Impuls zur Sonntagslesung am 13. April 2025: Palmsonntag

Stunden voller Angst

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Tissot Jesus Agonie Garten
Nachweis

Brooklyn Museum/James Tissot

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Agonie im Garten Eden. Gemälde von James Tissot (um 1890)

Am Palmsonntag wird die Passion Jesu gelesen. Ein Teil: die Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag. Es ist eine Zeit, in der nicht nur Jesus an seine Grenzen kommt; auch andere Menschen fürchten um ihre Zukunft. Genauso wie wir manchmal.

Es ist eine dramatische Nacht, erst im Abendmahlssaal und dann im Garten Getsemane. Bedrohung liegt in der Luft. Die Konflikte hatten sich zugespitzt, als Jesus sozusagen in die Höhle des Löwen ging, nach Jerusalem, statt sich ins sichere Galiläa zurückzuziehen. Das wird Konsequenzen haben – für ihn, aber auch für einige andere. Es gibt gute Gründe, Angst zu haben vor dem, was kommt.

Jesus

Die Bibel erzählt schonungslos, dass Jesus Angst hatte, Todesangst. „Sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte“, erzählt der Evangelist Lukas. Was soll er tun? Weglaufen? Nein, Jesus betet. Er versucht, seine Angst durchzubeten, wegzubeten: „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“ Ob es gelingt, die Angst zu besiegen? Zumindest schreibt Lukas: „Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.“ Und als Konsequenz: „Nach dem Gebet stand er auf, ging zu den Jüngern zurück.“ Ruhiger, gelassener.

Vielleicht ist das etwas, was Menschen auch heute erleben, die in großer Angst sind: vor einer Operation, vor einem wichtigen Gespräch, in Gefangenschaft eines Unrechtsregimes. Dass inständiges Gebet Angst nicht wegnimmt, aber das Herz beruhigt. Dass aus Panik Gelassenheit wird. Dass man sich mit neuer Kraft dem stellen kann, was kommen wird.

Petrus

Auch Petrus hat Angst. Um Jesus, aber auch um sich selbst. Allzu schnell kann er hineingezogen werden in den Prozess, in den Tod. 

Die Angst um Jesus treibt Petrus, der Gruppe der Soldaten, die Jesus verhaftet haben, bis in den Hof des hohenpriesterlichen Palastes zu folgen. Ein riskantes Spiel, das ist ihm klar. Aber er will wissen, was passiert. Seine Freundschaft zu Jesus ist es, die ihn seine Angst besiegen lässt. Aber dann wird er selbst bedroht. „Gehörst du nicht auch zu ihm?“, wird er mehrfach gefragt. Und jetzt ist es mit dem Mut vorbei: „Nein, ich kenne ihn nicht!“

Jesus hat das geahnt, Petrus seinen Verrat sogar angekündigt – und der hat lautstark protestiert. Aber jetzt muss er erleben, dass die Angst zu groß ist, um sich zu bekennen; sie ist größer als sein Glaube an Jesus, sein Vertrauen. „Und er ging hinaus und weinte bitterlich.“

Angst kann größer sein als Freundschaft, sogar als Liebe – das können Menschen auch heute erleben. Wenn man nicht zu dem Kollegen hält, der ungerechtfertigten Ärger mit dem Chef hat. Oder sich im Verein raushält, wenn dort jemand auf der Abschussliste steht. Oder, dramatischer, wenn jemand in Unrechtsregimen verhaftet wird.

Es kann beruhigen, dass auch andere von ihrer Angst besiegt wurden, einer wie Petrus. Sein Beispiel zeigt aber auch, wie bitter die Reue sein kann. Und dass er ohne diese Reue wohl nie die Kraft gefunden hätte, weiterzumachen und seinem Glauben, seiner Hoffnung und seiner Liebe in Zukunft mehr Platz einzuräumen als seiner Angst.

Pilatus

Auch für den römischen Statthalter Pontius Pilatus ist die Situation an diesem Tag vor dem Paschafest nicht einfach. Es ist seine Aufgabe, für Ruhe in Jerusalem zu sorgen, und dazu gehört es, sich mit den örtlichen Führungskräften gut zu stellen. Und jetzt kommen sie mit diesem Wanderprediger, der sich religiöse Erneuerung wünscht. Eigentlich nicht sein Thema. Aber der Hohe Rat warnt vor Unruhen. Und davor, dass dieser Jesus sich „König der Juden“ genannt haben soll. Das wäre offene Rebellion.

Pilatus hat Angst. Vor allem, als der Hohe Rat ihm droht: „Wenn du diesen freilässt, bist du kein Freund des Kaisers.“ Der Evangelist Johannes betont: „Als Pilatus das hörte, fürchtete er sich noch mehr.“ Dabei spürt Pilatus, dass die politischen Anklagen gegen Jesus an den Haaren herbeigezogen sind. Der Mann ist friedfertig und will kein eigenes Königreich ausrufen, da ist er sich sicher. Auch seine Frau warnt ihn, erzählt das Matthäusevangelium: „Lass die Hände von diesem Mann! Ich hatte heute seinetwegen einen bösen Traum.“

Doch die Angst um die eigene Karriere ist größer als der Gerechtigkeitssinn. Warum soll man sich Ärger einhandeln wegen dieses unbedeutenden Mannes aus Galiäa? Ans Kreuz mit ihm, dann ist die Angelegenheit erledigt und der Mann bald vergessen.

Auch das können Menschen heute erleben: dass sie aus Angst den Weg des geringsten Widerstands gehen, Entscheidungen treffen, die falsch sind, aber bequem. In der Hoffnung, dass die Sache bald vergessen sein wird. Aber oft irren sie und die Sache holt sie ein. Das erleben Kirchenverantwortliche im Missbrauchsskandal. Das erleben aber auch andere Menschen. Aus Angst andere über die Klinge springen zu lassen: Das kann keine gute Lösung sein.

Die Schächer

Jesus wird nicht allein gekreuzigt, zwei weitere Männer erleiden dieselbe Strafe. Und man kann sicher sein: Auch sie hatten Angst vor dem Leid, dem Schmerz, dem überaus schweren Todeskampf.

Sie gehen unterschiedlich damit um, erzählt Lukas. Der eine versucht, seine Angst durch Hohn und Spott zu überspielen – bis heute keine unübliche Reaktion, dass sich Angst in Aggression entlädt. 

Der andere bekommt in dieser Extremsituation einen klareren Blick: „Uns geschieht recht, dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“ Und er bittet: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Auch das kann passieren: gerade in der Angst und durch die Angst hindurch Rettung zu sehen.

Die Frauen

Natürlich haben sie Angst, Maria und die anderen Frauen, die zusammen unter dem Kreuz ausharren. Angst um Jesus, Angst, ob sie selbst all das ertragen können. Doch die Frauen sind stark. Sie fliehen nicht, schauen nicht nur von Weitem zu. Sie wissen, dass sie Jesus in seinem Leid und seiner Angst beistehen müssen. Sie wissen, dass ihre Angst jetzt unwichtig ist. Jetzt zählt nur der Beistand bis zuletzt.

Darin sind sie ein Vorbild: wie man trotz aller Angst für andere da sein kann. Zusammen, nicht allein. Vielleicht ist es ja das, woran die Apostel gescheitert sind und was sie danach von den Frauen lernten: Niemand muss allein da durch, gemeinsam ist die Angst leichter zu besiegen.

Susanne Haverkamp