Häusliche Pflege

Ohne Pausen geht es nicht

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Eine Frau steht hinter einer anderen Frau, die am Küchentisch sitzt. Beide schauen in die Kamera.
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In den Urlaub zu fahren, ist nicht möglich, wenn man als pflegende Angehörige keine Vertretung hat.  

Pflegende Angehörige brauchen Auszeiten im Alltag, Urlaub und ganz viel Unterstützung in Belangen der Pflege. Das wird durch die Hinweise einer Ärztin deutlich. Sie warnt: Wer sich nicht um sich kümmert, wird selber krank.

„Ihr wollt mich zum Sterben ins Heim abschieben,“ sagt die Mutter, weil sie in der Urlaubszeit in die Kurzeitpflege gehen soll. „Nein, natürlich nicht, Mama!“ ist hier die erschrockene Antwort. Selbstverständlich nicht, denn Mama soll noch lange leben, aber die pflegende Tochter eben auch. Sie bräuchte mal einen Urlaub, mit Möglichkeiten zur Erholung und Zeit für sich. Doch es ist schwer, das gegenüber der Mutter anzusprechen. Und selbst, wenn kein direkter Vorwurf kommt, macht auch ein vom Kranken ausgesprochener Satz wie „Falle ich Euch denn so zur Last?“ ein schlechtes Gewissen. Und die ehrliche Antwort wäre dann oft: „Ja – weil ich nicht mehr kann.“ 

Bei einem Treffen pflegender Angehöriger in Osnabrück legte die Medizinerin Sigrid Pees-Ulsmann den Anwesenden ans Herz, sich genügend um sich selbst zu kümmern. Pees-Ulsmann hat jahrelang als Hausärztin bei ihren Hausbesuchen erlebt, wie sehr pflegende Angehörige an ihre Grenzen gehen.

Ausstattung wichtig

Um zu Hause pflegen zu können, ist eine gute räumliche Situation Voraussetzung. Für die kranke Person sollte ein eigenes helles Zimmer mit Zugang zur Terrasse und zur Toilette zur Verfügung stehen. Wichtig ist eine Ausstattung mit Pflegebett, Toilettenstuhl, Halterungen im Bad, Rollator und anderen Hilfsmitteln wie Inkontinenzmaterial und einer Klingelanlage. Die Pflege kann von ein oder zwei Personen als Bezugspfleger und -pflegerinnen geleistet werden, die vom Hausarzt unterstützt werden. 

Entscheidung im Familienrat

In manchen Fällen ist absehbar, dass die Mutter bald so kraftlos sein wird, dass sie umsorgt und auch gepflegt werden muss, in anderen Fällen tritt ein Pflegefall von heute auf morgen ein, zum Beispiel nach einem Schlaganfall. Dann steht die Entscheidung an, wer es machen soll. Sigrid Pees-Ulsmann rät dringend dazu, die Entscheidung nicht überstürzt und keinesfalls allein zu fällen. Es sei wichtig, sich Verstärkung in der Familie zu suchen, zum Beispiel, alle Geschwister hinzuzuziehen und im Familienrat zu besprechen, wie viel jeder zu leisten bereit ist. Das, was zunächst beschlossen wird, muss vielleicht nach einiger Zeit wieder auf den Prüfstand. „Man weiß nie, wie lange dauert die Pflege und wie schwer wird die Pflege?“, betont die Ärztin. Die Person, die die Pflege übernimmt, müsse klar sagen, wo ihre Grenzen sind. Sie könnte zum Beispiel argumentieren: Ich möchte weiter berufstätig bleiben, also geht das alles nur, wenn Mama oder Papa eine Tagespflege besuchen. Oder: Ich kann Stunden reduzieren, aber an einem Tag der Woche muss jemand anderes kommen und mich richtig entlasten. Oder: Ich möchte meine Chorproben und den Gymnastikkurs weiter besuchen, wer übernimmt diese Abende?

Selbstfürsorge ist wichtig

Sich so klar zu äußern, fällt vielen schwer. Das Thema häusliche Pflege wird von Außenstehenden oft vom Kranken aus betrachtet. Wie gut geht es ihm, kann er noch zu Hause versorgt werden? Die Belastung der pflegenden Angehörigen rückt in den Hintergrund. Die eigenen Interessen wahrzunehmen, sei kein Luxus, machte Sigrid Pees-Ulsmann deutlich. „Es ist ein Recht, sogar eine Pflicht des Pflegenden“, sagt die Ärztin, „Eins ist völlig klar: Niemand kann sich 24 Stunden lang allein um jemanden kümmern.“

Eigene Familie geht vor

Die Geschwister der pflegenden Person sind oft froh, wenn sich eine Angehörige gefunden hat, die sich kümmert, und sie es selbst nicht müssen. Doch die Familie der pflegenden Person bekommt zu spüren, wie anstrengend Pflege sein kann – wenn Mama mit den Kindern nur noch schimpft, am Telefon in Tränen ausbricht und sichtlich keine Zeit für ihren Mann hat. Sigrid Pees-Ulsmann appellierte an alle, sich wirklich rechtzeitig Unterstützung zu holen, bevor man depressiv wird oder der Alltag nur noch aus Aggressionen besteht. Es sei ratsam, für bestimmte Tätigkeiten einen Pflegedienst zu engagieren, um selbst „heilige Zeiten“ mit der eigenen Familie zu haben, zum Beispiel, um morgens in Ruhe mit den Kindern zu frühstücken. Das kann die Mittagszeit sein oder der Abendbrottermin, wenn die ganze Familie beisammensitzt. Um dann beim gemeinsamen Abendbrot nicht durch „das Pingeln des Kranken“ gestört zu werden und damit man in Ruhe zusammensein kann, sollte man den Pflegedienst engagieren. Dessen Mitarbeiterinnen könnten den Kranken versorgen. Im Übrigen, so empfiehlt die Ärztin, solle man den Pflegedienst seine Arbeit machen lassen und nicht misstrauisch beäugen. Die Pflegekräfte stünden zwar unter zeitlichem Druck, seien aber geschulte Fachleute. Man solle ihnen freundlich begegnen.

Gesundheitsrisiko Pflege

Pflegende Angehörige haben ein erhöhtes Gesundheitsrisiko aufgrund von Schlafmangel und Stress. Sie kommen zu wenig an die frische Luft, manche trinken zu viel Kaffee oder rauchen,  auch der Missbrauch von Alkohol kann im Spiel sein. Zu den körperlichen Folgen der Pflege zählt, dass Hände, Arme, Schultern und der Rücken überlastet sind, weil man zu oft zu schwer hebt und trägt. Hinzu kommen Kopfschmerzen, Magenschmerzen und Verstopfung. Depressionen können entstehen, weil man herausgerissen wurde aus seinem eigentlichen Leben. „Entlasten Sie sich“, so die Ärztin, „gönnen Sie sich einmal im Jahr vier Wochen Urlaub.“

Urlaub ist ein Muss

Urlaub ist wichtig, um abzuschalten und sich körperlich und geistig zu erholen. Der Urlaub sollte schon zu Beginn des Jahres geplant werden, eventuell als Kur, damit man rechtzeitig einen der seltenen Plätze in der Kurzzeitpflege für den Kranken beantragen kann. 

Einen Heimplatz suchen

Manchmal geht es zu Hause nicht mehr, weil die Krankheit stark fortschreitet und man sich eingestehen muss: „Jetzt schaffen wir es nicht mehr.“ Pees-Ulsmann rät, rechtzeitig einen Platz in einem Pflegeheim in Wohnortnähe zu suchen. Dann lässt sich die weitere Zukunft gut gestalten. „Ein entspannter Besuch bei einem Kranken im Heim ist besser als ein aggressiver Dauerzustand.“

Einsatz für Verbesserungen

Der bundesweit tätige Verein „wir pflegen e.V.“ ist eine Interessen- und Selbsthilfeorganisation pflegender Angehöriger. Er bietet seinen Mitgliedern die Möglichkeit, sich in Onlineforen im Internet auszutauschen. Derzeit werden im monatlichen Turnus drei Veranstaltungsformate angeboten – das Austauschforum pflegender Eltern und das digitale Café für pflegende Angehörige sowie die digitale Selbsthilfegruppe „wir pflegen Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen. Des Weiteren wurde eine App entwickelt, mit der die pflegenden Angehörigen sich vernetzen können. Die App in.kontakt dient dem Informationstransfer und Erfahrungsaustausch pflegender Angehöriger untereinander, orts- und zeitunabhängig. 

www.wir-pflegen.net/helfen/digitale-selbsthilfe

 

Andrea Kolhoff