Seemannsmission hilft weiter
Mit guter Laune aufs Schiff
Seeleute sind monatelang unterwegs. Wenn sie an Land gehen, bietet ihnen die Katholische Seemannsmission in Bremen ein kurzes Zuhause. Franz Wellerding erzählt Gastgeschichten, die ihn berührt und an seine Grenzen gebracht haben.
Eines Abends geht Seltsames vor sich im Seemannsheim in Bremerhaven. Im Computerraum sitzt ein ukrainischer Seemann, mit Kopfhörern, und schaut stundenlang auf einen dunklen Bildschirm. Ab und zu holt er sich ein Bier und eine Tüte Erdnüsse. Franz Wellerding ist irritiert, schaut ihm verstohlen über die Schulter, kann aber nichts erkennen. Als er den Ukrainer gegen 22.15 Uhr verabschiedet, siegt die Neugier und er fragt ihn, was er da die ganze Zeit gemacht habe. Die Geschichte berührt Wellerding noch heute.
„Er erzählte mir von seinem Baby zu Hause und dass seine Frau, die seit der Geburt noch nicht wieder ausgegangen war, eine Freundin im Nachbarhaus besuchen wollte.“ Also übernahm der Vater das Babysitten – Tausende Kilometer entfernt. Die Kamera war auf das Bett gerichtet, so dass er sein Kind, das er noch nie im Arm gehalten hatte, sehen und die Atemgeräusche über Lautsprecher hören konnte. Ein Laptop, ein kostenloser Internetzugang, ein ruhiges Umfeld – „manchmal kann es so einfach sein, für Glücksmomente zu sorgen“.
Franz Wellerding arbeitet seit über 30 Jahren in der Katholischen Seemannsmission „Stella Maris“ in Bremen. Auf seiner Weste steht „Port Walfare Officer“ – Beauftragter für die Hafenwohlfahrt. Diese international übliche Berufsbezeichnung hat er sich bei Kollegen in Antwerpen abgeschaut. Sie klingt nicht nur gut, sondern fasst die vielfältigen Aufgaben auch ziemlich gut zusammen: Wellerding besucht Schiffe, die in Bremen, Bremerhaven und an der Unterweser festmachen, ist mit dem Crewbus unterwegs, organisiert gesellige Abende, kümmert sich um Alltagssorgen und im Krisenfall. Einige Seeleute vertrauen ihm sogar Intimes an, zum Beispiel, wenn sie an einer Geschlechtskrankheit leiden und ärztliche Hilfe brauchen. „Da ist es doch praktisch, wenn man einen Arzt und eine Apotheke kennt und sagen kann: Komm, wir fahren gleich los.“
Aufpassen, dass nicht alle nur auf ihr Smartphone gucken
Seemannsmissionen bieten ein Zuhause weit weg von Zuhause – home away from home. Deshalb, erklärt, Franz Wellerding, sei Gastfreundschaft wichtig. Sein früherer Chef, Prälat Johannes Bieler, gab ihm den Tipp: „Versuchen Sie immer, ein glücklicher und zufriedener Mensch zu sein. Wenn Sie mies gelaunt aufs Schiff gehen, überträgt sich das sofort auf andere.“ Franz Wellerding sagt, er habe seinem Job viel zu verdanken. Der gelernte Automechaniker flog als Bordmechaniker in Marineflugzeugen mit, bevor er zur Seemannsmission kam. „Ich hatte mit Schiffen nicht viel am Hut. Das hatte aber den Vorteil, dass ich sehr interessiert und neugierig an die Sache herangegangen bin.“
In den Seemannsclubs in Brake, Bremerhaven oder Bremen können Seeleute abends ein paar Stunden ausspannen, Billard spielen, das Notwendigste einkaufen oder mit der Familie per Internet Kontakt halten. „Man muss als Gastgeber aber auch darauf achten, dass nicht alle nur schweigend in der Ecke sitzen und auf ihr Smartphone gucken“, sagt Wellerding. Ein kleiner Trick: Auf den Flachbildfernsehern lässt er Musikstücke laufen, etwa „Jerusalema“, das Lied, das durch selbstaufgenommene Tanzvideos während der Corona-Pandemie zu einem weltweiten viralen Hit wurde. „Musik reißt die Leute mit“, sie fangen an, sich zu unterhalten und singen später oft noch zu Gitarre und Schifferklavier.
Seit einem halben Jahr spürt Franz Wellerding auch die Auswirkungen des Ukrainekrieges. Vor Ausbruch des Krieges, sagt er, hätten sich Ukrainer und Russen gut verstanden und sich als Brüder bezeichnet. „Jetzt weht ein anderer Wind. Es gibt Konflikte und weniger gemischte Mannschaften an Bord.“ Wellerding fühlt sich manchmal wie ein Kneipenwirt, der sich Tiraden von beiden Seiten anhört, weder politisch noch moralisch wertet und aufpasst, dass Streit nicht eskaliert. Einmal erzählte ihm ein junger Seemann aus Odessa von einem Telefonat mit seiner Mutter. Sie hatte ihren Sohn gebeten, wegen des Krieges nicht nach Hause zu kommen. „Es ist erschütternd, wenn eine Mutter dich darum bittet“, sagt Wellerding. Er habe mit seiner Frau schon überlegt, privat ein Gästezimmer anzubieten.
Hat Gastfreundschaft auch Grenzen? Wellerding überlegt kurz und nickt. Mit einigen Besuchern saß er vor dem Seemannsclub in Brake, als eine russische Schiffsbesatzung ankam. Einer der Männer ging die Treppe hoch und spuckte in hohem Bogen „direkt vor unsere Füße“. Da musste er reagieren, drückte dem Übeltäter Eimer und Schrubber in die Hand und forderte ihn auf, seinen Rotz zu beseitigen. Seit kurzem ist Franz Wellerding im Ruhestand, macht aber noch weiter, bis ein Nachfolger gefunden ist. Offiziell verabschieden will er sich bei der nächsten Weltkonferenz von „Stella Maris“, Anfang Oktober in Glasgow. Die Tickets sind schon gebucht.
Mit Bier und Chips durch die Nacht
An Bord der Schiffe spiele der Glaube oft eine größere Rolle als an Land. Davon ist Wellerding überzeugt. Die Einsamkeit, das Getrenntsein von den Familien, das Wissen, keinen sicheren Boden unter den Füßen zu haben: „Es wird viel gebetet, vor allem für Gesundheit und die Lieben zu Hause.“ Nicht immer klappt es, an Land einen Gottesdienst zu vermitteln. „Dann bietet ihr den Gottesdienst eben in Form eines Gesprächs an“, lautet der Auftrag an die „Port Walfare Officer“.
Früher, sagt Wellerding, sei er öfter mitgefahren auf Schiffen, kurze Strecken, nach England oder Antwerpen. Auch nach Hamburg – 18 Stunden die Weser hoch, durch die Nordsee und runter in die Elbe. Von der Gastfreundschaft, die er dort erfahren habe, habe er nur lernen können. Einmal klopfte der Koch abends an seine Kabinentür, brachte einen Kasten Bier und zwei Chipstüten mit den Worten: „Hab' eine schöne Zeit.“ Franz Wellerding lacht. „Seitdem sage ich zu meiner Frau: Ich brauche nur ein Bett, einen Kasten Bier und zwei Tüten Chips. Damit komme ich durch die Nacht.“
Anja Sabel