Die Gedenkstätte Gnadenkirche Tidofeld in Norden

Nicht immer willkommen!

Blick in ein Museum

Foto: Petra Diek-Münchow

Die Gedenkstätte Gnadenkirche Tidofeld erzählt von der Geschichte Vertriebener und Geflüchteter in Ostfriesland.

Tidofeld – dieser Name eines Stadtteils im ostfriesischen Norden steht für die Geschichte vieler Vertriebener und Geflüchteter nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Museum erzählt davon.

Ottilie Helms konnte richtig „wütend“ werden. Zum Beispiel, wenn „man heute über die Ausländer so abfällig spricht, dann erinnere ich mich genau an die Zeit, wo man über uns Flüchtlinge redete“. Denn auch sie hat bei Kriegsende ihre Heimat in Oberschlesien verlassen müssen, um sich im ostfriesischen Norden ein neues Leben aufzubauen. Mit durchaus wechselvollen Erfahrungen.

Helms gehörte zu den etwa 1200 Menschen, die von 1946 bis 1960 in Tidofeld gewohnt haben – nach dem Ende des Krieges eines der größten Aufnahmelager in Niedersachsen für Geflüchtete und Vertriebene. Insgesamt haben etwa 6000 Menschen das Lager durchlaufen. Mittendrin stand von Beginn an auch eine Kirche, die 1961 durch einen Neubau ersetzt wurde – die lutherische Gnadenkirche Tidofeld. Heute befindet sich darin eine Dokumentationsstätte, die an die Geschichte des Lagers erinnert und zugleich als Lern- und Friedensort die Bedeutung von Migration für Deutschland beleuchtet.

Das unterstreicht auch Hermann Queckenstedt als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats und Direktor des Diözesanmuseums in Osnabrück. „Flucht und Vertreibung sind heute noch angesichts der Konfliktherde in aller Welt bittere Realität“, sagt er. Daher wirkt das Bistum Osnabrück, vertreten durch die Kirchengemeinde St. Ludgerus in Norden und ihn selbst, an der Konzeption und dem Betrieb der Gedenkstätte mit. Für den Historiker Queckenstedt gilt es, das Erbe der Katholiken aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nachhaltig zu dokumentieren, „ist es doch ein Beispiel für gelungene Integration nach anfänglich durchaus konfliktgeladenem Neubeginn“. Aus katholischer Sicht habe darüber hinaus die Erinnerung an die Aufnahme der vietnamesischen „Boatpeople“ einen hohen Stellenwert, denn sie prägen heute den Katholizismus an der ostfriesischen Küste mit.

Unser Land mit aufgebaut.

Geleitet wird die Gedenkstätte von Lennart Bohne. Er zeigt Gästen gern, was sie in der Gnadenkirche sehen. Und das sind nicht nur Exponate wie der zum Symbol gewordene Leiterwagen, sondern auch Alltagsgegenstände aus dem Leben der Menschen, Fotos und ein Modell des Lagers. Ein Wandfries mit Daten ordnet die Geschehnisse geschichtlich ein. Mehr noch als abstrakte Zahlen ziehen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Besucher in ihren Bann. „Sie haben unser Land und unsere Gesellschaft mit aufgebaut“, sagt Bohne. An Hörstationen und in Videointerviews erzählen sie von ihrer Ankunft, vom Leben im Lager, von mühsamen Schritten in der neuen, nicht freiwillig gewählten Heimat. Nachdenklich machen diese Berichte, auch weil es nicht immer ein herzliches Willkommen war. Da drängen sich Parallelen zur Gegenwart auf.

Das ist durchaus Absicht, eine Station blickt auf die Migrationsbewegung unserer Zeit – zeigt Menschen, die aus Ländern mit Bürgerkriegen und Repressalien nach Europa fliehen. Nach Auffassung von Bohne gibt es eine fortwährende Aktualität. „Flucht ist ein menschheitsgeschichtliches Dauerthema“, sagt der Museumsleiter. „Da muss man nur die Bibel aufschlagen. Und 25 Prozent unserer Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund.“ Die Dokumentationsstätte will dazu einen Debattenbeitrag leisten und bezieht auf der Grundlage christlicher Werte Stellung. Wie wollen wir Menschen begegnen, die bei uns Zuflucht suchen? Wie können wir Ausgrenzung entgegenwirken? Was macht eine humane Gesellschaft aus? „Flucht kann jeden treffen“, sagt Bohne. Tidofeld ist damit auch ein Plädoyer für Empathie und Friedenspolitik

Petra Diek-Münchow

Die Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld (Donaustraße 12 in Norden) hat donnerstags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Anmeldungen für Führungen unter Telefon 0 49 31/9 75 53 35 oder per E-Mail: info@gnadenkirche-tidofeld.org

Getragen wird die Einrichtung von einem Verein, zu dem als institutionelle Mitglieder das Bistum Osnabrück, der lutherische Kirchenkreis Norden, die Stadt Norden und der Landkreis Aurich gehören. Mehr Informationen im Internet: https://www.gnadenkirche-tidofeld.org