Zuversicht? 

Die Zuversicht ist eine Kraftquelle, die an das Morgen glaubt. Sie ist überzeugt: Ich kann helfen, meine Umgebung zu gestalten. Die Zuversicht ist optimistisch, aber auch realistisch. Sie blendet die Probleme, die es gibt, nicht blauäugig aus, sondern hält ihnen stand und arbeitet mit den Spielräumen, die wir haben. Und Spielräume haben wir immer. 

Was macht Sie da so sicher?

Denken Sie an Dietrich Bonhoeffer! Er hat in der Todeszelle ein Gedicht geschrieben, das bis heute unendlich viele Menschen tröstet: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Oder denken Sie an Alexej Nawalny! Er wurde vergiftet und von Wladimir Putin in übelste Straflager gesperrt. Und doch hat er sich seinen Humor bewahrt. Er hat Putins System ausgelacht bis zuletzt. Solche Menschen geben mir Mut. 

Aber was, wenn ich es in all den Krisen nicht schaffe, Mut und Zuversicht zu finden?

Dann sollten Sie sich konzentrieren auf das, was Sie tun können – nicht auf das, woran Sie sowieso nichts ändern können. Jeder Mensch kann sich im Kleinen konkret einbringen – in der Nachbarschaft, in der Gemeinde, im Ehrenamt. Das hilft nicht nur anderen, sondern auch einem selbst. Denn das Engagement stellt etwas Positives gegen all das Negative. Dadurch wird der Zuversichtsmuskel trainiert.

Mal angenommen, ich habe Angst davor, dass Putin seinen Krieg eskaliert – was hilft es mir dann, wenn ich meiner Nachbarin helfe? Dadurch ist das große Problem ja nicht weg.

Ich fokussiere mich dadurch auf etwas, was mich hochzieht – und nicht auf etwas, das mich runterzieht. Auch ich sehe schlimme Dinge auf uns zukommen. Das macht mir Angst, aber es macht mich nicht hilflos. Stellen Sie sich vor, Putin lässt seine Truppen eines Tages wirklich in Deutschland einmarschieren und Trump lässt uns hängen – dann habe ich durch die Nachbarschaftshilfe im Kleinen ein Netzwerk aufgebaut. Und dieses Netzwerk trägt mich und die Menschen um mich herum. 

Wie hilft der Glaube dabei, Zuversicht zu gewinnen?

Ich bin seit siebeneinhalb Jahren Klinikseelsorger. In dieser Zeit habe ich ungefähr 2000 Menschen beim Sterben begleitet und von schlimmsten Schicksalen gehört. Oft werde ich gefragt: Warum sind Sie gar nicht deprimiert? Weil ich weiß, dass es mit dem Tod nicht vorbei ist. Mein Glaube hilft mir, über alle Grenzen hinaus zu denken. Jesus ist durch die Hölle am Kreuz gegangen, aber dann ist er auferstanden. Und er wirkt weiter, auch heute in dieser verrückten, krisenhaften Zeit. 

Wie kann ich Zuversicht an Menschen weitergeben, die an der Welt verzweifeln?

Nicht, indem ich wie diese furchtbaren berufspositiven Strahlemänner herumlaufe und andere nötige, doch bitte zuversichtlich zu sein. Sondern indem ich so lebe, dass andere denken: „Woher hat der diese Kraft? Ich möchte die auch haben!“ Lebensbejahung strahlt aus. Klar, ich kann die Welt nicht retten. Aber ich kann in meinem Umfeld die Stimmung beeinflussen. Im Krankenhaus versuche ich, trotz all der Schicksale oft zu lächeln. Die meisten lächeln zurück. Ein kleiner Anfang kann eine große Wirkung haben.

Interview: Andreas Lesch

Zur Person

Christoph Kreitmeir
Foto: privat

Christoph Kreitmeir (62) ist Franziskaner, Lebensberater und katholischer Priester. Seit 2017 arbeitet er als Klinikseelsorger in Ingolstadt. Er hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt „Zuversicht in schwerer Zeit – Wie ich sie finde und wie sie mich trägt“.