Blutige Konflikte - und wo bleibt die Regierung?

Nigerias schwerer Kampf um Ackerland

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Gewalt als übliche Antwort: In Nigeria tobt seit Jahren ein blutiger Konflikt um Ackerland. Doch warum schreitet die Regierung nicht ein?

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Bestelltes Ackerland und Nomaden, die mit ihren Tieren umherziehen - früher wurde über Entschädigung verhandelt, heute ist die Antwort auf Streit pure Gewalt. Foto: kna


Manchmal bekommt Chris Ogbonna täglich neue Nachrichten mit brutalen Bildern: Menschen, die mit Macheten zerhackt wurden; mitunter Kinder, Schwangere mit aufgeschlitzten Bäuchen. "Es sind Bilder, die man nicht sehen möchte", sagt der Programmdirektor des Zentrums für Dialog, Versöhnung und Frieden (DREP), einer Partnerorganisation von Misereor mit Sitz in Jos, der Hauptstadt des Bundesstaates Plateau in Zentralnigeria.

Doch für ihn wie auch für Millionen Nigerianer sind sie grausamer Alltag geworden. Schon seit Jahren tobt ein eskalierender Landkonflikt. Auf der einen Seite stehen die Farmer, zumeist Christen; auf der anderen muslimische Viehhirten, die der ethnischen Gruppe der Fulani angehören.

Wie viele Menschen allein seit Jahresbeginn in den besonders betroffenen Bundesstaaten Plateau, Benue, Taraba und Kaduna ums Leben kamen, lässt sich nur schwer schätzen. Niemand führt Statistiken, und nach den Morden wird so gut wie nie nach den Tätern gesucht; von Gerichtsverfahren ganz zu schweigen. Genau diese Anarchie ist für Chris Ogbonna ein entscheidender Grund, weshalb sich die Gewaltspirale weiter dreht.

Dabei sind die Streitigkeiten um Land und Zugang zu Wasser nicht neu. In Zentralnigeria war Landwirtschaft immer ein wichtiger Erwerbszweig. Benue etwa wirbt damit, "Brotkorb der Nation" zu sein. In Plateau ist das Klima so gut, dass sogar Erdbeeren angebaut werden. Gleichzeitig sind durch diese Gegenden stets Nomaden mit ihren großen Herden gezogen, für die es einigermaßen festgelegte Routen gab.

Zerstörten die Tiere früher ein bestelltes Feld, so wurde über Entschädigungen verhandelt. "Heute ist Gewalt die normale Antwort geworden", so Ogbonna. Doch noch mehr: Mit Morden, dem Niederbrennen von Häusern und Lebensmittelvorräten sollen Menschen ganz gezielt vertrieben werden. "Dann gibt es keinen Grund mehr für eine Rückkehr."


"Provozierte Angriffe auf ortsansässige Bauern"

Die Lesart ist besonders in den vergangenen Monaten stets die gleiche. Die Fulani werden als Täter dargestellt und sogar als Terroristen bezeichnet. So sieht es auch Gideon Inyom, der in der IT-Branche tätig ist und 2019 im Nordwest-Wahlkreis des Bundesstaates Benue für den Senat kandieren will. "Es sind nicht provozierte Angriffe auf ortsansässige Bauern", meint er.

In Benues Hauptstadt Makurdi war es zu Jahresbeginn erstmals überhaupt zu Demonstrationen gekommen, die in ganz Nigeria für Aufsehen sorgten. Gefordert wurde, endlich Maßnahmen zur Beendigung des Konflikts zu ergreifen. Vorausgegangen war im November ein neues Gesetz, das unkontrollierte Weidung verbietet. Das Vieh soll in extra geschaffene Reservate verbannt werden.

Inyom gehört nach eigener Aussage einer Bewegung an, die gegen die Praxis der Fulani kämpft. Seine Sympathien sind eindeutig, und er macht keinen Hehl daraus. Chris Ogbonna hat in Jos oft beobachtet, wie sehr Politiker Nutzen aus der unsicheren Lage ziehen. Potenziellen Wählern können sie schließlich Schutz versprechen und Anhänger derselben Religion oder ethnischen Gruppe hinter sich vereinen.

Wie sehr man finanziell von einer Sicherheitskrise profitieren kann, hat auch der Boko-Haram-Konflikt im Nordosten des Landes gezeigt. So wird dem Ex-Sicherheitsberater der Regierung Sambo Dasuki vorgeworfen, zwei Milliarden US-Dollar veruntreut zu haben, die für den Kauf von Waffen bestimmt waren. Doch obwohl diese Taktiken längst bekannt sind, tut sich nichts. "Der Regierung fehlt es am politischen Willen", kritisiert Ogbonna. Macht und Möglichkeiten hätte sie, um den Konflikt zu beenden.

Wenn Ogbonna in Jos mit Vertretern beider Gruppen zusammenkommt, dann versucht er heute zuerst eine Plattform für Gespräche zu schaffen und Vertrauen herzustellen. Das habe in den vergangenen Jahren allzu oft gelitten. Gleichzeitig verfolgt er pragmatische Ansätze, etwa neue Bewirtschaftungsformen. "Land an sich wird schließlich immer eine knappe Ressource bleiben." Das trifft auf Nigeria besonders zu - hat sich doch die Bevölkerung seit der Unabhängigkeit 1960 fast vervierfacht. Sie liegt heute bei mehr als 190 Millionen Einwohnern.

kna