Statement von Bischof Georg Bätzing
Persönlicher Kontakt
Das Phänomen hoher Austrittszahlen begleitet uns schon lange, und wird dies auch in den kommenden Jahren tun. Daran werden einzelne oder konzertierte Maßnahmen wenig ändern können, denn es handelt sich um einen Vorgang von Entscheidung und Unterscheidung. Wir leben in einer freien und stark individualisierten Gesellschaft. Jeder kann und soll grundlegende Entscheidungen für sein Leben selbst treffen und jeder hat das Recht, getroffene Entscheidungen zu revidieren. Diese Freiheit trifft auch die Kirchen. Nach wie vor sind viele Menschen sozusagen ‚ungefragt‘ Christ geworden, da ihre Eltern diese Entscheidung getroffen haben und ihr Kind taufen ließen. Damit gehörten sie zur Kirche. Zum Erwachsenwerden im Glauben gehört es, sich selbst zu fragen, wie die persönliche und innere Beziehung zu Gott aussieht und ob die Zugehörigkeit zur Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts, inklusive Kirchensteuer, als stimmig und notwendig bewertet wird.
Die Gründe, warum Frauen und Männer aus der Kirche austreten, sind vielschichtig. Oft kennen wir die persönlichen Gründe nicht. Häufig hat ein längerer Prozess der Entfremdung stattgefunden, das heißt, dass es keine persönlichen Kontakte zur kirchlichen Gemeinschaft, zu Seelsorgern oder ehrenamtlich Engagierten mehr gegeben hat. In anderen Fällen waren es die selbstverschuldeten kirchlichen Skandale, die die Entscheidung, den Austritt aus der Kirche zu erklären, festigten. Damit sollte dann auch ein Zeichen der Dis-tanzierung gesetzt werden.
Zu Zeiten der Volkskirche war der Kirchenaustritt tabuisiert und mit schweren Sanktionen seitens der kirchlichen Gemeinschaft belegt, die der Einzelne zu spüren bekam. Heute nehme ich es fast umgekehrt wahr: Menschen ‚sanktionieren‘ uns in der Kirche durch ihren Kirchenaustritt und setzen damit ein Zeichen, dass sie mit Grundlinien oder Einzelentscheidungen nicht einverstanden sind. Das ist sehr vergleichbar mit anderen Großinstitutionen. Auch Parteien, Gewerkschaften und Vereine leiden darunter, dass nur ein geringer werdender Teil ihrer Mitglieder eine dauerhafte und belastbare Bindung aufweist. Andere treten ein oder aus und bewerten damit bestimmte Entwicklungen und Situationen ‚ihres Vereins‘. Zwar bedaure ich eine solche Einstellung zur Kirche, ich sehe aber kaum eine Möglichkeit, diesem Trend grundsätzlich entgegenwirken zu können.
Nach meiner Erfahrung hilft am ehesten der persönliche Kontakt zu Kirchenmitgliedern, auch in schwierigen Zeiten die Bindung zu bewahren. Nach der Veröffentlichung der MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch durch Priester in der katholischen Kirche habe ich etwa auf Mails und Briefe der Gläubigen immer persönlich und individuell geantwortet. Ich fand, dass jedes Zeichen eines unserer Mitglieder, das sich die Mühe macht, mir seine Enttäuschung, seine Empörung oder seine Solidarität zu bekunden, ernst genommen und beantwortet werden muss.
Ernst nehmen müssen wir als Christen auch die Botschaft, die uns mit dem Evangelium geschenkt ist. Das Evangelium berichtet vom Wachstum des Glaubens und von der Ausbreitung des Christentums. Wir brauchen einen realistischen Blick auf unsere Zeit. Wir brauchen Gottvertrauen und wir dürfen uns sicher sein, dass er seine Kirche tragen wird.“
Bischof Georg Bätzing, Limburg