Caritas kündigt 118 Pflegeverträge und entlässt 31 Mitarbeiter

Mitarbeiter müssen gehen

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Seit langem kommt die Caritas im Landkreis Hildesheim nicht mit dem Geld hin, das ihr die Kassen für die ambulante Pflege zahlen. Jetzt hat sie sich zu einem drastischen Schritt entschieden: Sie kündigt 118 Pflegeverträge und entlässt 31 Mitarbeiter.


„Ein starkes Stück Kirche“ - so wirbt die Caritas in
Hildesheim auf ihren Autos. Zumindest in einigen
Gebieten wird man künftig auf das starke Stück Kirche
verzichten müssen.

In der vergangenen Woche hatte noch alles nach Entspannung ausgesehen: Krankenkassen und Wohlfahrtsverbände in Niedersachsen verkündeten eine Einigung im Streit um die Pflegesätze. Es gab spürbare, rückwirkende Erhöhungen ab Januar 2018. „Die Schließung von ambulanten Pflegediensten ist damit abgewendet“, freute sich Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD).
Tatsächlich verabschiedet sich die Caritas-St. Bernward ambulante Pflege gGmbH (eine Tochter des Caritasverbandes für die Stadt und den Landkreis Hildesheim) auch nicht aus der ambulanten Pflege, sie schränkt nur ihr Angebot ein. Vor allem auf dem platten Land, wo die Wege lang sind und es in manchen Dörfern nur einen oder zwei Pflegebedürftige gibt.

„Wir müssen unser Angebot aus wirtschaftlichen Gründen reduzieren“, sagt Geschäftsführer Dr. John Coughlan.

Besonders stark davon betroffen sind die hauswirtschaftlichen Leistungen. „Einige Gebiete können wir aber auch mit der Pflege nicht mehr bedienen“, sagt er. Der Hintergrund der Maßnahme: Die gemeinnützige Caritas-Gesellschaft hat im letzten Jahr einen Verlust von 265 000 Euro eingefahren, für das laufende Jahr würde es ohne Gegenmaßnahmen noch größer ausfallen.

Refinanzierung ist mangelhaft

Verantwortlich für das Loch in der Kasse macht der Caritas-Geschäftsführer die Pflegekassen. Die Refinanzierung der Leistungen sei mangelhaft. Die tarifliche Vergütung der Mitarbeiter sowie die tatsächlichen Kosten für Wege oder pflegerische Leistungen spielten für die Kassen keine Rolle. „Wir haben in Gesprächen und Verhandlungen alles versucht, aber unsere Kalkulationen wurden nicht berücksichtigt“, betont der Geschäftsführer. Die seitens der Pflegekassen angebotenen Erhöhungen in den Schiedsgesprächen beträfen zudem nur rund ein Drittel der angebotenen Leistungen. „Selbst diese Erhöhungen decken noch nicht mal die tatsächlichen Kosten“, erläutert Coughlan.

Damit die Pflege nicht komplett eingestellt werden muss, zieht die Gesellschaft nun die Reißleine und versucht durch die Reduzierung eine Insolvenz zu vermeiden und wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen – mit erheblichen Folgen: 118 Patienten wird der Vertrag gekündigt. Die überwiegende Zahl von ihnen bekommt künftig keine hauswirtschaftlichen Leistungen mehr. 15 Patienten werden künftig auch keine Pflege mehr erhalten.

31 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen erhalten eine betriebsbedingte Kündigung zum 30. Juni 2019. Die Kündigung betrifft Fachkräfte, Pflegehelferinnen, Hauswirtschaftskräfte sowie die Verwaltung. „Wir hätten die Arbeit für sie, aber wir können sie nicht bezahlen“, sagt Coughlan. Sowohl Patienten als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden voraussichtlich bei anderen Pflegediensten unterkommen – doch vor allem für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeute das wohl eine schlechtere Bezahlung, befürchtet er.  

Die Selbstverwaltung versagt

Hier versage die Selbstverwaltung des Systems, ein Gegengewicht zu den übermächtigen Pflegekassen fehle: „Wenn wir zukünftig überhaupt eine flächendeckende und bedarfsgerechte Pflege in dieser Gesellschaft vorhalten wollen, muss an dieser Stelle korrigierend eingegriffen werden“, fordert der Geschäftsführer der Caritas-St. Bernward ambulanten Pflege.

Matthias Bode

 

„Es droht die Insolvenz“
 


„Mir ist diese Entscheidung sehr schwer
gefallen!“, sagt Caritasgeschäftsführer
Dr. John Coughlan. | Fotos: Deppe

Die Kündigung von Pflegeverträgen und Mitarbeitern ist ein harter Schritt für die Caritas – jedoch unumgänglich, wie John Coughlan, Geschäftsführer des Caritasverbandes für die Stadt und den Landkreis Hildesheim und der Caritas-St. Bernward ambulante Pflege gGmbH  meint.

Gab es keine Alternativen zu den Entlassungen?

Der Pflegedienst ist als gemeinnützige GmbH organisiert und muss nach geltendem Recht bei Überschuldung Insolvenz anmelden. Die Hälfte des Eigenkapitals ist bereits verbraucht. Ohne die angekündigten Maßnahmen wäre die Überschuldung spätestens in 15 Monaten erfolgt. Hinzu kommen akute Liquiditätsprobleme. Erbrachte Leistungen werden jeweils erst nach etwa 6 Wochen bezahlt. Die Liquidität reicht aber nur für 3 Wochen. Somit droht auch hier die Insolvenz.

Das Bistum schreibt seit vielen Jahren Gewinne. Gab es dort keine Bereitschaft zu helfen?

Das Bistum wird auch über den Diözesan-Caritasverband über den Stand der Auseinandersetzungen informiert und unterstützt die Bemühungen um eine auskömmliche Vergütung der Pflegedienste auch auf Landesebene. Grundsätzlich sind die Kostenträger zu einer solchen auskömmlichen Vergütung verpflichtet. Dies bedeutet, dass Zuschüsse der Träger oder deren übergeordneten Strukturen vom Gesetzgeber nicht vorgesehen sind. Das Bistum möchte den Kostenträgern nicht signalisieren, dass zur Not eine andere Stelle die unzureichende Vergütung ausgleichen könnte.

29 Mitarbeiter verlieren ihre Arbeit und müssen nun wahrscheinlich einen schlechter bezahlten Job antreten. War es nicht möglich, über Gehaltsverhandlungen innerhalb des Verbandes zu einem ausgeglichenen Ergebnis zu kommen?

Wir haben mit der Regionalkommission Nord über diese Möglichkeit gesprochen. Dort war man der Meinung, dass es Aufgabe der Kostenträger wäre eine auskömmliche Vergütung zu gewährleisten. Ein Verzicht auf Gehaltsanteile würde an das grundsätzliche Problem der nicht auskömmlichen Vergütung nichts ändern und somit nur zum Fortbestehen des Problems beitragen.
Hat die Caritas in den Verhandlungen mit den Pflegekassen einem Kompromiss zugestimmt, der nicht tragfähig ist?
Die Caritas hat in einem Verbund mit AWO, Diakonie und kommunale Träger verhandelt und minimale Zugeständnisse der Kostenträger erzielen können. Mehr war leider angesichts einer versagenden Selbstverwaltung nicht möglich.