Psychologische Beratungsstellen helfen Flüchtlingen
Nirgendwo ein echtes Zuhause

Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, hat oft furchtbare Dinge erlebt. Die Psychologischen Beratungsstellen des Bistums wollen diesen Menschen helfen. In Lingen hat Fereshteh Afsar diese Aufgabe übernommen.

Menschen tiefe Spuren in der Seele. Foto: imago
Was Fereshteh Afsar und ihr Kollegenteam im Lingener Beratungszentrum erleben, geht ans Herz. Da erzählt eine Frau, dass fast alle ihre Verwandten von den Taliban erschossen oder verschleppt worden sind. Da erfährt ein Mann, dass sein letzter guter Freund in der alten Heimat ermordet worden ist. Und da bricht eine Mutter schluchzend zusammen, weil sie und ihre Familie nicht in Deutschland bleiben können – und jetzt hat sie große Angst vor der Rückkehr nach Afghanistan. Immer wieder hört die Beraterin solche Berichte von Bedrohung, Gewalt und Furcht. Das hinterlässt Spuren in der Seele – Spuren, die nachwirken und die es den Geflüchteten schwermachen, bei uns Fuß zu fassen. Afsar will ihnen deshalb helfen und „eine Stimme geben“.
Die 41-jährige Iranerin arbeitet seit drei Jahren in der Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung (EFLE) in Lingen. Zuerst als Dolmetscherin, jetzt als Beraterin vor allem für geflüchtete Menschen aus Afghanistan. Wie sie spricht Afsar Farsi, Persisch. Durch Kontakte zum Sozialdienst katholischer Männer, über das Mehrgenerationenhaus oder weil es sich schlicht herumgesprochen hat, kommen die Männer und Frauen zu ihr in das Psychologische Beratungszentrum.
Und sitzen ihr manchmal weinend und zitternd gegenüber. Weil die Bilder von Terror und Flucht sie nachts nicht schlafen lassen und bis in Albträume hinein verfolgen. Weil sie sich deshalb auf nichts konzentrieren können und sich Trauer auf ihr Gemüt legt. Weil sie ständig die Abschiebung fürchten und nicht wissen, wie es weitergehen soll. „Jeden Tag haben sie Angst davor, wenn die Post kommt. Sie fühlen sich nicht sicher“, sagt Fereshteh Afsar. „Sie haben in ihrer alten Heimat kein Zuhause mehr und hier auch nicht.“ Ein Leben zwischen Stempeln und Akten.
Sich fremd zu fühlen, das kennt Afsar aus eigener Erfahrung. Geboren und aufgewachsen ist sie im Iran, hat dort Psychologie studiert und an der Universität gearbeitet. Bis sie ihrem Ehemann, der schon länger in Lingen lebt, vor fünf Jahren nach Deutschland folgt. „Hier war alles fremd für mich“, erinnert sie sich. Das Land, die Menschen, die Sprache, die Kultur. „Ich musste ganz neu anfangen und hatte ständig Angst, etwas falsch zu machen“, erzählt sie. Aber sie will sich an die Situation anpassen, nimmt Kontakt zu anderen Frauen auf, spielt Handball in einer Mannschaft, lernt intensiv Deutsch. Für die Chance, im Lingener Beratungszentrum als Honorarkraft mit einer halben Stelle zu arbeiten, ist sie Christoph Hutter (Leitung des EFLE-Referates im Bistum) sehr dankbar. „Ich habe das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Wenn ich helfen kann, ist das für mich ein großes Geschenk.“
„Vielleicht wird es dann ein bisschen leichter für sie“

kümmert sich in der Psychologischen Beratungsstelle Lingen
um Menschen unter anderem aus Afghanistan. Foto: Diek-Münchow
In der ersten Zeit ihrer Tätigkeit übersetzte Afsar vor allem Persisch ins Deutsche und umgekehrt. Und da ist es ihr wichtig, genau die richtigen Worte für die Gefühle und Ängste der Geflüchteten zu finden. Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie wichtig die Sprache ist. „Oft haben die Flüchtlinge es nur mit Leuten zu tun, die sie schlicht und einfach nicht verstehen.“ Jetzt führt sie selbst Gespräche mit den Klienten, hört mitfühlend zu, vermittelt Kontakte zu Ärzten und anderen Therapeuten. „Ich möchte den Menschen einen geschützten Raum geben, wo sie alles sagen können. Ich will Hoffnung geben und sagen: Gott ist bei euch und vergisst euch nicht“, erklärt die gläubige Muslima. „Vielleicht wird es dann ein bisschen leichter für sie.“ Manche ihrer Klienten begleitet die Iranerin schon gut zwei Jahre lang, manche trifft sie bei zusätzlichen Angeboten des Beratungszentrums: zum Beispiel bei Vorträgen über Kindererziehung oder bei Mal-Entspannungskursen.
Man spürt, wie sehr Fereshteh Afsar ihre Arbeit liebt und ahnt, dass sie manches Schicksal im Herzen mit nach Hause nimmt. Und sie macht keinen Hehl daraus, wie oft sie sich über unsinnige bürokratische Hürden ärgert, die den Alltag von Beratern und Klienten erschweren. Besonders viel Gedanken macht sich die 41-Jährige über die Kinder der Geflüchteten. Die Traumata der Eltern wirken sich auf die nächste Generation aus. „Wenn die Kinder ständig erleben, dass die Mama traurig ist und weint – was wird dann aus ihnen in der Zukunft?“, fragt sie sich.
Die Geschichte wird einmal sehr hart über uns urteilen“
Christoph Hutter, Leiter der Beratungsstellen im Bistum, sieht das genauso. Und er kann nicht verstehen, warum in Politik und Gesellschaft nicht mehr getan wird, um den Geflüchteten Sicherheit und Schutz zu bieten und ihre Integration voranzutreiben. „Wir erkennen doch jetzt Lebenskonstellationen wieder, die uns aus der deutschen Geschichte nach 1945 vertraut sind.“
Flüchtlingsschicksale und Konfrontation mit Flucht gibt es nach seinen Worten aufgrund des Zweiten Weltkrieges in vielen deutschen Familien. „Und wir schauen heute zu, wie sich exakt die gleichen Traumata entwickeln.“ Fassungslos und erschrocken stehen er und andere Berater deshalb vor Abschiebungsbescheiden, die „inhuman sind und teilweise groteske Argumente“ beinhalten. Hutter spricht Klartext: „Die Geschichte wird einmal sehr hart über uns urteilen.“
Petra Diek-Münchow
Die Beratung ist ein psychologischer Fachdienst der Kirche für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie ist freiwillig, anonym und kostenfrei . Weitere Informationen: www.efle-beratung.de
Beratung in der Muttersprache
Die Psychologischen Beratungstellen im Bistum Osnabrück sind grundsätzlich offen für alle Menschen unabhängig von Herkunft, Status oder Religion. Schon seit 15 Jahren nimmt das diözesane Referat für Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung laut Leiter Christoph Hutter dabei bewusst auch Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in die Teams vor Ort auf. Diese können dann Menschen aus anderen Ländern in ihrer Muttersprache beraten. Etwas länger schon gibt es daher an verschiedenen Orten interkulturelle Beratungsangebote in Französisch, Polnisch, Russisch, Spanisch, Türkisch und Ukrainisch – außerdem besonders für Flüchtlinge seit vier Jahren auch in arabischer Sprache durch Seba Chehab in Papenburg sowie seit drei Jahren in Persisch durch Fereshteh Afsar in Lingen.
Die Nachfrage nach interkultureller Beratung nimmt laut Christoph Hutter in den vergangenen Jahren immer mehr zu: „Die Zahlen explodieren bei uns.“ Vor allem Geflüchtete und ihre Familien aus Afghanistan, dem Iran, Syrien, Afrika und dem Irak kommen zum Beispiel in das Psychologische Beratungszentrum in Lingen.