Pfarrer Joachim Piontek rief vor siebe Jahren die Gruppe Theater am Kiosk ins Leben
„Pio“ spielt den Hausmeister

Mit 71 Jahren ist Pfarrer Joachim Piontek im Ruhestand, trotzdem begleitet er Menschen mit geistiger Behinderung in der Heimstatt Röderhof: Jeden Sonntag zelebriert er dort die Heilige Messe. „Pio“ ist am Röderhof einfach überall bekannt. Das liegt auch an der Gruppe „Theater am Kiosk“, die er vor sieben Jahren ins Leben gerufen hat. Mit ihrer sechsten Produktion stehen die Laienschauspieler am 10. Juni erstmals bei einem großen Theaterfestival auf der Bühne.

„Theater am Kiosk“ viel Spaß. | Fotos: Karina Scholz
Zwei coole Typen mit überdimensionalen Zigaretten machen die Straße unsicher, ein schüchternes Mädchen fällt ihnen zum Opfer. „Wenn du nicht sofort die Kohle hergibst, dreh‘ ich deinem Hamster den Hals um!“, ruft Florian Strathausen alias Klaus. Die dramatische Szene gehört zum Theaterstück „Coole Typen“, das die Gruppe „Theater am Kiosk“ der Heimstatt Röderhof derzeit probt. Schon bald muss alles sitzen, denn am 10. Juni haben die 15 Darsteller einen großen Auftritt: Sie nehmen an einem Theaterfestival für Menschen mit geistiger Behinderung in der Pfalz teil.
Unter vielen Bewerbungen aus ganz Deutschland wurde ihr Stück für „Das ganz besondere Theaterfestival“ in Landau ausgewählt. Veranstaltet wird es in diesem Jahr zum elften Mal von der BAF Südpfalz, einer Initiative regionaler Einrichtungen der Behindertenhilfe und dem Verein „Leben und Kultur e.V. Landau“.
Große Herausforderung: Zum ersten Mal gibt es Sprechrollen
Für die Röderhofer Gruppe ist dieser Auftritt eine Premiere. Das Lampenfieber ist groß, denn erstmals sprechen die 8 bis 21 Jahre alten Darsteller Dialoge – alle bisherigen Inszenierungen waren pantomimisch. „Das Stück ist zusammen mit unseren Bewohnern entstanden, jede Rolle ist auf die Fähigkeiten des Darstellers zugeschnitten“, erklärt Lehrerin Claudia Gerke, die an der Sankt-Franziskus-Schule auf dem Röderhof unterrichtet. Zusammen mit Pfarrer Piontek leitet sie das Projekt in ihrer Freizeit. Unterstützung kommt von zwei Freiwilligendienst-Leistenden.

Theater mit geistig behinderten Menschen.
Die Idee des Theaterspielens am Röderhof stammt von Piontek, der sich dort ehrenamtlich engagiert. „Hier wird mir immer wieder neu die Würde und die Einmaligkeit des Menschen bewusst“, sagt er. Aus einer spontanen komödiantischen Einlage am Kiosk entstand vor sieben Jahren seine Gruppe „Theater am Kiosk“. Den tieferen Sinn seines Projekts beschreibt er so: „Es geht darum, Empathie zu entwickeln und soziale Kompetenzen zu trainieren. Aber vor allem wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer weg von der Behinderung hin zum künstlerischen Produkt gelenkt.“ Und weil das Theaterspielen auch Freude macht, spielt „Pio“ selbst in der Rolle des Hausmeisters mit.
Die Geschichte von „Coole Typen“ endet mit einer Überraschung: Ein zunächst unscheinbarer Helfer rettet die erpresste Dana vor den beiden Rowdies und sorgt mit einem „Wettbewerb für das interessanteste Hobby“ für Aufsehen. Plötzlich sind Zigaretten, coole Sprüche und Markenklamotten unwichtig und es geht um den Spaß am Lesen, Musizieren oder Sporttreiben. „Die Jugendlichen haben ihre eigenen Ideen mit eingebracht“, erklärt Claudia Gerke.
Wer das Stück stehen möchte, hat bei zwei Aufführungen am 25. Juni um 11 Uhr und um 13.30 Uhr in der Caféteria der Heimstatt Röderhof dazu Gelegenheit.
Karina Scholz
Das Selbstbewusstsein wächst und Emotionen werden sichtbar
Seit sieben Jahren spielt und inszeniert Pfarrer Joachim Piontek Theater. Doch nicht irgendwo, sondern in der Heimstatt Röderhof, einer Behinderteneinrichtung des Caritasdiözesanverbandes Hildesheim.
Wie sind Sie zum Röderhof gekommen?
Im September ist es sieben Jahre her, dass ich auf dem Röderhof als ‚Rentnerpfarrer‘ mit Gottesdiensten angefangen habe. Als Pfarrer in Hannover hatte ich in der Gemeinde seelsorgliche Aufgaben und Kontakte mit Menschen mit Einschränkungen. Der jetzige Leiter des Röderhofs war damals verantwortlich für Hannover. Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, ehrenamtlich auf dem Röderhof tätig zu sein.
Sie spielen seit sieben Jahren mit geistig behinderten Menschen Theater, bis jetzt immer pantomimisch. Was hat Sie dazu bewogen, nun erstmals ein Stück mit Sprache zu versuchen?
Die Idee kam von meiner Kollegin Claudia Gerke. Ich hatte keinerlei Erfahrung mit Sprache. Ich muss zugeben, dass ich sehr ungeduldig war, weil wir ständig die Texte ändern und an die Darsteller anpassen mussten.
Was bedeutet das Theaterspielen für die Jugendlichen?
Es ist für die Darsteller und für uns als Verantwortliche im Theater eine unglaubliche Freude zu erleben, wie das Selbstbewusstsein wächst. Emotionen werden sichtbar. Es gibt übrigens keinen Unterschied zwischen den Darstellern und uns, die wir uns über plötzlich Gelungenes freuen.