Interview mit Rat Christian Hennecke

Mit viel Vertrauen in den Geist

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Vor zehn Jahren startete im Bistum Hildesheim die Lokale Kirchenentwicklung. Rat Christian Hennecke war von Anfang an dabei und hat diesen Prozess mit aus der Taufe gehoben. In diesen Tagen startet ein neuer Newsletter.


Rat Christian Hennecke hat vor zehn
Jahren den Prozess der Lokalen
Kirchenentwicklung mit angestoßen.
Er weist darauf hin, dass es ab sofort
in einem Newsletter Informationen
rund um LoKi unter „www.lokale-
kirchenentwicklung.de“ gibt.

Wie kam es zum Start von LoKi? Was war der Beweggrund?

Das ist eine lange Geschichte, und sie hat mit weltkirchlicher Zusammenarbeit zu tun. Schon Bischof Homeyer hatte die Idee der „small christian communities“ – aber es war ein wenig unklar, was diese südafrikanischen Gemeindeentwicklungen mit uns zu tun haben sollten. Schritt für Schritt haben wir das entdeckt und waren fasziniert: Die Christen vor Ort leiteten die Gemeinde, lebten aus dem Wort Gottes (Bibelteilen) und konnten so ihre Charismen und Gaben in den verschiedenen Diensten und Aufgaben teilen. Wir waren fasziniert, denn auch die Rolle des Priesters änderte sich: Er wurde zum Ermöglicher und Begleiter der Leitungsteams.

Das haben wir in den Kirchen Südamerikas, Afrikas und Asiens entdeckt – und dies genau in der Zeit, als unser Bistum Pfarreien fusionierte und alle an immer größere Einheiten dachten. Hier aber ging es nicht um Pfarreistrukturen, sondern um ein inneres Bild des Kircheseins: Wie können Menschen mit den Gaben, die sie haben, Kirche leben vor Ort …?

Und wir ahnten: das ist nicht einfach ein Projekt zum Umsetzen, das ist ein längerer Prozess – der auch deswegen so langwierig ist, weil hier vieles auf den Kopf gestellt wird: Es geht nicht darum, neue pastorale Säue durchs Dorf zu treiben, immer neue Ideen haben zu müssen – sondern einfach darum, zu fragen: Wie können wir heute Kirche vor Ort leben, in unserer konkreten Umgebung, mit den Menschen, die da sind? Das ist dann natürlich überall verschieden – eben lokal.

Wir lernten dann auch: Es geht nicht so wie in Afrika. Wir haben verschiedene Erfahrungen in Frankreich und in England studiert – und dann entstand der Gedanke des Prozesses Lokaler Kirchenentwicklung. Darin geht es mehr um einen Mentalitäts- und Kulturwandel, in dem viel Revolutionäres steckt. Das merken wir immer mehr – es ist deutlich, dass wir damit einen bisherigen klassischen Weg des Kircheseins in Bewegung und Verwandlung bringen.

Wie lange hat es gebraucht, um den LoKi-Gedanken in die Weite des Bistums zu tragen und in den Kirchengemeinden fest zu verankern?

Wie lange wird es brauchen? Keine Ahnung – es hängt ein wenig davon ab, wie Christinnen und Christen vor Ort und auch gerade die Priester und Hauptberuflichen von diesem Grundgedanken entzündet werden, der die Herzen und den Verstand ergreifen will.

Tatsache ist doch, dass es nicht einfach nur darum geht, in Zeiten des Schrumpfens ein bisschen von dem zu erhalten, was wir schon haben – sondern mit neuer Leidenschaft zu fragen, was denn die Kraft des Glaubens in uns bewirken kann, wie wir als Christen Verantwortung übernehmen wollen, welche neuen und welche gewachsenen Formen der Kirche uns in die Zukunft führen.
Das ist ein total ungleichzeitiger Prozess: An einigen Orten hat er schnell begonnen – an anderen Orten wurde er missverstanden als Strukturprozess. Ich erinnere mich auch daran, dass Menschen den Eindruck hatten: Hildesheim wolle ihnen etwas aufdrücken. Ganz im Gegenteil wollen wir alle ermutigen, im Blick auf die Zeichen der Zeit, im Blick auf die Herausforderungen vor Ort, an vielen Orten Kirche zu gestalten und zu entwickeln – mit viel Vertrauen in den Geist, der in den Christen aller Konfessionen weht.

Gibt es noch weiße Flecken auf der Loki-Landkarte?

Ja, klar. Das ist überall dort, wo Christinnen und Christen noch nicht entdecken konnten, wieviel Freiheit ihnen vor Ort geschenkt ist – und das ist leider auch dort, wo verhindert wird, dass Menschen aus ihren Charismen und Gaben andere Formen von Kirche entwickeln und gestalten. Allerdings glaube ich, dass wir immer mehr entdecken, dass ein bloßes Zurück in die Vergangenheit des 20. Jahrhunderts und seiner kirchlichen Praxis, die dann in goldener Verklärung erscheint, uns keine Zukunft schenkt.

Und natürlich fehlen auch oft Informationen und Erfahrungen. Auch wenn wir oft unterwegs waren, viel im Gespräch – und auch viele Workshops anbieten: Kommunikation gelingt oft nicht. Wir werden noch in diesem Jahr einen neuen Newsletter für alle herausbringen, der in Zukunft regelmäßig über die Erfahrungen und Perspektiven der Lokalen Kirchenentwicklung berichtet. Wir wünschen uns direkte Kontakte und viel Dialog – mit all denen, die auf dem Weg sind und mit uns suchen. Um diesen Newsletter breit zugänglich zu machen, werden wir ihn auch auf unsere Homepage stellen: www.lokale-kirchenentwicklung.de/newsletter, wo man ihn abonnieren kann.

Sind die Gemeinden aus sich heraus aktiv geworden oder brauchte es den Anschub von außen?

Oder-Fragen sind schwer beantwortbar. Auf der einen Seite sind viele Christinnen und Christen schon lange sehr selbstständig unterwegs und finden ihre Orte. Es war spannend, alle 119 Pfarreien unseres Bistums zu besuchen und gemeinsam zu entdecken, was alles schon am Werden ist. Ich habe viele starke Pfarreien gesehen, aber oft fehlte Orientierung: Es schien und scheint oft noch so, als würde man sich in eine heile Gemeindevergangenheit zurücksehnen – und gleichzeitig nicht entdecken, was alles wächst. Wenn jemand vor Ort ist, der diese Sichtweise des Entdeckens und der Verheißung einer guten Zukunft vermittelt, dann glaube ich, dass dies der Anschub ist, den es braucht.

Gleichzeitig gilt: Es braucht Begleitung, Fortbildung und Unterstützung. Das ist nicht selbstverständlich – leider nicht. Wenn wir Kirche in Zukunft sein wollen, die aus der Kraft der Getauften lebt, dann brauchen wir mehr gezielte Unterstützungs- und Bildungsprozesse. Ich glaube, das bedeutet auch eine gewaltige Rollenveränderung für unser pastorales Personal: nicht zuerst selbst zu machen, sondern zu begleiten. Die eigentlichen Akteurinnen und Akteure, das sind die Getauften.

Viele Einzelprojekte sind vor Ort in den Kirchengemeinden oder Dekanaten entstanden. Welche sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Lokale Kirchenentwicklung, das ist nicht ein Einzelprojekt, sondern ein Entwicklungsprozess – und natürlich gibt es viele spannende Erfahrungen zu erzählen. Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklung der Beerdigungsdienste und die großartigen begabten Männer und Frauen, die zu diesen Diensten zugerüstet wurden.

Besonders wichtig aber ist die Perspektive der Teams Gemeinsamer Verantwortung. Zusammen mit dem Diözesanrat haben wir im Auftrag von Bischof Norbert Trelle ein Gemeindeleitungsmodell entwickelt, das für die Zukunft entscheidend sein wird: Teams von Christinnen und Christen gestalten und Leiten das Leben der Kirche vor Ort. Nein, es sind keine Orgateams oder verkappte Pfarrgemeinderäte – es ist eine neue Leitungsstruktur und eine neue Leitungskultur, die wir entwickeln.

Aber es ist ein langer Weg. Unser Bistum hat hierfür rechtlich den Weg eröffnet – es braucht aber auch hier einen längeren Prozess. Doch dort, wo es gelingt, bin ich tief beeindruckt vom wachsenden Selbstbewusstsein der Verantwortlichen. Das wird unsere Kirche nachhaltig prägen und wir werden vom Bistum her darauf drängen, dass diese Perspektive gut entwickelt wird.

Auch wenn es schmerzlich ist, etliche Projekte gibt es nicht mehr. Woran liegt das?

Projekte kommen und gehen. Das ist normal. Entscheidend ist nicht nur das pastorale Projekt und seine Ideen, sondern die Frage, ob die Grundperspektive geprägt ist von den Elementen lokaler Kirchenentwicklung. Es geht um Haltungen, es geht um Prozesse, es geht um Partizipation und Verbindlichkeit und es geht um eine spirituelle Verwurzelung im Evangelium.

In den vergangenen Jahren haben wir die „Wirkfaktoren Lokaler Kirchenentwicklung“ entfaltet. Sie sind ein außergewöhnlich gutes Instrument, um die Zukunfts- und Wachstumspotentiale der Kirche vor Ort zu entdecken und eine Agenda des Handelns zu entwerfen. Man kann ganz einfach sagen: Da, wo diese Faktoren lebendig sind, wächst Kirche neu.

Wir planen in den kommenden Jahren, besonders die Engagierten zu unterstützen, die auf neuen und innovativen Wegen das Evangelium verkünden: in Gemeinden, in Einrichtungen, aber eben auch dazwischen. Auch dazu werden wir Kriterien der Zukunftsentwicklung entwerfen, die den Leuten vor Ort in ihrem Tun Orientierung geben können.

Warum gibt es so große Unterschiede?

Ganz einfach: Das liegt an den Menschen, an den Situationen, an den Herausforderungen des jeweiligen Ortes. Überall wird es anders sein, weil überall in einzigartiger Weise Herausforderungen da sind, in einzigartiger Weise Menschen sich zusammenfinden. Kirche ist nicht uniform, sondern ungeheuer vielfältig. Allerdings gilt auch: Es gibt Pfarreien und Kirchengemeinden, die den Anschluss verlieren, weil nirgends jemand ist, der einen solchen Entwicklungsprozess begleitet.

Was macht in Ihren Augen LoKi aus?

Ich finde, das Entscheidende ist die Grundhaltung des Entdeckens und Staunens: Gott geht mit uns durch die Zeit. Er schafft Neues, und wir können, aus der Kraft der Taufe, mit ihm die Zukunft gestalten. Allerdings geht es eben nicht darum, eine bekannte Vergangenheit zu konservieren, oder um jeden Preis alles zu erhalten – nein, es ist ein geistvoller Entdeckungsweg, und er lebt aus dem Vertrauen in Gott und ineinander. Und er lebt aus der Leidenschaft für das Evangelium und jenem Geist, der neues schafft.

Interview: Edmund Deppe