Geehrt mit einem „frauenORT"
Respekt für eine couragierte Ordensfrau
Für viele Harener ist Schwester Kunigunde eine Heldin. Am Ende des Krieges hatte sie am Kirchturm eine weiße Fahne gehisst und damit die Stadt vermutlich vor der Bombardierung bewahrt. Jetzt wird sie mit einem „frauenORT“ gewürdigt – als erste katholische Ordensfrau in Niedersachsen.
Annegret Schepers schaut nach oben zum Kirchturm von St. Martinus. „Von da hat Schwester Kunigunde die Fahne geschwenkt“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte. Maria Bauken von der Frauenunion folgt ihrem Blick. Wie viele Harener wissen die zwei Frauen, was am 8. April 1945 geschehen ist. Kanadische Soldaten hatten sich der Stadt genähert, erste Häuser und auch die Kuppel des Harener „Doms“ waren bereits beschossen worden – eine Bombardierung drohte. In dieser Situation schnappte sich Schwester Kunigunde ein weißes Bettlaken, kletterte den Kirchturm hoch, schwenkte das Tuch aus den Luken – und hat damit vermutlich die Stadt vor weiterer Zerstörung gerettet. „Das war echt mutig“, sagt Maria Bauken. Denn für ähnliche Gesten haben fanatische Nazis noch kurz vor Kriegsende Menschen kurzerhand erschossen.
Auch wenn vor allem diese couragierte Tat in Erinnerung bleibt: Für den Landesfrauenrat war das nicht der einzige Grund, die Stadt Haren mit Schwester Kunigunde in die Reihe der „frauenORTE“ aufzunehmen. Diese Initiative will in Niedersachsen starke Frauen als historische Vorbilder bekannter machen (siehe auch „Zur Sache“). Nach Auffassung des Landesfrauenrates gilt die 1999 verstorbene Schwester Kunigunde heute als Pionierin sozialer und seelsorglicher Arbeit, als moderne emanzipierte Frau. Zeitzeugen schildern sie als „Managerin“ – als eigenständige und eigenwillige Frau mit Ecken und Kanten, die kein Blatt vor den Mund nahm und sich auch mit Obrigkeiten mal anlegte.
„Sie war sehr beliebt in der Nachbarschaft“
„Sie war warmherzig und resolut zugleich“, sagt zum Beispiel Susanne Leibecke. Die 82-Jährige wohnt beim Kindergarten St. Elisabeth, den Schwester Kunigunde von 1936 bis 1945 und noch einige Jahre nach dem Krieg geleitet hat. Dort hängt nun eine Gedenktafel und ein Hinweis auf den „frauenORT“. Leibecke war eins der„Kindergartenkinder“ und gehört zu einer Mädchengruppe der Ordensfrau. „Sie war durchsetzungsstark und sehr beliebt in der Nachbarschaft – wie alle Schwestern in Haren“. Mit einem Schmunzeln schaut sie sich mit Annegret Schepers und Maria Bauken alte Fotos an. Einmal zeigen sie die Ordensfrau mit ernster Miene unter ihrer Haube, viel öfter aber fröhlich lachend und tatkräftig: in einem kleinen Boot beim Hochwasser auf dem Weg zum Gottesdienst, auf flotter Fahrt mit dem Mofa, kräftig zupackend bei einem Kirchenfest, mit goldener Krone als Sternsingerin. „Sie entsprach so gar nicht dem landläufigen Bild einer zurückhaltenden Ordensschwester“, sagt Schepers.
Drei Jahre hat sie sich mit der CDU-Frauen-Union und dem Heimatverein Haren um den „frauenORT“ bemüht. „Wir sind richtig stolz, dass jetzt endlich auch eine katholische Ordensfrau dazugehört“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte. Ein Arbeitskreis hatte dafür viele Fotos und Dokumente gesammelt, von denen einige jetzt in einem Flyer zu sehen sind. Maria Anna Zumholz, stellvertretende Leiterin der Arbeitsstelle für Katholizismus und Widerstandsforschung an der Universität Vechta, belegt die Erkenntnisse mit wissenschaftlichen Forschungen. Bei der Eröffnung des „frauenORTes“ in diesen Tagen, zu der auch Generalvikar Theo Paul kommt, will sie über das Leben von Schwester Kunigunde berichten.
Und das ist bemerkenswert. Als Theresia Schepers wird sie 1914 in Mesum geboren. Ihre Eltern bewirtschaften einen Bauernhof, der Vater arbeitet zusätzlich in der Textilindustrie. Als fünftes von sieben Kindern bleibt kein Geld übrig, damit Theresia studieren kann. Aber sie erlernt einen Beruf und wird Erzieherin, gehört zur ersten Generation staatlich geprüfter Kindergärtnerinnen. Noch während ihrer Ausbildung tritt die junge Frau in den Orden der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung in Münster ein. Die Kongregation setzt sich für Frauenbildung in Schulen ein – ein Thema, das Schwester Kunigunde zeitlebens wichtig ist: „Mein Ziel in der Erziehung ist, dass ich besonders den jungen Mädchen und Frauen vermitteln möchte, wie wichtig eine Ausbildung ist, damit sie besser am gesellschaftlichen Leben teilhaben.“
Die Harener nennen sie „Hütchen-Schwestern"
In Haren hatte ihr Orden schon 1864 eine Mädchenschule gegründet. Sie übernimmt 1936 mit 22 Jahren die Leitung des katholischen Kindergartens – und bleibt auch in Zeiten des Naziterrors ihren Grundsätzen treu. Wie alle Ordensschwestern muss sie in diesen Jahren ihre Tracht ablegen und Zivilkleidung tragen – mit einem Hut auf dem Kopf. „In Haren werden sie deshalb die „Hütchen-Schwestern“ genannt“, wirft Susanne Leibecke ein. Schwester Kunigunde setzt sich auch über staatliche Anordnungen hinweg. Obwohl damals religiöse Symbole nicht gerngesehen werden, lässt sie 1943 eine Schutzengelskulptur für die Außenwand des Kindergartens anfertigen. Bis heute werden Jungen und Mädchen davor fotografiert.
Während der polnischen Besetzung Harens von 1945 bis 1948 helfen die Schwestern um Kunigunde den Menschen. Sie errichten einen Behelfskindergarten und Notkapellen, übernehmen Seelsorge, Unterricht und versorgen Kranke. „Sie war so etwas wie eine Gemeindereferentin“, sagt Annegret Schepers. Bis 1951 leitet sie noch einmal den Kindergarten und verlässt dann Haren – wie einige Jahre später der ganze Konvent. In ihrem weiteren Leben arbeitet sie als Pfarrhelferin in Brasilien und später in ähnlichen Positionen in Coesfeld und Meerbeck. Und sorgt dort 1979 für eine kleine Sensation, indem sie die erste Messdienerinnengruppe der Region ausbildete. „Ich hätte sie gerne näher kennengelernt“, sagt Annegret Schepers mit Anerkennung und Respekt.
Einige Jahre vor ihrem Tod kehrt Schwester Kunigunde nach Haren zurück und bekommt 1995 die Ehrenurkunde der Stadt. Seit 2012 gibt es einen „Schwester-Kunigunde-Platz“ hinter St. Martinus und auch im neuen „Dokumentationszentrum Haren/Maczków“ soll die Ordensfrau gewürdigt werden.
Petra Diek-Münchow
40. frauenORT
Die Stadt Haren ist der 40. „frauenORT“ in Niedersachsen – eine Initiative des Landesfrauenrates, die das Leben historischer Frauenpersönlichkeiten bekannt machen will. Sie will dazu beitragen, dass Frauengeschichte und -kultur einen festen Platz im Spektrum kulturtouristischer Angebote erhalten. In Haren soll es verschiedene Angebote zum „frauenOrt“ geben: ein Stadtrundgang zur Geschichte starker Frauen, eine Fahrradtour, Gedenktage sowie Workshops des Kunstkreises Haren. Kontakt: www.haren.de